Trotz großem Widerstand billigt griechisches Parlament strenge Sozialkürzungen

Börsen brechen wegen Furcht vor Unruhen ein

Einen Tag nach dem Generalstreik billigte das griechische Parlament am Donnerstag dreißig Milliarden Euro an Kürzungen bei Arbeitsplätzen, Löhnen, Renten und Sozialausgaben. Die Kürzungen wurden in Verhandlungen zwischen Ministerpräsident Giorgos Papandreou und den europäischen Regierungen und dem Internationalen Währungsfond als Bestandteil eines Kreditpakets vereinbart.

Die massenhafte Opposition gegen die Maßnahmen rief Panikreaktionen an den internationalen Börsen hervor. Offenbar geht in den herrschenden Kreisen die Angst um, dass soziale Unruhen in vielen Ländern die Pläne durcheinanderbringen könnten, die Arbeiterklasse für die Staatsdefizite zur Kasse zu bitten. Märkte in Asien, Europa und den Vereinigten Staaten brachen ein.

Für einen Moment befanden sich die US-Märkte am Donnerstagnachmittag im freien Fall. Sie verloren vorübergehend fast neun Prozent und gingen schließlich mit einem Minus von 3,2 Prozent aus dem Markt. Der Einbruch am Mittag war der stärkste seit Dezember 2008 und zeigte eine Instabilität der Märkte wie seit Februar 2007 nicht mehr.

Berichten zufolge beginnen europäische Banken, die Interbankenkreditvergabe wie während der Lehman Brothers Krise von 2008 einzufrieren, weil sie befürchten, dass Banken, die griechische Anleihen in ihren Büchern haben, bankrott gehen könnten.

Für den steilen Absturz der amerikanischen Märkte wurde später der Computerhandel verantwortlich gemacht. Wie dem auch sei, die vorherrschende Stimmung an der Wall Street war von der Kreditkrise in Griechenland geprägt. Wie berichtet wird, begannen Händler zu verkaufen, sobald sie im Fernsehen Berichte über Zusammenstöße vor dem griechischen Parlament sahen. Mehrere Kommentatoren warnten vor starken Verkäufen am Freitag.

Die Opposition in Griechenland gegen das Sparprogramm ist überwältigend. Das Programm beinhaltet tiefe Einschnitte bei Löhnen und Sozialleistungen der Staatsdiener, eine Erleichterung der Bestimmungen bei Massenentlassungen, Abschaffung des Mindestlohns, Kürzungen bei den Ausgaben für die Bildung, die Privatisierung staatlicher Aufgaben und eine scharfe Erhöhung der Mehrwertsteuer. Umfragen zufolge lehnen 61 Prozent der Befragten den Bailout und die Kürzungen ab.

Vor dem Parlament wiederholte Papandreou, dass die Kürzungen ein notwendiger Bestandteil einer grundlegenden Restrukturierung der griechischen Wirtschaft seien. "Die Notmaßnahmen sind die Bedingung, unsere Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Wir müssen auch die verlorene Zeit zurückgewinnen, die vertan wurde, um die großen Veränderungen durchzuführen", erklärte er.

Die Schlussabstimmung im Parlament ergab eine Mehrheit von 172 zu 121 Stimmen für das Gesetz. Papandreou schloss drei Abgeordnete seiner sozialdemokratischen PASOK aus der Parlamentsfraktion aus, weil sie sich der Stimme enthalten hatten. Die konservative Neo Demokratia (ND), die Kommunistische Partei (KKE) und die SYRIZA-Koalition stimmten dagegen.

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft, ADEDY und GSEE, riefen für Donnerstagabend zu einer Kundgebung vor dem Parlament auf. Zehntausende Demonstranten zogen nach der Abstimmung aus Protest durch Athen und riefen: "Sie haben uns den Krieg erklärt. Schlagt jetzt zurück".

Die Gewerkschaften rufen zu Protesten auf, um die Arbeiter unter Kontrolle zu halten, obwohl sie Kürzungen für die Sanierung der griechischen Staatsfinanzen im Prinzip unterstützen. Die Gewerkschaften trafen sich mit Papandreou zum Gespräch über die Kürzungen, während der Ministerpräsident parallel dazu mit den europäischen Regierungen und dem IWF darüber verhandelte. Die Gewerkschaftsführungen bestehen weitgehend aus PASOK-Mitgliedern.

Immer neue Details der Ereignisse während des Generalstreiks am Mittwoch tauchen auf. Es gibt Berichte, dass sich Soldaten mit den Protesten solidarisieren. Einige Piloten der Luftwaffe sollen sich kürzlich aus Protest krank gemeldet haben.

Am Dienstag erzwangen sich Lehrer Zugang zum staatlichen Fernsehsender, als dort gerade Vertreter des Bildungsministeriums interviewt wurden. Sie wollten eine Erklärung an die Öffentlichkeit über den Sender verlesen. Bevor sie von Polizisten in Kampfausrüstung aus dem Gebäude geführt wurden, verurteilten die Lehrer Pläne, 17.000 Teilzeitbeschäftigte zu entlassen.

Die Medienberichterstattung konzentriert sich zurzeit auf den tragischen Tod dreier Angestellter in einer Bankfiliale, die am Mittwoch in Brand gesteckt worden war. Die vermummten Täter konnten noch nicht identifiziert werden.

Regierungsvertreter machen für den Anschlag Demonstranten verantwortlich. Aber man kann auch eine Polizeiprovokation nicht ausschließen. Solche Provokationen haben in Griechenland eine lange Tradition. Die Papandreou-Regierung reagierte auf den Brandanschlag mit dem Versprechen, die Offensive für das Sparprogramm fortzusetzen.

