Frankreich: Mit seiner Kampagne zur nationalen Identität stärkt Sarkozy die Nationale Front

In einem Meinungsartikel in Le Monde vom 9. Dezember appellierte der französische Präsident Nicolas Sarkozy in extrem nationalistischer und kaum verhüllt islamophobischer Weise an die reaktionärsten Kräfte der französischen Gesellschaft.

Damit ist die Absicht verbunden, eine soziale Basis für die Durchsetzung autoritärer Herrschaftsformen zu schaffen, die die Arbeiterklasse für die Wirtschaftskrise und die riesigen, aus den Rettungsmaßnahmen für die Banken resultierenden Staatsschulden zahlen lässt. Weiter soll ein gesellschaftliches Klima zur Rechtfertigung der imperialistischen Außenpolitik Frankreichs erzeugt werden. Dazu gehört die unpopuläre militärische Intervention in Afghanistan, wo konkurrierende imperialistische Mächte um die strategischen Schätze der Welt ringen, vor allem um Öl- und Gasvorräte.

In dem Artikel wird voller Nachdruck das kürzlich in der Schweiz durchgeführte Referendum zum Verbot von Minaretten verteidigt. Sarkozy behauptet, das schweizerische Referendum anzugreifen, hieße, "das schweizerische Volk" anzugreifen, "eine Verachtung für das Volk" und "ein organisches Misstrauen gegenüber allem, was aus dem Volk kommt", an den Tag zu legen. Er bestreitet, dass die Abstimmung die "Religionsfreiheit oder Gewissensfreiheit" beeinträchtige.

Sarkozy stellt sich mit seinem öffentlichen Kommentar zum Ergebnis des schweizerischen Referendums an die Spitze der europäischen Rechten. Faktisch besetzt Sarkozy auch Positionen rechts von den Regierungsparteien in der Schweiz, die das Verbot abgelehnt hatten - sei es auch nur, weil sie mögliche Nachteile für Banken, Handel und Tourismusgeschäft befürchteten.

Das Gesetz wird derzeit von Moslemgruppen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Unvereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention angefochten. Diese Gruppen argumentieren, das Gesetz sei diskriminierend, da es sich ausschließlich gegen den Islam richte.

Sarkozys Artikel ist Teilstück einer Kampagne zur nationalen Identität, die von seinem, sich mehr und mehr fanatisch gebärdenden, Immigrationsminister Eric Besson angeführt wird. Dieser war früher Sprecher der Sozialistischen Partei für Wirtschaftsfragen. Staatlicher Rassismus und Islamphobie fanden ihren Ausdruck schon 2004 im Gesetz zum Kopftuchverbot für Schulmädchen und in der Gesetzesvorlage zur Verbannung der Burka aus dem öffentlichen Raum; diese Stimmungen werden mit der gegenwärtigen Kampagne erneut intensiviert. Die Anti-Burka-Kommission leitet der Abgeordnete der Kommunistischen Partei André Gerin. Vertreter aller im Parlament vertretenen Parteien, auch die Sozialistische Partei und die Grünen, unterstützen ihn dabei.

Gegen den ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung ordnete Besson kürzlich die zwangsweise Repatriierung von neun Afghanen an. Diese Personen, deren Sicherheit keinesfalls gewährleistet werden kann, wurden gemeinsam mit der britischen Regierung mit einem Flugzeug nach Kabul verbracht.

Höchst beachtenswert an Sarkozys Rechtspopulismus ist, dass er die Klassenspaltung im "Volk" überhaupt nicht anerkennt und ausschließlich religiöse Begriffe zur Definition gesellschaftlicher Kategorien verwendet: "Christ, Jude oder Moslem, Gläubiger, egal, welcher Glaube oder welchen Bekenntnisses..."

Sarkozy betont die grundsätzlich "christliche Kultur" Frankreichs und die "Werte der Republik" und warnt Neuankömmlinge, insbesondere Moslems, dass jede Infragestellung dieser "Werte" ihrerseits "...den so notwendigen Aufbau eines französischen Islam zum Scheitern verurteilen würde."

Er wendet sich an "meine muslimischen Landsleute" und erklärt jedem potentiellen Einwanderer, er oder sie sollte "jede Zurschaustellung und Provokation vermeiden und im glücklichen Bewusstsein, in einem freien Land leben zu können, seine Religion mit demütiger Diskretion ausüben" und sich "ohne Reibungsverluste in unseren sozialen und zivilen Pakt" einordnen.

