Berlinwahl: PSG-Kundgebung zur Verteidigung der britischen Jugendlichen

Reges Interesse am Infostand der PSG Reges Interesse am Infostand der PSG

Im Rahmen ihres Berliner Wahlkampfs veranstaltete die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) am Samstag, den 20. August auf dem Hermannplatz in Neukölln eine Solidaritätskundgebung mit den britischen Jugendlichen. Wahlhelfer der PSG hatten in den Tagen zuvor mehr als 10.000 Flugblätter verteilt. Die Kampagne zur Verteidigung der britischen Jugendlichen war auf breite Unterstützung gestoßen.

Als die Kundgebung kurz nach Mittag bei strahlendem Sonnenschein mit einem Song des Neuköllner Rappers Kidd Key begann, hatten sich bereits viele Teilnehmer auf dem Hermannplatz versammelt. In der Folge blieben immer wieder Passanten stehen, lauschten interessiert den Redebeiträgen und kamen zum Stand der PSG, um zu diskutieren.

PSG-Kandidat Christoph Vandreier spricht auf der Kundgebung PSG-Kandidat Christoph Vandreier spricht auf der Kundgebung

Als erster Kundgebungsredner erklärte Christoph Vandreier, der für die PSG zum Abgeordnetenhaus kandidiert, weshalb die PSG in Neukölln eine Veranstaltung zur Verteidigung der britischen Jugendlichen durchführt.

„Die Jugendrevolte in Großbritannien ist das Resultat einer schreienden sozialen Ungleichheit, die auch in Berlin existiert“, sagte er. „Massen von Jugendlichen werden jeder Zukunftsperspektive beraubt und zu einem Leben in Armut verdammt. Offiziell sind in Großbritannien 20 Prozent der 16- bis 18-Jährigen arbeitslos und die Löhne derer, die Arbeit haben, bewegen sich zwischen zwei und fünf Pfund in der Stunde.“

Die Reaktion der britischen Politik lasse erkennen, „wie die herrschende Elite mit den Auswirkungen des sozialen Kahlschlags umgeht: Sie verteidigt die soziale Ungleichheit mit Polizeigewalt“, erklärte Vandreier. Die britische Polizei gehe mit Massenverhaftungen und Razzien gegen die Jugendlichen vor.

Vandreier warnte, dass die herrschende Elite in Deutschland ebenfalls mit Polizeistaatsmaßnahmen auf soziale Unruhen reagieren werde: „Man darf sich keine Illusionen machen: Mit diesen Maßnahmen werden alle konfrontiert sein, die sich in welcher Form auch immer gegen die Ungleichheit zur Wehr setzen.“

Die sozialen Unruhen in Großbritannien seien ein Ergebnis der tiefen Klassenspaltung der Gesellschaft: „Die Jugendlichen werden als Kriminelle und Plünderer bezeichnet. Aber die wirklichen Kriminellen und Plünderer sitzen in Wirtschaft und Politik. Während die Jugendlichen die ganze Härte des Repressionsapparats zu spüren bekommen, gehen diese Leute straffrei aus. Sie werden für ihre kriminellen Machenschaften nicht zur Rechenschaft gezogen.“

Die PSG verlange die Freilassung aller Jugendlichen, die wegen Bagatellen inhaftiert wurden, und fordere die strafrechtliche Verfolgung der Politiker, Banker und Spekulanten.

Rapper Kidd Key Rapper Kidd Key

Nach dem Redebeitrag ging das Mikro erneut an Kidd Key, der den Besuchern der Kundgebung mit Hip-Hop Beats und Texten über die soziale Realität von Jugendlichen in Neukölln einheizte. Kidd Key rappt und produziert im lokalen Jugendclub „Outreach“, der direkt von den Kürzungsplänen der Neuköllner Bezirksregierung bedroht ist.

Einige Jugendliche aus dem „Outreach“ waren zur Kundgebung gekommen, unter ihnen Önder, der 19 Jahre alt ist und zurzeit eine Ausbildung zum IT-System-Kaufmann macht.

Zu den Unruhen in England sagt er: „Es ist richtig, dass sie sich zur Wehr setzen. Es gibt in Europa viel zu wenig Solidarität mit ihnen.“ Seiner Meinung nach seien solche Revolten auch in Berlin möglich. Hier nehme die Armut für Jugendliche ebenfalls zu. Das kann Önder nahezu täglich in seinem Jugendzentrum erleben. „Immer wenn ich mit meinen Freunden mal etwas unternehmen will, sagen mindestens zwei oder drei, sie können nicht mit, weil sie kein Geld haben.“

Zur Politik des Berliner Senats bemerkt Önder nur: „Ich finde es abstoßend, dass Politiker und Medien Sarrazin eine Plattform bieten. Das zeigt doch, wofür sie stehen.“

Der ehemalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin hatte jahrelang drastische Sparmaßnahmen im sozialen und Jugendbereich durchgesetzt. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, eine rassistische Hetzschrift gegen türkische und arabische Familien. Kürzlich hatte er, begleitet von ZDF-Reportern, Kreuzberg und Neukölln besucht und die türkische und arabische Bevölkerung in diesen Berliner Bezirken provoziert.

