Die politisch-finanziellen Skandale in Frankreich

Mit der Anklage gegen den ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac wurde erstmalig ein Verfahren gegen einen französischen Präsidenten eingeleitet. Damit haben die Ermittlungen zu politischen und wirtschaftlichen Skandalen in Frankreich das Stadium einer echten Regierungskrise erreicht. Die Anklage gegen Chirac folgt auf die Verurteilung von Ex-Innenminister Charles Pasqua zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung wegen eines Waffenverkaufs an Angola. Außerdem lief zuvor ein monatelanges Gerichtsverfahren gegen Ex-Premierminister Dominique de Villepin wegen der Clearstream-Affäre.

Da es führende Politiker sind, denen Gefängnisstrafen und öffentlicher Ansehensverlust drohen, leitet dies ein Stadium langer Gerichtsverfahren ein, die die Gefahr der Diskreditierung des gesamten politischen Establishments beinhalten - was ausreicht, um "die Republik zwanzigmal in die Luft zu jagen", wie es der verurteilte Ölmagnat Alfred Sirven vor seinem Verfahren 2001 formulierte.

Die Anklage gegen ein ehemaliges Staatsoberhaupt ist nur ein Anzeichen für die explosiven Spannungen in der derzeitigen Situation. Pasqua reagierte auf seine Verurteilung mit der Erklärung, seine Taten seien Chirac, Edouard Balladur (ehemals enger Vertrauter von Präsident Nicolas Sarkozy) und dem späteren Parteivorsitzenden der Sozialisten, Francois Mitterrand, der von 1981 bis 1995 Präsident war, bekannt gewesen. Pasqua forderte, bei allen Ermittlungen zu politisch-finanziellen Skandalen die Berufung auf Staatsgeheimnisse außer Kraft zu setzen.

Bei den Skandalen der späten 1980 und 1990er Jahre kam eine Reihe von Schmiergeldzahlungen ans Licht der Öffentlichkeit. In ihnen kamen die sich verschärfenden Widersprüche in der politischen Nachkriegsordnung zum Ausdruck - so zwischen dem Staatsbesitz an Schlüsselindustrien und dem Streben von Managern und Politikern nach immer größeren Vermögen und dem Wunsch unpopuläre rechte Parteien zu finanzieren; des Weiteren die Widersprüche zwischen dem französischen Imperialismus und seinen Konkurrenten, besonders den USA, deren Druck auf Frankreich ständig zunahm.

Einer der Skandale ist die Elf-Affäre, als in den frühen 1990er Jahren Schmiergelder der Ölfirma Elf-Aquitaine (jetzt Total) an französische Geschäftsleute und Politiker, sowie an pro-französische afrikanische Politiker flossen. Auch der als Angolagate bezeichnete Skandal, bei dem zwischen 1993 bis 1998 Einnahmen aus Waffenverkäufen nach Angola für Zahlungen an Politiker und Mafiosi verwendet wurden. Weiter die Affäre um die taiwanesischen Fregatten, bei der in den frühen 1990er Jahren Franzosen und Taiwanesen ein Vermögen durch den überhöhten Preis machten, den Taiwan an Frankreich bezahlte. Die Affäre sollte durch mehrere Morde und verdächtige Selbstmorde vertuscht werden. Der Skandal um "fiktive Anstellungen", wo die Stadt Paris ungerechtfertigter Weise Beamte der Partei des damaligen Pariser Bürgermeisters Chirac entlohnte, was als Teil eines umfassenderen Systems von Stimmenkauf und finanzieller Einflussnahme durch Scheinfirmen ablief.

Das Clearstream-Verfahren geht auf Anschuldigungen Sarkozys zurück, Villepin habe durch Manipulationen versucht, finanzpolitische Ermittlungen gegen ihn in Gang zu setzen, um ihn zu verleumden

Bis zum heutigen Tag wurde jede ernsthafte Untersuchung dieser Skandale blockiert und die wenigen schuldig gesprochenen Personen wurden nur milde bestraft. In den Elf-Verfahren von 2002 bis 2003 wurde kein Politiker schuldig gesprochen. Ein Elf-Manager, André Tarello wurde überführt, verließ das Gefängnis jedoch schon zwei Monate nach seiner Verurteilung, ohne seine Geldstrafe in Höhe von zwei Millionen Euro jemals zu bezahlen.

Durch das wiederholte Berufen rechter und linker Regierungen auf staatliche Geheimhaltungsbestimmungen wurden die Ermittlungen zu den taiwanesischen Fregatten blockiert.

Als Sarkozy sein Amt 2007 antrat, beabsichtigte er, diese Affären gegen seine Rivalen aus der Entourage Chiracs zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Allgemein bekannt ist, dass er die Clearstream-Affäre meinte, als er auf einem Treffen von Lagardère-Managern sagte: "Es wird Blut an die Wände spritzen. Wenn ich an die Regierung komme, werden wir sie an Fleischerhaken aufhängen."

Zusätzlich hoffte Sarkozy, sich der Skandale zu seinen eigenen Gunsten bedienen zu können, indem alle Ermittlungen bis zum Ende seiner Präsidentschaft abgeschlossen werden. Im Januar kündigte er an, dass die Ermittlungsrichter ab nächstem Jahr gestrichen würden. Diese Richter waren bisher für die Leitung der Ermittlungen bei den Skandalen zuständig.

