Obama, Überstellungen und die Krise der amerikanischen Demokratie

Die Entscheidung der Obama-Regierung, die Politik der Überstellungen fortzuführen, zeigt die tiefe Krise der amerikanischen Demokratie. Die Überstellungen bedeuten, dass Terrorverdächtige nach wie vor entführt und in andere Länder verschleppt werden, wo sie unter Folter verhört werden.

Unter Obama werden Überstellungen auch nichts anderes sein als unter der Bush-Regierung. Eine anonyme Quelle aus dem Umfeld der Task Force zur Verhör- und Auslieferungspolitik des Weißen Hauses ließ diese Information an die New York Times durchsickern. Die Person versicherte vage, dass Gefangene nicht in Länder überstellt würden, die für ihre Folterpraktiken bekannt sind, und dass Diplomaten erleichterten Zugang zu den Gefangenen haben sollten.

Die Bush-Regierung hatte ähnliche Zusicherungen gegeben. Tatsache ist aber, dass der einzige Grund für Überstellungen darin besteht, dass in diesen Ländern gefoltert wird und dass sie Verschwiegenheit garantieren.

In der vergangenen Woche gab es eine ganze Reihe von Enthüllungen, die den gesetzlosen und antidemokratischen Charakter des "Kriegs gegen den Terror" entlarvten, und die insgesamt die wachsende Macht des militärisch-geheimdienstlichen Apparats und die Konsolidierung der Infrastruktur eines amerikanischen Polizeistaats widerspiegeln.

*Am 20. August wurde bekannt, dass die CIA die private Sicherheitsfirma Blackwater (inzwischen Xe Services) für ein Programm gezielter Tötungen angeheuert hatte, das sich gegen angebliche hohe al-Qaida Mitglieder richtete. Die CIA verletzte amerikanisches Recht, indem sie den Kongress nicht über dieses Programm informierte.

* Am 21. August enthüllte die New York Times, dass die Obama-Regierung die gleiche Söldnertruppe engagiert hatte, um das Mordprogramm der CIA mit unbemannten Predator-Drohnen in Afghanistan und Pakistan zu organisieren

* Am 22. August bestätigte Der Spiegel, dass die CIA Blackwater engagiert hatte, um Gefangene von Guantánamo in Geheimgefängnisse in Zentralasien zu transportieren, wo sie Folter gewärtigen mussten.

* Am 24. August gab das Weiße Haus einen stark zensierten Bericht des CIA-Generalinspekteurs frei, der sich mit Folterfällen und der Ermordung von Gefangenen im Irak und in Afghanistan befasst. Verhörspezialisten bedrohten Gefangene unter anderem mit dem Tod und mit der Vergewaltigung ihrer Mütter und Kinder vor ihren Augen. Der Bericht war seit 2004 unterdrückt worden. Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union erwirkte jetzt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes einen Gerichtsbeschluss zu seiner Freigabe.

Die Obama ist mit überwältigenden Beweisen konfrontiert, dass ihre Vorgängerin systematisch amerikanisches und internationales Recht - und grundlegende Menschenrechte - verletzt hat. Deshalb versucht sie, den Schaden zu begrenzen.

Nach der Herausgabe des Berichts des CIA-Generalinspekteurs ernannte Justizminister Eric Holder einen Sonderanwalt zur Untersuchung einiger in dem Dokument aufgeführter Folterfälle. Der Umfang der Untersuchung wird sich auf einige "Schurken" unter den Agenten beschränken, die angeblich über die Foltermethoden hinausgegangen sind, die vom Weißen Haus unter Bush ausdrücklich erlaubt worden waren. Gemäß der Regierungspolitik wird es keine Untersuchung gegen Mitglieder der Bush-Regierung geben, die das Folterprogramm formulierten und überwachten, wie z.B. gegen Bush selbst und gegen seinen Vizepräsidenten Dick Cheney.

Selbst von dieser halbherzigen Maßnahme distanzierte sich Obama gleich wieder. Ein Sprecher wiederholte Obamas gebetsmühlenartigen Spruch: "Wir müssen nach vorne schauen und nicht zurück." Er wies Holder die Verantwortung für eine Untersuchung zu; er werde "letztlich die Entscheidung treffen".

Die Empörung der CIA gegen die Freigabe des Berichts und die Ernennung eines Bundesanwalts grenzte an offene Insubordination. Ein Sprecher der Agentur erklärte, die Fälle seien schon von Bushs Justizministerium untersucht worden.