Susanne Salamah, Kandidatin der PSG, zog in ihrem Redebeitrag eine Parallele zwischen der sozialen Lage in Großbritannien und in Berlin, wo „der rot-rote Senat aus Linkspartei und SPD in seiner zehnjährigen Herrschaft einen Sozialkahlschlag durchgeführt hat, der seinesgleichen sucht.“

Gleich nach der Regierungsübernahme habe sich der rote-rote Senat als Vertreter der Berliner Finanzelite und als Feind der Arbeiter und Jugendlichen geoutet. Mit dem sogenannten Bankenabschirmungsgesetz wurden der in die Krise geratenen Berliner Bankgesellschaft Bürgschaften in Höhe von 21,6 Milliarden Euro zugesichert; im Gegenzug setzte der Senat dann massive Kürzungen durch, die zu Armut und sozialem Elend in weiten Teilen Berlins geführt haben.

Salamah gab einen Überblick über die brutalen Sparmaßnahmen des rot-roten Senats. Berlin sei „als erstes Bundesland aus dem Tarifvertrag des Bundes und der Länder ausgestiegen. Seitdem kam es für die Beschäftigten zu erheblichen Lohnkürzungen. Seit 1998 wurden 46.000 Stellen abgebaut und der Senat setzte die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen der Beschäftigten durch.“

Auch in anderen Bereichen hätten Linkspartei und SPD konsequent gegen die Interessen der Bevölkerung gehandelt. „Öffentliches Eigentum wurde massiv privatisiert. Allein 150.000 Mietwohnungen wurden an Finanzhaie verscherbelt, was eine Verknappung von Wohnraum, steigende Mieten und eine Aushöhlung der Mieterrechte zur Folge hat.“ Weitere Kürzungen habe es im Bildungs- und Wissenschaftsetat gegeben. Das Ergebnis seien „eine Verschlechterung der Lernverhältnisse, überfüllte Klassen, Lehrermangel, marode Schulen, Überforderung der Schüler, eine Abnahme der Unterrichtsqualität, die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit und steigende Gebühren bei den Kitas“.

Als letzter Kundgebungsredner ging Ulrich Rippert, der Spitzenkandidat der PSG, auf das Programm der PSG ein. „Die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) beteiligt sich an der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, weil es notwendig ist, sich auf große politische Auseinandersetzungen vorzubereiten“, sagte er.

„Alle offiziellen Parteien ordnen sich der Diktatur der Banken unter. Wir nicht! Wir kämpfen für die Enteignung der Banken, als Voraussetzung für eine demokratische Organisation der Wirtschaft. Wir fordern, dass die Verantwortlichen für die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Chefetagen der Banken vor Gericht gestellt und für ihre kriminellen Machenschaften zur Verantwortung gezogen werden. Ohne die Diktatur der Banken zu brechen, kann kein einziges gesellschaftliches Problem gelöst werden.“

Dann zog Rippert eine Parallele zu den 1930er Jahren, als die herrschende Klasse mit Faschismus und Krieg auf die damalige Weltwirtschaftskrise reagierte. Auch jetzt sei „die herrschende Finanzaristokratie entschlossen, die Last der Krise mit aller Brutalität auf die Bevölkerung abzuwälzen. Mit massiven Sozialkürzungen ruiniert eine schmale Elite aus Wirtschaft und Politik die gesamte Gesellschaft und schürt gleichzeitig rassistische und nationalistische Stimmungen, um soziale Konflikt in rechte Bahnen zu lenken.“

„In Tunesien, Ägypten, Griechenland, Israel und Großbritannien treibt die soziale Ungleichheit die Menschen auf die Straße“, fuhr Rippert fort und betonte, dass sich „auch hier ein revolutionärer Sturm zusammenbraut“. Die Aufgabe der PSG sei es, „eine solche Entwicklung vorzubereiten und in eine progressive Richtung zu lenken. Denn eine Massenrebellion ist unvermeidlich und notwendig. Nur das Eingreifen von Hunderttausenden in die politische Entwicklung kann der selbstherrlichen Macht und kriminellen Energie der Finanzelite Einhalt gebieten.“

Um erfolgreich zu sein, bräuchten Arbeiter und Jugendliche „ein sozialistisches Programm, eine internationale Strategie und eine revolutionäre Partei. Nur so kann die Arbeiterklasse die politische Macht erobern und eine Gesellschaft aufbauen, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und nicht an der Profitgier einer kriminellen Elite.“

