Perspektive

Klassenpolitik in der amerikanischen Schuldenkrise

In Amerika richtet sich in den kommenden zwei Wochen die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit auf den 2. August, den Stichtag für die Erhöhung der staatlichen Schuldenobergrenze.

Sollte der Kongress bis zu diesem Tag die Schuldenobergrenze nicht erhöhen, wird die US-Regierung dem Finanzministerium zufolge nicht in der Lage sein, Geld aufzunehmen, um anstehende Zahlungen zu leisten. Damit würden beispielsweise Schecks für Sozialhilfe gestoppt, die am 3. August an fünfzig Millionen Empfänger geschickt werden müssen, und Zinszahlungen auf US-Staatsanleihen, die Ende des Monats fällig werden.

Um die Bedeutung dieser Krise zu verstehen und einzuschätzen, was die zur Lösung vorgeschlagenen Maßnahmen bedeuten, muss erst das Gestrüpp an Lügen und Verdrehungen beiseite geräumt werden, das Demokratische wie Republikanische Politiker in Washington auftürmen, und das die unternehmerfreundlichen Medien aus dem liberalen wie konservativen Lager noch verdichten.

Warum hört man diese Forderung nach einer “Begrenzung des Defizits” jetzt aus jeder Ecke der offiziellen amerikanischen Politik? Welche grundlegenden Klassenfragen verbergen sich hinter dieser Kampagne?

Die herrschende Elite ist dabei, den größten Raub an den arbeitenden Menschen in der Geschichte der USA zu begehen. Bei der Bankenrettung von 2008–2009 hat die Finanzaristokratie ihre faulen Schulden und ihre Verluste aus einem Jahrzehnt unverantwortlicher Spekulation auf die Regierung in Washington übertragen.

Jetzt soll die Arbeiterklasse gezwungen werden, den Preis für die Plünderung der Staatsfinanzen durch die Wall Street mit der Zerstörung ihrer sozialen Errungenschaften zu bezahlen. Sie soll es hinnehmen, dass Medicaid und Medicare und andere soziale Programme im Bereich Bildung, Umwelt, Verkehr und Wohnraum zerschlagen werden.

Wer heute hört, wie Barack Obama, John Boehner [Verhandlungsführer der Republikaner] und andere Politiker oder Medienvertreter des Big Business erklären: „Es ist kein Geld vorhanden“, wenn es um die Erhaltung lebenswichtiger Programme für Millionen arbeitender Menschen geht, der sollte sich an die Finanzkrise erinnern, deren Ausbruch weniger als drei Jahre zurückliegt.

Damals sprach niemand davon, es sei “kein Geld vorhanden”, um die Banken vor dem Zusammenbruch zu retten. Im Gegenteil, atemberaubende und im wesentlichen unbegrenzte Summen – insgesamt 23,7 Billionen US-Dollar an Bargeld, Krediten und Bürgschaften des Finanzministeriums, der Zentralbank und anderer Einrichtungen – wurden zur Verfügung gestellt, um das kapitalistische System und die finanziellen Interessen der Superreichen zu verteidigen.

Im gegenwärtigen Konflikt um die staatliche Schuldenobergrenze geht es zu einem großen Teil um politische Manipulation. Am Anfang nutzten die Kongress-Republikaner die Frage der Schuldenobergrenze, um sich bei der ultrarechten Tea-Party-Bewegung anzubiedern. Dabei ist die Anhebung der Schuldenobergrenze eine buchhalterische Routinemaßnahme, die in den vergangenen vier Jahrzehnten schon Dutzende Male ausgeführt wurde.

Sie nutzen die Schuldenobergrenze als Mittel, um die Obama-Administration zu zwingen, tiefere Einschnitte durchzuführen. Ähnlich hatten sie es im April und Mai getan, als sie die Verabschiedung des Haushaltes für das Steuerjahr 2011 blockierten.

Diese Absicht wurde aber durchkreuzt, als Obama noch größere Einschnitte als die von den Republikanern geforderten vorschlug und sie an eine kleine Erhöhung der Steuern für Vermögende koppelte. Er schlug sogar vor, Einschnitte in der Sozialversicherung auf die Tagesordnung zu setzen, worauf die Republikaner zu ihrem Leidwesen feststellen mussten, dass das Weiße Haus sie rechts überholte.

Obama hat offenbar gar nichts dagegen, dass um die Ablauffrist vom 2. August eine Krisenhysterie entstanden ist, denn dies erzeugt die Atmosphäre, in der solche Kürzungen durchgesetzt werden können.

In diesem Konflikt steht die Obama-Administration an der Spitze des Angriffs der herrschenden Klasse auf die arbeitende Bevölkerung. Seine Vorschläge zur Schließung von Steuerschlupflöchern, von denen Konzerne und Wohlhabende bisher profitierten, werden von der Finanzaristokratie im Allgemeinen als kleinere Unannehmlichkeit gesehen, die den gesamten Kürzungen einen politischen Deckmantel liefern.