Im dem politischen Klima, das Sarkozy schuf, als er Villepin aufs Korn nahm, reagierte die Justiz mit einer Verschärfung der Krise. Als sie Pasqua zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilte, ging sie über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus. Durch die Klage gegen Chirac treibt die Justiz Sarkozys Kampagne ihrem logischen Endpunkt entgegen: Der Abrechnung im Establishment in den Gerichtssälen.

Der Kampf spiegelt die gewaltigen imperialistischen Interessen wider, die auf dem Spiel stehen, und sich in den Veränderungen in der Politik Sarkozys im Vergleich zu Chirac zeigen, der das Amt von 1995 bis 2007 innehatte.

Die finanzpolitischen Skandale der 1990er Jahre wurzelten in der traditionellen gaullistischen Haltung Frankreichs, eine halbwegs von den USA unabhängige Außenpolitik zu betreiben - das äußerte sich insbesondere in der Bewahrung einer unabhängigen Waffenindustrie und den ständigen Bemühungen Frankreichs um Einflussnahme auf seine ehemaligen afrikanischen Kolonien. In Angola, im Kongo und in weiteren afrikanischen Ländern kam Frankreich Regimes zu Hilfe, die mit amerikanisch unterstützten Oppositionsbewegungen konfrontiert waren - am niederträchtigsten war die Hilfe für das Hutu-Regime, das 1994 den Genozid in Ruanda verübte. Die Bildung der deutsch-französischen Rüstungsschmiede EADS im Jahr 1999 war eine kaschierte Kampfansage an die amerikanischen Interessen in der Luft- und Raumfahrt und verwickelte Frankreich zudem wiederholt in wirtschaftliche Konflikte mit Deutschland.

Chiracs Präsidentschaft wurde allgemein als Fortsetzung dieser traditionellen Politik angesehen. Er und der damalige Außenminister Villepin widersetzten sich 2003 in der UNO dem Drängen der Regierung Bush nach einem Krieg gegen den Irak und zusammen mit Deutschland und Russland organisierte er ein loses Bündnis gegen die USA. Auch widersetzte sich Chirac Aufforderungen zur Reintegration Frankreichs in die Kommandostruktur der Nato, die es 1966 unter dem damaligen Präsidenten Charles de Gaulle verlassen hatte.

In den letzten Jahren seiner Amtszeit entwickelte sich ein wachsender Widerstand der Arbeiterklasse gegen Chirac. Das Scheitern des Referendums zur Europäischen Verfassung im Jahr 2005 und breite Massendemonstrationen gegen Chiracs Sozialkürzungen hatten zur Folge, dass sich innerhalb der Bourgeoisie Widerstand gegen Chiracs Regierungsführung breit machte. Sie begann sich an Sarkozy zu orientieren. Zur gleichen Zeit veranlasste die Krise des globalen imperialistischen Systems, die ihren Ausdruck in den amerikanischen Debakeln im Irak und in Afghanistan fand, die französische Bourgeoisie, sich zur Verteidigung ihrer Interessen im Ausland den USA wieder anzunähern.

Nach seiner Wahl 2007 ließ Sarkozy das traditionelle gaullistische Gerede über die Weltgeltung Frankreichs fallen. Er befleißigte sich zunehmend eines nationalchauvinistischen Auftretens, um die neofaschistische Wählerschaft an sich zu binden, und orientierte sich außenpolitisch immer mehr an Washington. Er betrieb die Wiederaufnahme Frankreichs in die Nato und die Unterstützung für den Irakkrieg und entsandte mehr Truppen nach Afghanistan und an den Persischen Golf. Weiter pflegte er eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, womit es ihm gelang, die Sozialleistungen der Arbeiter noch umfassender zu kürzen.

Dass diese Fragen im Wahlkampf 2007 weitgehend aus der Debatte ausgeklammert blieben, während Law-and-Order-Demagogie sowohl die Kampagne Sarkozys als auch die der sozialistischen Kandidatin Ségolène Royal prägten, zeugt vom völligen Niedergang der französischen Demokratie.

Die in den Gerichten stattfindenden Auseinandersetzungen müssen für die Arbeiterklasse ein ernstes Alarmzeichen sein. Diese sorgfältig ausgeheckten, politisch motivierten Ermittlungen und Gerichtsverfahren sind in erster Linie ein Versuch, außerhalb des üblichen Wahlverfahrens politische Differenzen innerhalb der herrschenden Klasse zu regeln und so das ganze Ausmaß ihrer verbrecherischen Machenschaften zu verbergen. Somit ist ihr Inhalt bodenlos antidemokratisch und reaktionär.

Soweit der politische Kampf auf fraktionelle Kämpfe innerhalb der Bourgeoisie beschränkt bleibt, läuft er unvermeidlich in Richtung reaktionärer Übereinkünfte auf Kosten der Arbeiter - was für Frankreich selbst, aber auch für die vom französischen Imperialismus ins Visier genommenen Länder zutrifft.

Siehe auch:
Sarkozy propagiert Sparpolitik und ausländerfeindlichen Chauvinismus
(8. Juli 2009)
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