Die Kriegsbefürworter bei The Nation und Obamas Eskalation in Afghanistan

Das linksliberale amerikanische Magazin The Nation hat auf die Rede von Präsident Barack Obama am Dienstagabend, in der er die Entsendung von zusätzlichen 30.000 Soldaten nach Afghanistan bekannt gab, mit einer ganzen Reihe von Artikeln reagiert. Diese Artikel versuchen den Schaden zu begrenzen und gleichzeitig die amerikanische Bevölkerung erneut in die Irre zu führen und im Rahmen des gegenwärtigen politischen Systems zu halten.

Obamas Rede war sowohl ein Wendepunkt in der amerikanischen Intervention in der Region als auch für die Regierung Obamas selbst. Die unter der Parole des "Wandels" mit Hilfe "linker" Kräfte wie der Nation gewählte Regierung hat ihren militaristischen Charakter jetzt voll enthüllt. Die Eskalation in Afghanistan wird zu massiver Zerstörung und Tod, zu neuen Gräueltaten und weiteren Kriegsverbrechen führen, alles im Dienste der wirtschaftlichen und politischen Interessen der herrschenden Elite der USA.

Die Nation unterstützte Obama im Sommer und Herbst 2008 sehr stark. Im Juli 2008 brachte das Magazin einen offenen Brief an den Demokratischen Präsidentschaftskandidaten in Umlauf ("Wandel, an den wir glauben können"), der von zahlreichen prominenten amerikanischen Liberalen unterzeichnet wurde, darunter von Phil Donahue, Barbara Ehrenreich, Jodie Evans von CodePink, Eric Foner, Eli Pariser von MoveOn.org, Norman Solomon, Studs Terkel, Gore Vidal, Howard Zinn und anderen). In dem Brief hieß es:

"Ihre Kandidatur hat große Begeisterung hervorgerufen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In Ihren Reden haben Sie die Vision einer besseren Zukunft entworfen, die Wähler auf allen Seiten des politischen Spektrums elektrisiert hat. In dieser Vision wenden sich die Vereinigten Staaten außenpolitisch von ihrer kriegerischen Haltung in aller Welt ab und konzentrieren sich auf Diplomatie und setzen sich innenpolitisch für mehr Gleichheit und Freiheit für ihre Bürger ein."

Am Vorabend der Wahl im vergangenen Oktober bekräftigte ein Leitartikel der Nation, dass "sich die amerikanische Demokratie erneut an einem Wendepunkt befindet und vor einem neuen demokratischen Weg steht. Die Alternative zwischen Barack Obama und John McCain könnte kaum klarer sein".

Die Rede Obamas vom 1. Dezember und der offen militaristische und aggressive Charakter seiner Politik, sowie die offensichtliche Fortsetzung der Politik Bushs sind der Nation peinlich und bringen sie in eine unangenehme politische Situation. Sie steht am Pranger als Helfer eines imperialistischen Kriegs und politischer Reaktion.

Die Herausgeber des Magazins haben aber noch größere Probleme. In den zehn Monaten ihrer Amtszeit hat die Regierung Milliarden den Banken gegeben, tut aber nichts gegen die Arbeitslosigkeit, und wird jetzt den neokolonialen Krieg in Zentralasien enorm intensivieren. Das produziert in breiten Teilen der Bevölkerung Desillusionierung und Enttäuschung. Zwangsläufig wird diese Stimmung auch in offene Opposition umschlagen.

Vor allem die Gefahr eines Bruchs breiter Bevölkerungsschichten mit Obama und den Demokraten veranlasst die Herausgeber und Autoren der Nation zu ihrer publizistischen Offensive.

Es wäre falsch, die Nation als ernsthafte Anti-Kriegsstimme zu charakterisieren, oder als Gegnerin des amerikanischen Imperialismus. Die führenden Artikel des Magazins über Obamas Rede vom Dienstag von Katrina vanden Heuvel, Tom Hayden, John Nichols, Robert Dreyfuss und Robert Scheer machen keinen Versuch, Obamas Lügen und Widersprüche zu sezieren. Auch die Forderung nach einem sofortigen Rückzug der amerikanischen Truppen aus der Region kommt nicht vor. Die Frage des Kolonialismus oder der geopolitischen Interessen der USA findet keine Erwähnung. Die Worte "Öl" und "Energie" kommen in den mehr als 5.000 Worten dieser Artikel nicht vor.

Die Autoren der Nation äußern praktisch kein Mitgefühl mit dem Jahrzehnte langen Leid des afghanischen Volkes infolge der Interventionen der USA. (Hayden ist der Einzige, der das menschliche Leid überhaupt erwähnt, wenn auch nur mit dem oberflächlichen Kommentar, dass "über die zivilen Opfer nach Angaben der UN-Mission in Afghanistan unzureichend berichtet wird".) Kundus, vor kurzem Szene eines Massakers, und Bagram, der US-Stützpunkt, wo gefoltert und getötet wurde, werden nicht erwähnt. Bemerkenswerter Weise kommt das Wort Folter in allen diesen Artikeln nur (bei Nichols) im Zusammenhang mit Obamas angeblichen inneren Qualen über die Entscheidung zur Entsendung zusätzlicher Truppen vor, als er einen Weg suchte, Befürworter und Gegner gleichermaßen zufrieden zu stellen.

