Griechenland: WSWS spricht mit Studenten in Athen

Ein Reporterteam der World Socialist Web Site sprach an der Athener Universität und dem Polytechnikum mit Studenten. Einige hatten an den jüngsten Streiks und Protesten gegen die Sparmaßnahmen der sozialdemokratischen PASOK-Regierung von Giorgos Papandreou teilgenommen. Die Studenten berichteten auch über die Bildungskürzungen, die schon in den letzten Jahren stattgefunden hatten.

Schon vor dem Beginn der aktuellen Schuldenkrise wurden scharfe Kürzungen durchgeführt. Wirtschafts- und Finanzminister George Alogoskoufis von der damaligen konservativen Regierung der Neuen Demokratie kürzte 2008 die Bildungsausgaben um 280 Millionen Euro oder ein Prozent. Das war Bestandteil einer generellen Kürzung der Staatsausgaben. In den fünf Jahren vor 2008 waren die Bildungsausgaben regelmäßig reduziert worden. Ende 2008 betrug der Bildungsetat gerade einmal 2.9 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das ist der niedrigste Wert in der ganzen EU.

Letztes Jahr protestierten mehrere Universitäten gegen die Entscheidung des Bildungsministeriums, die Abonnements für wissenschaftliche Zeitschriften nicht mehr zu bezahlen, die für den Lehrkörper unverzichtbar sind. Eine andere Universität protestierte, weil in Auftrag gegebne Forschung nicht mehr bezahlt wurde, und ging juristisch gegen das Ministerium vor.

Die WSWS sprach mit John, einem Jurastudenten im ersten Jahr an der Universität Athen. Er sagte: "Alle Studenten hier sind gegen diese Maßnahmen. Wir sind von PASOK und den anderen Parteien enttäuscht. Ich habe mich an allen Protesten der letzten Wochen gegen die Regierung beteiligt. Ich finde, wir haben die Verantwortung, uns einzumischen, weil wir in Zukunft Arbeit finden müssen. Außerdem haben wir Eltern, die auch zu kämpfen haben.

Einige Studenten denken, dass es einen Unterschied zwischen uns und den Arbeitern gibt, aber das stimmt nicht. Der einzige Unterschied besteht in unserem Alter. In fünf oder sechs Jahren sind wir auch auf dem Arbeitsmarkt. Meine Eltern arbeiten beide im öffentlichen Dienst und die Regierung versucht die Anzahl der Staatsbediensteten zu verringern.

Es ist schwer für unsere Familien, zurechtzukommen. Sie müssen für unsere Unterkunft bezahlen. Für manche Studenten ist es schwer, neben dem Studium auch noch zu arbeiten. Im Moment gibt die Regierung ungefähr drei Prozent für die Bildung aus. Wir wollen, dass das zumindest auf fünf Prozent erhöht wird. Sie sagen, dass die Bildung kostenlos sei, aber wir müssen alle unsere Bücher selber bezahlen.

Bevor sie an die Regierung kam, sagte PASOK, dass sich die Lage verbessern werde. Aber dann redete sie sich damit heraus, eine Lage vorgefunden zu haben, die sie nicht erwartet hätte. Wenn sie es nicht wussten, hätten sie es wissen müssen. Wenn sie es aber wussten, dann haben sie gelogen.

Im Moment haben wir kein Recht auf Arbeit. Wenn wir mit der Universität fertig sind, hilft die Regierung nicht bei der Suche nach Arbeit. Auch in Portugal und Italien gibt es viele Arbeitslose, die zu kämpfen haben. Ich hoffe, dass die Bürger, die Arbeiter gemeinsam kämpfen, auch wenn die Regierungen sich bekriegen."

Angelo ist Jura-Student im vierten Jahr. Er unterstützt Antarsya (Kooperation der Antikapitalistischen Linken für den Umsturz), ist aber kein Mitglied einer politischen Gruppe. Er sagte: "Ich habe aktiv an den Demonstrationen teilgenommen. Ich glaube, diese Sparmaßnahmen sind dauerhaft. Was jetzt in Griechenland passiert, wird anschließend überall in Europa geschehen und sie werden den Lebensstandard der Arbeiter senken, Sie sagen, dass diese Maßnahmen notwendig sind, um diese Wirtschaftskrise zu überleben. Aber ich glaube, das war die ganze Zeit ihre Strategie."

Auf die Frage, warum die Gewerkschaften keine Streiks mehr gegen die Regierung organisieren, antwortete Angelo: "Die Regierung hat sehr gute Beziehungen zur Gewerkschaftsspitze. Das ist derzeit unser größtes Problem in Griechenland. Die Spitzen der Gewerkschaften gehören der gleichen Partei an, wie die Regierung. Die Gewerkschaften setzen die Streiks nicht fort, weil sie die Regierung unterstützen."

