Alain Krivine in Bielefeld

Am 17. März sprach Alain Krivine auf Einladung des "Rosa Luxemburg Clubs" der Linkspartei in Bielefeld. Der 69-jährige Krivine ist Gründer und langjähriger Führer der französischen Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), die sich im Februar letzten Jahres in der "Neuen Antikapitalistischen Partei" (Nouveau Parti Anticapitaliste, NPA) aufgelöst hat.

Alain Krivine Alain Krivine

Im Publikum saßen etwa 40 Zuhörer aus der Linkspartei und ihrem Umfeld sowie einige Dozenten und Mitarbeiter der Universität, wo Krivine am folgenden Tag als Zeitzeuge an einem Workshop zur Studentenrevolte von 1968 teilnahm.

Der Abend mit Krivine machte deutlich, in welchem Ausmaß die NPA bereit ist, sich in die bürgerliche Politik gegen die arbeitende Bevölkerung einzureihen - an der Seite der Sozialistischen Partei, der Kommunistischen Partei, der Grünen und der Gewerkschaften. Krivine brachte auch unmissverständlich seine Ablehnung des Marxismus zum Ausdruck.

Vortrag und Gespräch standen unter der Überschrift "La Rage - Die Wut organisieren! Zur Situation der Linken in Frankreich". Inhaltlich drehten sie sich um die französischen Regionalwahlen vom 14. und 21. März, deren erste Runde "die Rechte weggefegt" hatte, wie Krivine sagte. Er meinte damit die Regierungspartei UMP von Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Unerwartet stark schnitt allerdings die rechtsextreme Nationale Front von Jean-Marie Le Pen ab, während Krivines NPA nur 2,4 Prozent der Stimmen erhielt - ein deutlicher Rückgang gegenüber den 6,1 Prozent bei der Europawahl im vergangenen Jahr.

Krivine reagierte auf dieses Ergebnis, indem er der Arbeiterklasse die Verantwortung für das Erstarken der Faschisten und das schlechte Abschneiden der NPA zuschob, und versprach, in Zukunft noch enger mit der bürgerlichen "Linken" zusammenzuarbeiten.

Die "Resignation" der Bevölkerung sei für das Ergebnis verantwortlich, erklärte er. Insbesondere die "Jungen und die einfache Bevölkerung" seien der Wahl fern geblieben. "Letztes Jahr gab es in Frankreich Millionen-Demonstrationen. Jetzt hört das auf, gerade zu der Zeit, in der wir die NPA gegründet haben", klagte er.

Krivine gab zwar der Gewerkschaftsbürokratie eine Mitverantwortung für die "Resignation". Sie habe die Bewegung durch die Zersplitterung der einzelnen Streiks zerstört und durch ständige eintägige Generalstreiks zermürbt. Er erwähnte allerdings nicht, dass die NPA eng die Gewerkschaftsbürokratie dabei unterstützt und sich jede Kritik an ihr enthält.

Krivine machte deutlich, dass die NPA ihre Aufgabe darin sieht, von den Sozialisten, den Gewerkschaften und der Kommunistischen Partei (PCF) enttäuschte Arbeiter und Jugendliche wieder diesen Organisationen unterzuordnen. Er schilderte die Bemühungen der NPA, mit diesen Parteien ein Bündnis zu bilden, obwohl sie unter François Mitterrand und Lionel Jospin jahrzehntelang die Regierung gebildet und sich den Hass vieler Arbeiter zugezogen haben.

Er berichtete, die NPA habe erst vor kurzem "alle linken Parteien eingeladen, um gemeinsame Forderungen in der Rentenfrage aufzustellen". Zu den Eingeladenen gehörten auch die PS, die Grünen und die PCF. Gemeinsam mit ihnen wolle die NPA gegen die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters vorgehen, und das obwohl die PS-Vorsitzende Martine Aubry kurz zuvor noch selbst eine Erhöhung des Renteneinstiegsalters verlangt hatte. Die PS sagte ab, während PCF und Grüne die Einladung mit der Begründung ausschlugen, die Rentenfrage sei Sache der Gewerkschaften.

Eine weitere Forderung der NPA lautete: "Raus auf die Straße am 23. März." An diesem Tag rufen alle Gewerkschaften zu einem eintägigen Generalstreik auf. Krivine unterstrich, dass er "bei Kämpfen für die Einheit aller Linken" sei. "Wir stellen uns nicht als Sekte hin und sagen, die anderen sind alles Verräter." Während sich die Arbeiterklasse in Frankreich und anderen europäischen Ländern radikalisiert, hält die NPA den alten Arbeiterbürokratien den Rücken frei, um die Bewegung ins Leere laufen zu lassen und so zu demoralisieren.