Als deutsche Sektion der Vierten Internationale stütze sich die PSG auf das Erbe des revolutionären Marxismus und dessen Verteidigung gegen Stalinismus und Sozialdemokratie, schloss Rippert seinen Beitrag. Nur auf dieser historischen Grundlage sei es möglich, „das politische Selbstbewusstsein der Arbeiter zu wecken und an die revolutionäre Tradition der Vergangenheit anzuknüpfen.“

Sein abschließender Appell, den Wahlkampf und den Abbau aktiv zu unterstützen, stieß auf Resonanz. Viele Arbeiter, Jugendliche und Migranten trugen sich als Wahlhelfer in die Listen ein und berichteten über ihre eigene soziale Situation und ihre Meinung zur Kundgebung.

Ali, 43 Jahre, Palästinenser aus dem Libanon, ist nach 32 Jahren in Deutschland von Abschiebung bedroht. „Ich finde seit einiger Zeit keine Arbeit mehr. Deshalb sagen mir jetzt die Behörden, ich sei nur noch ein Asylant mit Duldung. Ich wusste erst gar nicht, was mit Asyl gemeint sein soll – ich bin doch schon als Kind nach Deutschland gekommen, ich rede Berlinerisch, was soll ich im Libanon? Das ist doch keine Heimat für mich.“

Ali hat die ganze Kundgebung verfolgt und findet es gut, dass endlich Solidarität mit den verzweifelten Jugendlichen in England gezeigt wird. Er kann die Situation der Jugend nachvollziehen, besonders ihren Hass auf das ungerechte System. Bereits als kleiner Junge hat Ali das ganze Leid des Unrechts im Libanon erfahren.

Mit nur sechs Jahren hatte er im libanesischen Bürgerkrieg Mitte der siebziger Jahre seine Mutter verloren. Sie wurde auf dem Weg zum Brunnen erschossen, als sie Wasser für ihre Familie holen wollte.

1979 flüchtete sein Vater mit ihm, gerade erst elf, und seinen vier Geschwistern nach Deutschland. In Neukölln besuchte er die Schule und kam in ein Jugendheim, als sein Vater eine andere Frau heiratete und eine neue Familie gründete. Er absolvierte einige Jahre Berufsschule, aber schaffte es nie, einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Er hangelte sich von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur nächsten und rutschte schließlich ab.

„Mein Leben ist verpfuscht“, sagt Ali bitter. „Mein Vater hätte mit uns in ein anderes Land gehen sollen. Ich bin nicht dumm, ich lese gerne, vielleicht wäre aus mir etwas geworden. Jetzt habe ich nur noch Hass auf diese Ungerechtigkeit in der Welt.“

Ali unterstützt, dass die Arbeiter international gemeinsam kämpfen, auch im Nahen Osten. Er ist wütend und traurig darüber, dass trotz des vielen Reichtums auf der Welt so viele Menschen am Hungertuch nagen. Besonders freut er sich, dass jetzt auch israelische Arbeiter und Jugendliche gegen die soziale Misere auf die Straße gehen. Für die bürgerlichen Politiker hier, im Libanon, in Israel und im Palästinensergebiet findet er nur drastische, verächtliche Worte.

Jenny Jenny

„Ich kann nachvollziehen, wie sich die Jugendlichen in England fühlen“, sagt Jenny, 22 Jahre. Sie ist zusammen mit zwei Freunden aus dem Saarland gekommen und sucht verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung für eine Wohngemeinschaft. Noch kann sich Jenny zwar nicht vorstellen, dass es in Deutschland zu solchen Ausschreitungen kommt. „Jugendliche haben in Deutschland momentan im Vergleich noch mehr Chancen“, sagt sie. „Doch auch hier verschlechtert sich alles. Das ist wie ein Luftballon, der bald platzt.“

Jenny hat ihr Schauspielstudium beendet und auch schon einen Job gefunden. Geld bekommt sie aber erst, wenn das Schauspielprojekt läuft. Um während der monatelangen Vorbereitungszeit leben zu können, muss sie sich beim Arbeitsamt für Hartz IV anmelden.

„Meinem Bruder geht es auch nicht viel besser. Er ist zwar fest angestellt, aber zahlt soviel Steuern und Abgaben, dass fast nichts von seinem Lohn übrig bleibt“, erzählt Jenny. „Die Mittelschicht verschwimmt immer mehr. Die, die Geld haben, werden reicher, und die Mittelschicht rutscht in die Armut. Die britischen Jugendlichen haben auf jeden Fall ein Zeichen gesetzt“, sagt Jenny weiter, „aber ich bin hin- und her gerissen. Ich verstehe diese Proteste, aber sie sind nicht sehr politisch und bieten leider keine Lösung.“

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