Demonstration gegen Sparpaket in Rom

Kundgebung auf der Piazza del Popolo Kundgebung auf der Piazza del Popolo

Vergangenen Samstagabend protestierten in Rom Tausende Menschen gegen die jüngsten Sparpläne der italienischen Regierung. Die Regierung Berlusconi will in den kommenden zwei Jahren fast 25 Milliarden Euro einsparen.

Von den Kürzungen sind der Gesundheitsdienst, die Schulen, die Universitäten und die kommunalen Verwaltungen stark betroffen. Im gesamten öffentlichen Dienst sollen bis zu 400.000 Arbeitsplätze, vor allem die befristeten und Aushilfsstellen gestrichen werden. Die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen eingefroren und teilweise gekürzt werden, und das Rentenalter wird noch einmal heraufgesetzt.

Gleichzeitig mit dem sozialen Kahlschlag im öffentlichen Dienst erfolgen auch in der Privatindustrie, z.B. bei Fiat, massive Angriffe auf Arbeitsplätze und -bedingungen. Die Gewerkschaftsbürokraten fürchten eine Welle sozialer Proteste, die sie nicht mehr kontrollieren können. Die Demonstration vom Samstag in Rom war deshalb ein Versuch, die Wut und Empörung aufzufangen und in ungefährliche Kanäle zu lenken.

Organisator der Demonstration war die CGIL, die größte italienische Gewerkschaft, die früher der Kommunistischen Partei unterstand und heute der Demokratischen Partei (PD) nahe steht. Unterstützt wurde die Demonstration von der Demokratischen Partei, deren wirtschaftspolitischer Sprecher Stefano Fassina eine Rede hielt, und von der Partei Italien der Werte (Italia dei valori) des früheren Untersuchungsrichters Antonio di Pietro. Weitere Unterstützer waren Rifondazione Comunista (PRC) und die PRC-Abspaltung Sinistra ecologia e libertà (Sel) von Nicchi Vendola.

Für den 25. Juni ist ein so genannter "Generalstreik" geplant, der im öffentlichen Sektor 24 Stunden, im privaten Sektor gerade mal vier Stunden dauern soll. Am Samstag, dem 5. Juni, hatten die alternativen Cobas-Gewerkschaften schon eine eigene Demonstration in Rom organisiert. Sie riefen für den 14. Juni zu ihrem eigenen Streik im öffentlichen Dienst auf.

Plakat mit Marx-Bild Plakat mit Marx-Bild

An der Demonstration vom 12. Juni nahmen überwiegend Angestellte aus dem Bildungssektor und dem öffentlichen Dienst, daneben Schüler und Studenten teil, die an ihren Universitäten gegen Bildungskürzungen protestieren. Sie riefen Slogans wie Contro la tregua salariale, sciopero, sciopero generale! (Gegen den Lohnstopp - Streik, Generalstreik!) und trugen Protestbanner und -plakate, teilweise mit Marx-Bildern. Ein Slogan lautete: "Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit sind die Kapitalisten - nicht die Einwanderer!"

Das Hauptreferat hielt CGIL-Chef Guglielmo Epifani. Er kritisierte nicht die Tatsache, dass die Sozialausgaben zusammengestrichen werden, sondern nur die Art und Weise, wie dies geschieht. Epifani beklagte, die Kürzungen stimulierten "nicht die Wirtschaft, die Investitionen und vor allem die Beschäftigung der Jugend". Er machte dem Parlament konkrete Veränderungsvorschläge, wie die Sparpläne wirkungsvoller realisiert werden könnten, und präsentierte die parlamentarische Opposition und die Gewerkschaftsbürokratie als besseres Krisenmanagement.

Guglielmo Epifani Guglielmo Epifani

In einem absurden Versuch, andere europäische Regierungen - z.B. den spanischen Sozialisten-Premier Zapatero, den konservativen britischen Premier Cameron und Angela Merkel - als positive Alternative zur Berlusconi-Regierung darzustellen, erklärte Epifani: "Niemand sonst macht es wie Italien. ... Es gibt hier eine Gesellschaftsschicht, von der niemand einen Beitrag zur Sanierung des Haushalts verlangt. Zapatero dagegen besteuert die mittleren und hohen Einkommen, Cameron besteuert die Banken, und Merkel besteuert sowohl die Banken als auch die Finanztransaktionen und stellt dreizehn Milliarden für Bildung und Forschung bereit."