Medienkommentatoren hofften, dass die Tragödie dazu benutzt werden könnte, die Opposition der Arbeiterklasse zu demoralisieren und die Kürzungen durchzusetzen. Die New York Times erklärte: "Viele Beobachter hier in Athen sagen, dass die Gewalt die Entschlossenheit der Regierung, nicht nachzugeben, wahrscheinlich stärken werde. Aber die Empörung über eine wachsende Zahl von Extremisten unter den Demonstranten werde zunehmen".

Bankangestellte dagegen verurteilten die Banken, weil sie ihre Beschäftigten daran gehindert hatten, an dem Streik teilzunehmen. Indymedia Athen brachte einen Brief, der mit "Ein Angestellter der Marfin-Bank" unterzeichnet war, der die Bank und ihren Besitzer Vgenopoulos scharf kritisierte, weil er den Brandschutz und Sicherheitsvorschriften vernachlässigt und die Angestellten trotz des Streiks zu arbeiten gezwungen hatte.

Darin heißt es: "Seit Tagen schon herrscht bei der Bank blanker Terror gegen die Angestellten wegen der Mobilisierung. Die mündliche Drohung steht im Raum: Entweder ihr arbeitet, oder ihr werdet entlassen... Die beiden Zivilpolizisten, die als Schutz gegen Raubüberfälle bei der Filiale beschäftigt sind, kamen an diesem Tag nicht zur Arbeit, obwohl das Management der Bank versprochen hatte, dass sie da sein würden."

EU-Handelskommissar Karel de Gucht sagte der spanischen Tageszeitung El Pais : "Wir wussten, dass Griechenland uns falsche Daten lieferte. Schon als sie der Eurozone beitraten, konnte man sehen, dass es Probleme mit den griechischen Schulden und Defizitzahlen gab." Er bemerkte, dass die Europäische Kommission 2003-04 versucht habe, eine Untersuchung durchzuführen. Aber andere EU-Staaten verhinderten das. Damals verletzten auch Deutschland und Frankreich die Defizitkriterien von Maastricht.

Das ist besonders bezeichnend, weil Papandreou im vergangenen Herbst, als er seine Wahlversprechen von höheren Sozialausgaben zurücknahm, behauptete, nicht gewusst zu haben, in welcher verzweifelten fiskalischen Situation sich das Land befand. Die herrschende Klasse Griechenlands und Europas hatte sogar gehofft, Papandreous Wahl für die Schaffung einer politischen Atmosphäre zu nutzen, in der die Kürzungen durchgesetzt werden könnten. Die Hoffnung war, dass Papandreou die Beziehungen der PASOK zu den Gewerkschaften und zu den kleinbürgerlichen Radikalen wie SYRIZA nutzen könne, um die Opposition unter Kontrolle zu halten.

De Gucht nannte das massive Kürzungsprogramm Papandreous kürzlich "sehr glaubwürdig" und fuhr fort: "Vorher hätte die Bevölkerung es nicht akzeptiert. Man musste aufpassen, um keine Revolution zu provozieren."

Solche Kommentare können die wachsende Panik an den Finanzmärkten nicht überdecken. Dort wird befürchtet, dass der Finanzzusammenbruch und die Proteste dagegen sich auf ganz Europa und die Welt ausbreiten könnten.

Die Financial Times kommentierte: "Die Unruhen in Athen haben gezeigt, dass strenge Kürzungsmaßnahmen... sich nicht nur negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, sondern auch auf den sozialen Zusammenhalt."

Ökonomen äußern auch die Sorge, dass die Haushaltskürzungen zu einem beispiellosen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft führen werden, der auch Rückwirkungen auf ganz Europa hätte. Die New York Times berief sich auf Berechnungen des Ökonomen Daniel Gros: "Für jedes Prozent des BIP, das die griechische Regierung bei den Staatsausgaben spart, sinkt die gesamte Nachfrage im Land um 2,5 Prozent des BIP." Das würde bedeuten, dass bei einer Kürzung der Staatsausgaben in Athen um zehn bis fünfzehn Prozent des BIP die Wirtschaft um ungefähr dreißig Prozent einbrechen würde.

Es gibt auch weitere Anzeichen für eine "Ansteckung" bei anderen Ländern. Am Donnerstag warnte Moodys Investor Service, dass die Bankensysteme Portugals, Spaniens, Irlands, Italiens und Großbritanniens "immer mehr in den Fokus der Märkte geraten."

"Der Markt tut so, als sei das Finanzsystem von den Staaten gestützt", d.h. von den Regierungen, bemerkte BNP-Analyst Rejeev Shah. "Ein Teil des Risikos hat sich von den Banken auf die Regierungen verlagert, aber wenn die Ansteckung sich ausbreitet, dann bewegt es sich praktisch wieder auf das Finanzsystem zurück."

Mit anderen Worten, die Bailouts des Finanzsystems haben die Position der Banken vorübergehend stabilisiert und den Reichtum der Finanzelite gerettet. Aber das hat die Krise, die 2008 ausgebrochen ist, nicht gelöst, sondern hat sich lediglich in eine Krise der Staatsfinanzen verwandelt.

Die Krise der Staatsverschuldung und die Forderung, dass die Arbeiterklasse für diese Schulden mit beispiellosen Angriffen auf ihren Lebensstandard bezahlt, schaffen die Bedingungen für soziale Revolution und für erneute Wirtschafts- und Finanzzusammenbrüche.

Siehe auch:
Die Krise in Griechenland und der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa
(27. April 2010)
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