Die Nation behandelt die Intervention in Afghanistan mehr oder weniger wie die etablierten Medien auch: als entweder geeignete oder fehlgeleitete Methode, die amerikanischen Interessen zu verteidigen, oder Afghanistan und die Region "sicher" und "stabil" zu machen. Das Magazin ist selbst ein durch und durch im Mainstream etabliertes Organ.

Nichols nennt Obamas Rede (unter dem Titel "Obama hat gesprochen - Diskutieren wir jetzt darüber") eine "sorgfältig komponierte und nuancierte Aufforderung... für die Fortsetzung der amerikanischen Besetzung Afghanistans". Er gibt respektvoll seine abweichende Meinung zur Eskalation zu Protokoll und fordert eine Debatte im Kongress.

Robert Dreyfuss, frisch von seiner Dienstreise im Interesse der Destabilisierung des Iran zurück, schreibt (in dem Artikel "Exit 2011?"): "Nach langen Diskussionen mit vielen, vielleicht den meisten von Obamas Beratern für Afghanistan und Pakistan in den letzten beiden Jahren ist mir klar, dass diese Berater leidenschaftlich der Meinung sind, dass es in diesem Konflikt um wesentliche amerikanische Interessen geht." Auch er erlaubt sich, anderer Meinung zu sein.

Dieses außerordentliche Geständnis der Nähe zu hohen Vertretern des amerikanischen Staatsapparats erscheint in einer angeblich "linken" Publikation. Dreyfuss verbürgt sich vorbehaltlos für Obama: "Er und sein Team sind keine Anhänger globaler, militärischer Hegemonie der Vereinigten Staaten."

Vanden Heuvel, Herausgeberin und Chefredakteurin von The Nation, die letzten November kaum ihre Verzückung über den Sieg Obamas kontrollieren konnte, nennt Obamas Rede "einen tragischen Moment - für die Nation, wie für seine Präsidentschaft" (aber scheinbar nicht für die Bevölkerung Zentralasiens, die bei weitem am meisten leiden wird). Mit "tragisch" meint sie, obwohl sie es nicht ausspricht, dass die Entscheidung für die Eskalation Obama politisch entlarvt.

Der liberale Filmemacher Michael Moore spricht in seinem offenen Brief an Obama am Vorabend der West Point Rede offener. Er erklärt, dass eine Eskalation "das Schlimmste wäre, was Sie tun können: Sie wird die Hoffnung und die Träume zerstören, die Millionen in Sie gesetzt haben".

Vanden Heuvel schreibt in ihrem Artikel in der Nation von "dem Präsidenten, in den wir hohe Erwartungen gesetzt hatten", der "einen Krieg verschärft, der unserem Land leicht die Mittel entziehen könnte, die es braucht, sein Versprechen einzulösen, und der wenig oder gar nichts dazu beiträgt, uns oder die Region sicherer und stabiler zu machen." Aber warum hatten sie und ihre Redaktion solche Erwartungen? Warum haben sie nichts verstanden und vorausgesehen?

Tom Hayden und Robert Scheer sind Veteranen der Protestbewegungen der 1960er Jahre. Sie versuchen sich in einen etwas linkeren Mantel zu hüllen. Hayden, ehemaliger Abgeordneter der Demokraten in Kalifornien, erklärt dramatisch (in "Obama verkündet Eskalation in Afghanistan"): "Es ist Zeit, dass ich den Obama-Aufkleber von meinem Auto abmache", woraufhin er seinen Lesern eilig versichert, er werde Obama auch bei der Wahl in 2012 unterstützen!

Scheer liefert (in "Afghanistan: Noch ein Versuch") eine Geschichte der amerikanischen Interventionen in Afghanistan und berücksichtigt dabei auch die Rolle von Präsident Jimmy Carter, von dessen Nationalem Sicherheitsberater und heutigen Berater Obamas, Zbigniew Brzezinski, und von Richard Holbrooke, "heute Obamas ziviler Aufpasser in Afghanistan", bei der Förderung und Finanzierung des islamischen Fundamentalismus.

Scheer, ehemals Chefredakteur des Magazins Ramparts, zieht aus dieser Geschichte aber keine Schlussfolgerungen. Er merkt lediglich zynisch an: "Also verkaufen wir den Eingeborenen wieder einmal Feuerwasser und nennen es Rettung." Was machen die USA in Afghanistan? Er hat keine Ahnung. "Dank des politischen Opportunismus unseres Oberkommandierenden ist für den Afghanistankrieg kein Ende und kein logischer Sinn in Sicht."

Was empfehlen die Autoren der Nation angesichts der Eskalation in Afghanistan zu tun?