"Das Justizministerium verfügt seit 2004 über das vollständige Dokument, und seine zuständigen Anwälte haben es sorgfältig auf juristische Verantwortung hin untersucht", sagte CIA-Sprecher Paul Gimigliano. "Das ist doch Schnee von gestern."

Nach der Veröffentlichung des Berichts des Generalinspekteurs griff die CIA zu dem beispiellosen Schritt, zwei Geheimdokumente bekannt zu machen, deren Veröffentlichung von Cheney gefordert worden war. Der Ex-Vizepräsident behauptete, die Dokumente demonstrierten die Notwendigkeit "verschärfter Verhörtechniken".

Wie vorauszusehen war, ergaben die Dokumente keinerlei spezifische Hinweise auf Erkenntnisse, die durch Folter erlangt wurden. Stattdessen enthielten sie wild spekulative Behauptungen, dass Terrorverschwörungen durch die Verhöre der CIA gestört worden seien.

Cheney setzte die Angriffe am Dienstag fort und kritisierte die geplanten Untersuchungen des Justizministeriums in drohenden Worten. Cheney erhob den Vorwurf, sie schürten "Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, die Verantwortung für die Sicherheit unserer Nation zu tragen".

Als nach der Veröffentlichung des CIA-Berichts eine öffentliche "Debatte" einsetzte, gaben vor allem der Militär- und Geheimdienstapparat ihre Richtung vor. Sie drehte sich um die Frage, ob Folter "funktioniere", und es wurde behauptet, eine Diskussion darüber sei legitim.

Der von Obama ernannte CIA-Direktor Leon Panetta stimmte Cheney zu, dass Folter Anschläge verhindert habe. Panetta meinte: "Ob das die einzige Möglichkeit war, diese Informationen zu erhalten, darüber kann man mit guten Gründen geteilter Meinung sein. Viele Amerikaner haben über die angewandten Methoden ganz unterschiedliche Meinungen."

In diesem Zusammenhang war Obamas Entscheidung, die Überstellungen fortzusetzen, ein durchsichtiger Versuch, beim Militär- und Geheimdienstapparat gut Wetter zu machen. Selbst die Times merkte an, die Ankündigung solle "offenbar zumindest teilweise den Auswirkungen" entgegenwirken, die der Bericht des Generalinspekteurs hat.

Mit der Fortsetzung der Überstellungen bricht Obama ein weiteres Wahlversprechen. In einem Artikel in Foreign Affairs schrieb Obama 2007, er werde "extreme Überstellungen stoppen, mit denen wir Folter in andere Länder auslagern".

Viele Wähler stimmten für Obama, weil sie die Anwendung von Folter und andere illegale Methoden durch die Bush-Regierung verabscheuten. Aber seine Versprechen im Wahlkampf eines "Wandels, an den ihr glauben könnt" haben sich als völlig wertlos erwiesen; genau wie seine Antikriegshaltung und sein Versprechen, die wirtschaftsfreundliche Politik Bushs zu beenden. In jeder wesentlichen Frage setzt die Obama-Regierung die reaktionäre Politik ihres Vorgängers fort und vertieft sie.

Obamas Festhalten an Überstellungen zeigt, dass die antidemokratischen Methoden des US-Imperialismus - Folter, Entführung, Mord und Aggressionskrieg - nicht in den persönlichen Eigenschaften bestimmter Politiker verwurzelt sind und nicht durch die Ersetzung einer Partei des amerikanischen Imperialismus durch eine andere überwunden werden können.

Die Gefahr eines Polizeistaats rührt daher, dass die herrschende Klasse insgesamt zu Aggressionskriegen und Militarismus greift, um der tiefen Krise des amerikanischen Kapitalismus entgegenzuwirken. Gleichzeitig wird die Krise genutzt, um eine weitgehende Veränderung der Klassenbeziehungen in den USA im Sinne der Finanzaristokratie zu bewirken, die beide Parteien und alle Instrumente der Staatsmacht kontrolliert. Die soziale Ungleichheit hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die brutalen Methoden, die jetzt im "Krieg gegen den Terror" eingesetzt werden, schließlich auch gegen die Arbeiterklasse in den USA entfesselt werden.

Siehe auch:
Interner CIA-Bericht zeigt
(26. August 2009)
dass Agenten Gefangene folterten und töteten
( 22. August 2009)
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