Perspektive

Der Mord an Osama bin Laden

Präsident Barack Obama verkündete am Sonntag, Spezialeinheiten der USA hätten Osama bin Laden, den langjährigen Führer des al-Qaida-Netzwerkes, bei einem Angriff auf einen Wohnkomplex in Abbottabad in Pakistan getötet.

Obama trat um 23:30 Uhr östlicher Zeit vor die Kameras - eine Stunde, nachdem die großen Fernsehstationen eine wichtige Mitteilung des Präsidenten zur nationalen Sicherheit angekündigt hatten.

Die Äußerungen des Präsidenten ließen wesentliche Fragen unbeantwortet und warfen viele neue Fragen auf.

Zuerst sagte Obama, er habe “Leon Panetta, den Direktor der CIA kurz nach seiner Amtsübernahme angewiesen, die Tötung oder Gefangennahme bin Ladens zur höchsten Priorität in unserem Krieg gegen al-Qaida zu machen, und gleichzeitig damit fortzufahren, sein Netzwerk zu stören, zu zerschlagen und zu besiegen.“

Obama unterstellte mit anderen Worten, ohne eine Erklärung dafür zu liefern, dass in der Zeit von 2001 bis zu seiner Amtseinführung im Januar 2009 die Gefangennahme oder die Tötung bin Ladens nicht die höchste Priorität im „Krieg gegen den Terror“ war.

Des Weiteren ist der Ort, an dem bin Laden den Tod fand, sehr bedeutsam. Obama sagte, US-Geheimdienste hätten „bin Ladens Versteck in eines Wohnkomplex tief im Inneren Pakistans geortet“. Obama identifizierte den Ort dann genauer als Abbotabad. Er erwähnte nicht, dass diese Stadt etwa vierzig Meilen von Rawalpindi entfernt ist, dem Zentrum des pakistanischen Militär-Establishments und nur wenige Meilen weiter von Islamabad, der Hauptstadt des Landes. Das ist, als ob ein Flüchtiger sich in der Nähe einer Polizeistation versteckt.

Obama beschrieb auch nicht die Art des “Komplexes”. Aber die Presse berichtet nun, dass der „meistgesuchte Mann der Welt“ in einem komfortablen Herrenhaus residierte. Darüber hinaus liegt die Stadt Abbotabad an der strategisch wichtigen Route N35, dem Karakom Highway, der Pakistan mit China verbindet.

Obama spielte des Weiteren kryptisch darauf an, dass “unsere Zusammenarbeit mit Pakistan bei der Terrorismus-Abwehr uns half, bin Laden und den Wohnkomplex, wo er lebte, zu finden.”

Die offensichtliche Schlussfolgerung daraus ist – wie viele vermutet hatten – dass bin Laden zumindest bis vor kurzem den Schutz mächtiger Kräfte innerhalb der Regierung, des Militärs und der Geheimdienste Pakistans genoss.

Obwohl Obama das Land dazu aufrief, “den zahllosen Geheimdienstlern und Anti-Terrorismus-Experten zu danken, die unermüdlich für diesen Ausgang gearbeitet haben”, war der wichtigste Faktor bei bin Ladens Ermordung eindeutig eine Veränderung in der Haltung seiner jahrelangen Beschützer im pakistanischen Staatsapparat. Aus Gründen, die irgendwann einmal herauskommen werden, entschloss sich das pakistanische Regime, bin Laden fallen zu lassen.

Diese ungewöhnlichen Fakten zum Aufenthaltsort bin Ladens lassen Obamas Behauptung, die USA „führten den Krieg gegen al-Qaida, um unsere Bürger, unsere Freunde und unsere Verbündeten zu schützen“, als schlechten Witz erscheinen. Diese Gründe sind absolut unwahr.

Während der angebliche terroristische Drahtzieher vom pakistanischen Staat geschützt wurde, einem sehr wichtigen Verbündeten im „Krieg gegen den Terror“, haben die USA in den vergangenen zehn Jahren eine gewaltige Streitmacht in Afghanistan stationiert. Diese Streitmacht ist seit Obamas Amtsantritt verdreifacht worden.

Keine von Obamas Bemerkungen legt in irgendeiner Weise nahe, dass die Ermordung bin Ladens zu einer wesentlichen Veränderung in der amerikanischen Außenpolitik führen wird – oder gar zu einem Ende der erbarmungslosen Ausweitung militärischer Interventionen.

Die drei Kriege, in die die USA gegenwärtig verwickelt sind – in Afghanistan, dem Irak und in Libyen – haben nichts mit dem Kampf gegen al-Qaida oder der Jagd auf bin Laden zu tun. Sowohl das Regime Saddam Husseins im Irak, den die USA 2003 überfielen, wie auch das Regime Muammar Gaddafis in Libyen, das jetzt von US- und Nato-Streitkräften bombardiert wird, waren al-Qaida-Gegner. In Afghanistan sind die Kräfte der al-Qaida politisch und militärisch unbedeutend.

Sowohl Obamas Rede, als auch die Pressekommentare waren ein deutlicher Versuch, öffentliche Unterstützung für Kriege zu erwirken, die äußerst unpopulär geworden sind. Obama bat die Amerikaner „an das Zusammengehörigkeitsgefühl zurückzudenken, das am 11. September vorherrschte. Ich weiß, dass es uns zeitweilig abhandengekommen ist.“ Kommentatoren in den Medien drückten wiederholt ihre Hoffnung aus, dass die Tötung bin Ladens die Moral der in Afghanistan kämpfenden Soldaten wieder herstellen und den Verlust tausender Menschenleben rechtfertigen werde.

Bin Ladens Name ist unauslöschlich mit einem ungeheuren Verbrechen verbunden - dem Mord an fast 3000 Menschen am 11. September 2001. Die meisten von ihnen starben beim Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Center in New York. Andere starben bei blutigen Terroranschlägen in aller Welt. Aber bin Laden war nicht der wirkliche Grund für die Explosion des amerikanischen Militarismus, der den Anschlägen vom 11. September folgte. Er war nur der Vorwand.

Einen Schluss kann man mit Sicherheit ziehen: Die Tötung bin Ladens wird weder den „Krieg gegen den Terror“, für den er als Vorwand diente, noch die imperialistischen Kriege in Afghanistan, dem Irak und Libyen beenden. Amerikanische Militärkräfte sind nur aus einem Grund in diesen Ländern: Um strategische Positionen und Öl- und Gasvorkommen zu sichern, die von lebenswichtigem Interesse für den amerikanischen Imperialismus sind.

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