Vanden Heuvel beklagt die anhaltende Kontrolle des "nationalen Sicherheitsstaats" und den Mangel an "entgegenwirkenden Stimmen oder Machtzentren oder Autoritäten, die die liberalen Falken und Befürworter der Intervention stoppen." Sie tritt, scheinbar ernst gemeint, dafür ein, einen neuen Think Tank für "Fragen der nationalen Sicherheit" zu bilden, und "eine breite Bewegung für den Wandel" ins Leben zu rufen, deren inhaltliche Ausrichtung im Dunkeln bleibt.

Die bevorzugte Lösung der Autoren ist das Ausüben von Druck auf "progressive" Demokratische Abgeordnete im Kongress. Sie sollen die Bewilligung von Geld für den Afghanistankrieg verzögern oder blockieren. Das entspricht der Grundorientierung der Nation, Illusionen in die Demokratische Partei zu stärken oder wiederzubeleben.

So setzt Hayden Hoffnung in die "Resolution des Abgeordneten Jim McGovern, die eine Exit-Strategie einfordert und 100 Unterzeichner hat, und in den schärferen Gesetzentwurf der Abgeordneten Barbara Lee, der die Finanzierung der Eskalation verhindern soll und 23 Mitunterzeichner hat.

Er fährt fort: "Politische Schlüsselfragen in der unmittelbaren Zukunft sind, ob der Abgeordnete David Obey, Vorsitzender des Haushaltausschusses, die Finanzierung für Afghanistan ohne Steuererhöhungen ablehnt, oder ob er nur blufft, und ob Senator Russ Feingold seinen Gesetzentwurf für einen Zeitplan für den Abzug voranbringt."

Auch Nichols starrt auf die "beträchtliche Unruhe unter Demokraten über Obamas Plan, Zehntausende zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken." Auch er erwähnt die Abgeordneten McGovern und Obey, Senator Feingold und den Unabhängigen Bernie Sanders aus Vermont. Aber Nichols geht noch weiter und macht Hoffnung, dass sogar ganz rechte Republikaner einen Block mit den "Anti-Kriegs"-Demokraten bilden könnten. Er zitiert zustimmend die Position des Abgeordneten Walter Jones Jr. aus North-Carolina, der sich selbst als "Pat Buchanan-Amerikaner" beschreibt. (Anm. d. Übers.:Buchanan gilt als rechtskonservativer Politiker, der glaubt, dass die Republikanische Partei mit ihren eigenen Prinzipien gebrochen habe.)

Es gibt kaum eine phantastischere und lächerlichere Politik, als sich auf die Demokraten (und Republikaner) im Kongress zu verlassen, um die Kriege im Irak und in Afghanistan zu beenden. Obamas Entscheidung, den Konflikt zu beschleunigen, zeigt erneut, dass die Demokratische Partei eine imperialistische Partei ist, die den Interessen der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzoligarchie verpflichtet ist.

Die Redaktion der Nation setzt sich aus Liberalen, ehemals Linken und Opportunisten aller Schattierungen zusammen und drückt die Interessen von Teilen der oberen Mittelschichten aus. Ihre kollektive Oberflächlichkeit, Selbsttäuschung und ihr Impressionismus haben eine gesellschaftliche Basis. Die Autoren der Nation sprechen für eine sehr privilegierte und selbstzufriedene Schicht der Bevölkerung, die von den militärischen und ökonomischen Folgen der Politik der Obama-Regierung nicht betroffen ist.

Die prominenten amerikanischen "Linken" unterstützten Obama 2008 wie ein Mann oder eine Frau und begrüßten den Sieg eines afroamerikanischen Kandidaten enthusiastisch als "historischen" Moment. Personen, die für ihre Opposition zum Status Quo bekannt sind, wie Moore, die Professoren Zinn und Noam Chomsky, Naomi Klein und viele andere stellten sich hinter den Demokratischen Kandidaten und täuschten die amerikanische Bevölkerung.

Solche Worte und politische Unterstützung haben Folgen. Die Nation hat Tausende Leser, die gerade erwähnten Prominenten haben ein großes Publikum. Diese "Linke" ist mitverantwortlich für Obamas Politik, auch für die blutigen Folgen seiner Entscheidung, 30.000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

Die Eskalation in Afghanistan bestätigt die Perspektive der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party: d.h. unsere kompromisslose Opposition gegen die Obama-Regierung und die Demokraten. Wir gehen von einer Klassenanalyse dieser Regierung und der Demokraten aus.

Die alte "Antikriegsbewegung" ist zusammengebrochen, weil ernst gemeinter Protest gegen die Krise im Nahen Osten und Zentralasien der Unterstützung für Obama in die Quere kommt. Widerstand gegen Obamas Kriege kann sich nur auf der Grundlage einer sozialistischen Opposition gegen den Imperialismus als globales System und einer Hinwendung zur Arbeiterklasse entwickeln. Diese ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die die Ursache von imperialistischem Krieg und Unterdrückung beseitigen kann.

Siehe auch:
Warum The Nation zu Cindy Sheehans Austritt aus der Demokratischen Partei schweigt
(29. Juni 2007)
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