Im weiteren Verlauf des Abends brachte Krivine seine Verachtung für den Marxismus zum Ausdruck. Die NPA hatte schon bei ihrer Gründung alle Bezüge zum Trotzkismus, Sozialismus und Internationalismus über Bord geworfen, um ihre Reihen für politische Strömungen zu öffnen, die den Marxismus vehement ablehnen. Neben der LCR sind Anarchisten, Che-Guevara-Anhänger, Feministinnen, Gewerkschafter sowie ehemalige PCF- und Grünenmitglieder in der NPA versammelt. Hinzu kämen, so Krivine, viele Tausend Mitglieder, die überhaupt nicht politisch ausgebildet seien.

"Daher haben wir keine Debatte über die Fragen:,Was war die Sowjetunion?‘,,Was ist Doppelherrschaft‘, über Kronstadt oder Ähnliches", erklärte Krivine. Es komme nicht mehr darauf an, Übereinstimmung über die Vergangenheit zu haben und darüber zu diskutieren, wer Recht habe. Wichtig sei nur noch Übereinstimmung darüber, was jetzt und in Zukunft gemeinsam getan werden müsse.

Innerhalb "der LCR galten noch inhaltlich sehr enge Grenzen", die man aber nun nicht mehr benötige, fuhr er fort. "Wir haben viele Dinge in der NPA aufgegeben." Als der Übersetzer Manuel Kellner, selbst Mitglied des Vereinigten Sekretariats in Deutschland, hinzufügte: "Den Leninismus", entwich Krivine ein überzeugtes "Jo".

Das Wort Sozialismus nahm Krivine an diesem Abend nicht ein einziges Mal in den Mund. Selbst als er nach seiner Vorstellung eines Übergangssystems gefragt wurde, wenn, wie er mehrmals betonte, der Kapitalismus überwunden werde, antwortete er ausweichend: "Unser angestrebtes Gesellschaftssystem ist zunächst durch eine gerechte Verteilung der Güter geprägt." Auch "Eingriffe in das Privateigentum" seien angedacht. All das müsse aber demokratisch entschieden werden. In der NPA sei man sich einig, dass der Kapitalismus überwunden werden müsse. "Aber wie, darüber wird diskutiert."

Der Frage, weshalb sich die NPA als "antikapitalistisch" bezeichne, wenn sie gleichzeitig Bündnisse mit der PS, der PCF und den Gewerkschaften anstrebe, die alle den Kapitalismus unterstützen, wich Krivine aus. Er berichtete, "einige in der NPA" seien gegen solche Bündnisse, andere würden dieser Strömung Sektierertum vorwerfen, da viel mehr Bündnisse geschlossen werden müssten. "Und ich stehe irgendwo dazwischen."

Krivine enthielt sich auch jeder Kritik an der deutschen Linkspartei, die in Berlin und Brandenburg in den Landesregierungen sitzt und dort massive soziale Kürzungen durchsetzt - schließlich hatte ihn die Linkspartei eingeladen. Sein Auftritt machte deutlich, dass es zwischen der NPA und der Linkspartei keine grundlegenden Unterschiede gibt. Krivine betonte, dass es auch in der Linkspartei eine Diskussion über Regierungsbeteiligungen gebe.

Ob man sich einer anderen Partei anschließe, ist laut Krivine keine Frage des Prinzips sondern der Mitgliederzahl. "Wenn man eine kleine Gruppe ist, muss man überlegen, ob man in größere Parteien eintritt." Er rechtfertigte dies mit den Erfahrungen seiner italienischen Gesinnungsgenossen von Sinistra Critica, die jahrelang in den Reihen von Rifondazione Communista gearbeitet haben. Sie wurden schließlich Bestandteil des Regierungslagers von Romano Prodi, dessen Angriffe auf die Arbeiterklasse Silvio Berlusconi in nur zwei Jahren den Weg zurück an die Macht ebneten. Krivine rechtfertigte die Beteiligung von Sinistra Critica an der Regierung Prodi mit der Begründung, anfangs habe man nur 150 Mitglieder gezählt, jetzt seien es 1.000.

Siehe auch:
Frankreich: Was stellt die Neue Antikapitalistische Partei der LCR dar?
(17. Februar 2009)
Eine Rebellion auf den Knien - Der italienische Senat spricht Romano Prodi sein Vertrauen aus
( 2. März 2007)
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