Sarkozy schwärzt Einwanderer als antisozial an, verlangt deren völlige Unterwerfung unter den bürgerlichen Staat und behauptet: "Nationale Identität ist das Mittel gegen die Orientierung nach Stammesstrukturen und religiösen Gemeinschaften."

Medien und politische Kommentatoren sind im Irrtum, wenn sie annehmen, die Kampagne zur nationalen Identität sei lediglich eine Taktik, die weit rechts stehende Wählerschaft von Jean-Marie Le Pens Nationaler Front (NF) in den für März 2010 vorgesehenen Regionalwahlen an sich zu binden. Das Gegenteil ist der Fall. Sarkozy weiß, dass die bisherigen politischen Mechanismen zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft in Frankreich nicht mehr ausreichen. Seit der Befreiung 1944 funktionierten sie - auf Grundlage der politischen Unterwerfung der Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften - durch einen Wechsel zwischen "linken" Regierungen und Regierungen von Gaullisten sowie anderen konservativen Parteien. Der entscheidende Wendepunkt war 2002, als der Kandidat der Sozialistischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen, Lionel Jospin, auf den dritten Platz verwiesen wurde und somit aus dem Rennen gegen den gaullistischen Kandidaten Jacques Chirac geworfen wurde.

Seit seiner Amtsübernahme im Mai 2007 stützt sich Sarkozy auf die Gewerkschaften. Diese ließen mit punktuell gesetzten, eintägigen Streiks Dampf ab und isolierten die kämpfenden Arbeiter, damit Sarkozy eine Reihe von Angriffen auf Arbeitsbedingungen, soziale Rechte (besonders Renten) und soziale Dienstleistungen, insbesondere Gesundheits- und Bildungswesen, durchführen konnte.

Inzwischen gilt es als Binsenwahrheit, dass die Beteiligung Bernard Thibaults an diesem Spiel für Sarkozys Erfolg entscheidend war. Thibault ist Vorsitzender der größten französischen Gewerkschaft CGT (die enge Bindungen zur stalinistischen Kommunistischen Partei KPF unterhält).

In der Ausgabe vom 28. November der viel gelesenen Wochenzeitung Marianne wird berichtet: "In diesen Krisenzeiten haben Staatsoberhaupt und Generalsekretär der größten französischen Gewerkschaft eigenartig friedfertig zusammengefunden." Ein Berater des Präsidenten wird zitiert: "Das war ein wundersamer Herbst, kein gekidnappter Boss. Kein Student auf der Straße, nicht eine Demonstration!... Gemeinsam kanalisierten Sarkozy und Thibault die Unzufriedenheit und löschten Brände, sodass wir eine schreckliche Zeit ruhig durchstanden."

Sarkozy und seinen Beratern ist klar, dass die Gewerkschaften den Widerstand der Arbeiter nicht mehr lange werden aufhalten können. Die Gewerkschaften sind nur noch bürokratischen Strukturen, die zu weiten Teilen vom Staat und den Arbeitgebern finanzierten werden. Die Mitgliedschaft aller Gewerkschaften umfasst nur noch weniger als acht Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Das ist die geringste Rate in den 30 Industrieländern der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Etwa 800.000 Arbeitslose sind jetzt mit dem Auslaufen ihrer Leistungen im Jahr 2010 konfrontiert und man rechnet mit einem Ansteigen der Arbeitslosenrate auf über zehn Prozent im neuen Jahr. Die für die Rückzahlung der riesigen Schulden, die die Rettungsaktionen für Banken und Industrie verursacht haben, notwendigen Leistungskürzungen werden diejenigen auf ein Minimum setzen, die in den ersten zweieinhalb Jahren der fünfjährigen Amtsperiode Sarkozys schon die Hauptlasten der Krise zu tragen hatten.

In der Krise bringt die Bourgeoisie die Neue Antikapitalistische Partei Olivier Besancenots (NAP) als Koalitionspartner der Sozialistischen Partei (SP) und der Kommunistischen Partei (KPF) ins Gespräch. Sie muss aber gleichzeitig die reaktionärsten Kräfte aufbauen, die als Rammbock gegen den unvermeidbaren Klassenkampf eingesetzt werden sollen. Das ist unvermeidbar, da sie die Last der Wirtschaftskrise den Arbeitern und der Jugend aufbürden will.