Das ist eine atemberaubende Falschdarstellung, denn in Wirklichkeit werden sowohl in Deutschland als auch in Spanien und Großbritannien derzeit fast dieselben drastischen Haushaltskürzungen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung durchgesetzt wie schon in Griechenland und jetzt in Italien. In all diesen Ländern findet zurzeit ein beispielloser sozialer Kahlschlag statt, um die Profite der Reichen, der Banken und Spekulanten zu sichern. Die Arbeiter werden dagegen von den jeweiligen nationalen Gewerkschaftsbürokratien gezielt daran gehindert, einen gemeinsamen, grenzüberschreitenden Kampf dagegen aufzunehmen.

Die Demagogie der CGIL-Führung zeigte sich schon in den Angaben über die Teilnehmerzahlen: Die Organisatoren behaupten, am Samstag hätten sich rund 100.000 Menschen beteiligt, während objektive Augenzeugen die Teilnehmerzahl wesentlich niedriger auf ein paar tausend Menschen schätzen. Diese Übertreibung der Zahlen hat Methode: Die Bürokratie möchte sich der Bourgeoisie gegenüber gerne als Kraft präsentieren, die über Masseneinfluss verfügt, während sie gleichzeitig bewusst vermeidet, die Arbeiter in den Betrieben zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Sie fürchtet, die Empörung der Arbeiterklasse könnte ihr aus dem Ruder laufen.

Demonstrationsteilnehmer Demonstrationsteilnehmer

Unter den Teilnehmern war zwar viel Wut und Kampfbereitschaft zu spüren, aber angesichts der massiven bevorstehenden Angriffe auch eine große Verwirrung und Ratlosigkeit. Viele laufen offenbar nur noch deshalb der CGIL hinterher, weil sie keine Alternative sehen.

Susanna, eine Lehrerin aus Genua, sagte zum Beispiel: "Ich wünsche mir sehnlichst, dass die Leute aufwachen. Jetzt wäre es an der Zeit, dass die Gewerkschaften Position beziehen. Eine präzise Position, ohne Vorbehalt. Jetzt werden sie gebraucht. Sie machen Fehler - aber wenn sie uns nicht verteidigen, wer verteidigt uns dann?"

Genau das ist der Punkt: Die Arbeiter können sich nur selbst verteidigen. Dazu müssen sie sich von den gewerkschaftlichen Strukturen lösen und über die nationalen Grenzen hinweg mit ihren europäischen und internationalen Kollegen zusammenschließen. Dazu ist eine neue sozialistische Arbeiterpartei erforderlich, die ihr Programm nach den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung richtet, und nicht danach, was der Markt hergibt.

Auch die so genannten alternativen Gewerkschaften lösen das Problem nicht, sondern verschärfen noch die Verwirrung. Mehrere kleinbürgerliche Gruppen haben im Mai in Rom die Cobas und andere Basisgewerkschaften zu einer neuen Gewerkschaft, der Unione sindacale di Base (USB), zusammengeschlossen. Sie behaupten, damit eine nicht-korrupte Alternative links von den großen Traditionsgewerkschaften zu schaffen.

Doch sie gehen jeder politischen Klärung aus dem Weg. In der neuen USB haben sämtliche kleinbürgerlichen Gruppen Hausrecht, vom linken Rifondazione-Flügel über die Maoisten bis hin zur Partei Sinistra Critica, dem italienischen Ableger des Vereinigten Sekretariats. In der Mitte ihrer Demonstration vom 5. Juni tolerierten sie sogar den ehemaligen Sozialminister Paolo Ferrero von Rifondazione, der als Minister der Prodi-Regierung die Zerstörung der traditionellen Rentenrechte und die ersten Abschiebelisten der Sinti und Roma eigenhändig unterzeichnet hat.

Die bestehenden Gewerkschaften taugen in Krisenzeiten überhaupt nicht als Instrumente des Klassenkampfs. Ihre Grundlage ist die bürgerliche Gesellschaft und der Nationalstaat. Nur im Rahmen dieses Nationalstaats können sie den Preis der Ware Arbeitskraft entsprechend der aktuellen Lage aushandeln. In Zeiten wie heute, unter dem Druck der Globalisierung und der weltweiten Finanzkrise, tendieren die Gewerkschaften dazu, den einheimischen Markt und ihre nationalen Kapitalisten verteidigen, und wenden sich gegen die Arbeiter.

Siehe auch:
Italien am Vorabend neuer Klassenkämpfe
(5. Juni 2010)
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