Angeblich sind die Maßnahmen eine Demonstration “gemeinsamer Opfer”, grade so, als könne man Millionäre, die für ihr Firmenflugzeug etwas mehr bezahlen, mit einem Rentnerpaar vergleichen, das gezwungen wird, sich zu entscheiden, ob es die Miete oder seine Arztkosten bezahlt, oder mit einem Studenten, der die Universität verlassen muss, weil ihm die Zuschüsse versagt werden.

Außerdem ist den Multimillionären versichert worden, dass die geringen Zugeständnisse in dem Haushaltspaket mehr als wettgemacht werden, da es auch weitgehende Steuerreformen enthält, welche die Besteuerung von Firmen und wohlhabenden Haushalten senken werden.

Niemand sollte sich über das Ausmaß der Einschnitte täuschen, die in Washington erarbeitet werden. Die Obama-Administration leitet damit einen Umbruch ein, der für die Arbeiterklasse verheerende Konsequenzen haben wird. Die Einschnitte bedeuten für Millionen von Arbeitern Armut, Hunger, Krankheit und einen frühen Tod.

Was die herrschende Klasse anbetrifft, so ist dies die einmalige Chance, Sozialprogramme – insbesondere die Rentenversicherung, Medicare und Medicaid, die sie als finanziell untragbar ansieht  – ein für allemal zu kippen. Obama, der in diesem Angriff die Initiative ergriffen hat, ist offenbar stark am Zug, was die Kongress-Republikaner offensichtlich verwirrt.

Nichtsdestoweniger steht das Ergebnis des politischen Konfliktes in Washington noch nicht fest. Der Graben zwischen den beiden kapitalistischen Parteien könnte zumindest vorläufig zu einer Pattsituation führen, die über die Frist vom 2. August hinaus besteht.

Auch wenn dies zweifellos zu einem Aufschrei in den Medien und vielleicht auch zu einer erheblichen Verunsicherung der Finanzmärkte führen würde, würde es am Ausgang der Ereignisse letztlich nichts ändern.

Obama ging bisher nur einmal darauf ein, was passiert, wenn die Frist vom 2. August ungenutzt verstreicht: Er könne „nicht garantieren“, dass Sozialversicherungsschecks wie geplant versandt werden. Das zeigt, dass die Klassenspaltung der Gesellschaft im Fall einer neuen Finanzkrise noch stärker hervortreten wird.

Den milliardenschweren Haltern von Staatsanleihen und den gigantischen Rüstungsfirmen drohte er jedenfalls nicht mit der Einstellung ihrer Zahlungen.

Indem die Obama-Regierung die Haushaltsanierung zu ihrem Schlachtruf macht, zeigt sie ihren wahren Klassencharakter. Sie ist eine Regierung von Gnaden der Finanzaristokratie und liest dieser jeden Wunsch von den Lippen ab. Das kann man auch an dem gewaltigen Spendenaufkommen für die Kampagne zu Obamas Wiederwahl erkennen: Es ist doppelt so viel wie die Summe, die für alle Republikaner zusammen eingegangen ist.

Die Politik dieser Regierung ist ein Hohn auf alles, was ihre liberalen Apologeten in der New York Times oder der Nation schreiben. Dies trifft besonders auf die Darstellung der International Socialist Organisation zu, die Obama vor seiner Wahl als „progressiven“ Politiker gepriesen haben, der in den USA geradezu eine neue Ära der Sozialreform einleiten werde.

Stattdessen hat Obama den Krieg in Afghanistan ausgeweitet, neue militärische Angriffe in Libyen, dem Jemen und Somalia gestartet, die Angriffe der Bush-Administration auf demokratische Rechte fortgesetzt, und jetzt versucht er, mit seinen Sparmaßnahmen die Republikaner rechts zu überholen.

Die Socialist Equality Party fordert alle arbeitenden Menschen auf, den Kampf gegen diese Sozialkürzungen aufzunehmen, egal, welche Partei sie durchsetzt oder mit welchen Argumenten sie gerechtfertigt werden. Demokraten und Republikaner unterliegen dem Diktat einer winzigen Minderheit der amerikanischen Bevölkerung, den Bankern und Konzernchefs und superreichen Investoren, welche die größte Verantwortung für die Wirtschaftskrise tragen.

Der erste Schritt in diesem Kampf verlangt, dass die amerikanischen Arbeiter mit dem unternehmerfreundlichen Zweiparteiensystem brechen und für den Aufbau einer sozialistischen Massenbewegung in den USA und international kämpfen. Dies ist die Perspektive der Socialist Equality Party.

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