Es gibt Anzeichen, dass Sarkozys ins Auge springende weitgehende Übernahme von Programm und Ideologie der Nationalen Front die Neofaschisten eher stärkt, als dass er damit extrem rechte Wähler anzieht. Die Tochter und mutmaßliche Nachfolgerin Le Pens, Marine Le Pen, ist im Fernsehen zu sehen, wie sie auf Märkten Flugblätter mit der Überschrift "Nationale Identität" verteilt. Meinungsumfragen sagen für die FN bei den Regionalwahlen einen Stimmenanteil von zehn Prozent voraus, was vor allem auf Kosten der regierenden UMP (Union für eine Volksbewegung) gehen könnte. Sarkozys Zustimmungsraten sinken derzeit auf unter 40 Prozent.

Die Ablehnung der korrupten pro-kapitalistischen Politik der linken bürgerlichen Parteien, wie auch der UMP führten dieses Jahr bei den Nachwahlen in Henin-Beaumont fast zum Sieg der FN. Eine Koalition aus Neuer Antikapitalistischer Partei, SP, Grünen und der UMP unterstützten eine unabhängige "linke" Liste, die die FN mit Hängen und Würgen noch überrundete.

Familienministerin Nadine Morano sorgte für öffentliche Aufregung, als sie erklärte, dass sie von "einem jungen Moslem erwarte,... dass er Arbeit annehme...keinen Slang spreche...und seine Kappe nicht falsch herum trage."

Moranos Bemerkungen werden von der französischen Jugend jedweder Herkunft als Abwertung aufgefasst. In einem Land, in dem fast ein Viertel der Bevölkerung mindestens einen eingewanderten Großelternteil hat, kann die rassistische Karte auf den zurückschlagen, der sie ausspielt. Eine derartige Rhetorik schafft Verärgerung weit über die städtischen Ghettos hinaus.

Unflätiger war noch die Erklärung André Valentins, Präfekt von La Meuse und UMP-Bürgermeister von Gussainville, auf einer Versammlung zum Thema Nationale Identität am 1. Dezember. Nach einem Bericht von Médiapart sagte er dort: "Wir werden überschwemmt...Es sind schon zehn Millionen von ihnen da...zehn Millionen, denen wir das süße Nichtstun finanzieren."

Auf die Aufforderung des UMP-Abgeordneten von La Meuse, Bertrand Pancher, Valentin dafür aus der Partei auszuschließen, nahm Besson ihn in Schutz und sagte, es habe sich lediglich um "eine unglückliche Formulierung" gehandelt.

Bei Teilen der politischen Elite wächst die Befürchtung, die von Sarkozy und Besson in Gang gesetzte Kampagne zur nationalen Identität könne aus dem Ruder laufen. AFP zitiert den UMP-Abgeordneten Jean-Pierre Grand, einen Anhänger des mit Sarkozy rivalisierenden Dominique de Villepin, der die Kampagne als "herrlichen Rückenwind für die Nationale Front" bezeichnete. Und weiter: "Ich beklage sie zutiefst."

Auch die vormaligen Premierminister der UMP de Villepin, Jean-Pierre Raffarin und Allain Juppé haben Sarkozys Artikel und die ganze Kampagne zur nationalen Identität öffentlich missbilligt.

Die Sozialistische Partei lehnt die Kampagne Sarkozys vom Standpunkt der Verteidigung des nationalen Zusammenhalts ab, d.h. sie ist gegen jeden, nationale und ethnische Schranken überwindenden, Kampf der Arbeiterklasse.

Ihre Unterstützung, und die ihrer Verbündeten aus der Mehrheitslinken, für das Kopftuchverbot, für den Feldzug gegen die Burka und für eine restriktive Einwanderungspolitik und ebenso ihre Unterstützung für die militärischen Abenteuer des französischen Imperialismus in Afghanistan und anderswo, sind integraler und notwendiger Bestandteil von Sarkozys Wende zum offenen Rassismus. Das gleiche gilt für die Mitarbeit der Gewerkschaften, insbesondere die Unterstützung der CGT, für die nationale Industrie zum Nachteil ausländischer Arbeiter.

Zur Verteidigung ihrer unabhängigen Klasseninteressen und für eine sozialistische Lösung der Krise in Frankreich, Europa und auf internationaler Ebene ist es unabdingbar, dass Arbeiter und Jugendliche den Kampf gegen jeden Ausdruck von Nationalismus führen.

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