Dimitris Dimitris

Auch Dimitris ist Jura-Student. Er sagte, erhabe bei der letzten Wahl für PASOK gestimmt. "Aber ihre Politik ist alles andere als sozialistisch. Aber nicht nur sie ist schuld. Keine der Regierungen in Griechenland hat in den letzten Jahren Probleme gelöst. Sie haben die Probleme nur unter den Teppich gekehrt. Meine Familie hat immer PASOK gewählt, aber jetzt scheint es uns, dass sie konservativer ist, als die Konservativen. Sie hat unser Vertrauen verloren.

Ich glaube, wenn es eine wirklich ehrliche sozialistische Partei gegeben hätte, dann hätte sie diese Probleme lösen können. Sie hätte dann nicht die Armen und die Mittelschichten besteuert. Sie hätte die Reichen besteuert. Das Problem ist, dass diese Parteien von den Reichen unterstützt werden."

Dimitris sagte, er stimme nicht mit den angeblich linken Parteien wie der KP, SYRIZA oder Antarsya überein. "Sie sagen, sie sind gegen die Maßnahmen der Regierung, aber sagen nicht, was sie stattdessen tun würden. Sie haben keinen Plan gegen die Krise."

Atlas, Ireny, Rania Atlas, Ireny, Rania

Auch am Athener Polytechnikum für Architektur sprachen wir mit Studenten. Ireny studiert seit sieben Jahren Architektur. Sie sagte: "Ich unterstütze die Streiks, aber ein Problem ist, dass nicht wirklich alle gegen die Kürzungen mobilisiert werden. Die arbeitende Bevölkerung wird angegriffen, aber nicht die Leute mit Geld. Vergangenes Jahr haben sie den Banken 28 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Und jetzt holen sie sich das Geld von den untersten Schichten zurück. Aber ich glaube, die Dinge ändern sich jetzt. Die Leute merken, dass sie belogen werden. Die Leute beginnen aufzuwachen und sich zu wehren."

Nach den Gewerkschaften gefragt, sagte Ireny: "Wir hatten dieses Problem schon oft in Griechenland. Sie gehen nach dem Prinzip ‚Teile und Herrsche’ vor. Die Regierung gibt den Gewerkschaftsführern Privilegien, damit sie tun, was die Regierung will. Auf die Weise versuchen sie, die Arbeiter zu kontrollieren. Ich glaube, die Gewerkschaften unterstützen die Regierung, die ihnen die meisten Vorteile gewährt."

Ireny sprach auch über die jüngste Kampagne in Teilen der deutschen Medien, in der die griechischen Arbeiter dämonisiert und als "faul" hingestellt wurden. Es wurde gesagt, dass die Sparmaßnahmen notwendig seien. Sie sagte: "Die griechischen Medien nutzten diese Kampagne für ihre eigenen Zwecke. Sie versuchen den Arbeitern einzureden, dass die Deutschen schlimme Dinge über sie sagen. Jetzt müssten wir beweisen, dass wir nicht faul sind, und die Maßnahmen akzeptieren, um Griechenland zu retten."

Sie erklärte die Probleme, mit denen Studenten in Griechenland tagtäglich zu kämpfen haben. "Wir haben eine Menge Probleme. Erstens ist die Finanzierung der Universitäten durch die Regierung schlecht. Es fehlt deswegen an grundlegenden Dingen wie Büchern. Sie überlegen, die Studenten selbst für die Bücher zahlen zu lassen. Die Computerräume sind auch unzureichend ausgestattet. Beim Architekturstudium braucht man viel Geld für das Bauen von Modellen und das Plotten von Plänen. Am Semesterende muss meine seine Entwürfe außerhalb der Universität für 80 Euro plotten lassen. Das sollte man eigentlich hier kostenlos machen lassen können. Die Universität unterstützt Studenten nicht, die nebenher arbeiten müssen, um ihr Studium zu Ende zu führen. Die meisten Arbeiterkinder können nicht studieren, weil sie sich die Bücher nicht leisten können."

Atlas ist ein ehemaliger Student, der das Studium aus Geldmangel aufgeben musste. Er sagte: "Ich glaube, das ist kein griechisches Problem, sondern ein internationales Problem. Die Regierung arbeitet für die Banken und die Banken arbeiten für die großen Konzerne. Das muss sich überall auf der Welt ändern."

Rania studiert seit sechs Jahren Architektur. Sie sagte: "Als meine Verwandten vor ungefähr dreißig Jahren nach Athen kamen, fanden sie Arbeit in der Textilindustrie. Die Fabriken sind jetzt alle geschlossen. Die Machthaber in Griechenland glauben, dass die kleinen Leute alle dumm sind. Sie lügen in den Medien und führen sich auf, als ob wir nichts merken. Die Mächtigen sind in so viele Skandale und Lügen verstrickt, dass immer noch nicht alle bekannt geworden sind.

Bildung soll angeblich kostenlos sein. Dann geben sie uns eine Liste mit Büchern, die wir brauchen und da steht, dass wir die Bücher selber bezahlen müssen. Was heißt hier also ‘kostenlos’? Ein Buch kostet durchschnittlich 30 Euro, das macht bei zehn Büchern 300 Euro."

Siehe auch:
Griechenland: "Linke" unterstützen Gewerkschaften bei Verrat des Kampfs gegen PASOK
(19. März 2010)
Loading