Papstbesuch in Deutschland

Ein Affront gegen Demokratie, Säkularismus und Aufklärung

Der viertägige Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland inmitten einer tiefen Krise des Kapitalismus diente vor allem der Stärkung rechter und erzkonservativer Kräfte.

Obwohl nach einer Umfrage der Illustrierten Stern rund 86 Prozent der Deutschen den Papst-Besuch für unwichtig hielten, fanden seine Botschaften und der um seine Auftritte veranstaltete Hokuspokus in allen Medien höchste Beachtung und eine breite, wohlwollende Berichterstattung.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche wurde auf dem Flughafen Berlin-Tegel mit allen Ehren eines Staatsoberhaupts – roter Teppich, Salutschüsse, Ehrenformation der Bundeswehr – empfangen. Der ehemalige Theologieprofessor Joseph Ratzinger, der Zeit seines Lebens ein äußerst konservativer Vertreter der katholischen Kirche war, kam auf Einladung des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, seines amtierenden Nachfolgers Christian Wulf und der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland. Bereits 2006 hatte ihn Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eingeladen, vor dem Bundestag zu reden.

Die Politiker versprachen sich von dem Spektakel seines Besuchs offenbar Ablenkung von den drückenden Problemen, mit denen immer mehr Menschen konfrontiert sind, nachdem die Finanzkrise von 2008 die kapitalistische Welt und insbesondere Europa in eine Krise gestürzt hat, für die sie keine andere Lösung wissen, als die arbeitende Bevölkerung dafür bluten zu lassen.

Schon als Präfekt der Glaubenskongregation und rechte Hand von Johannes Paul II. hatte sich Ratzinger als Gegner von Abtreibung und Homosexualität sowie als Befürworter der Unterordnung der Frau in der Kirche und einer rückschrittlichen Sexualmoral einen Namen gemacht. Als Papst Benedikt XVI. hat er diesen Kurs unvermindert fortgesetzt.

Er stützt sich dabei auf erzreaktionäre Institutionen wie Opus Dei und Communione e Liberazione. Viele der von ihm neu ernannten Bischöfe und Kardinäle stehen Opus Dei nahe oder gehören ihm an. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der reaktionäre Kurs der Kirche auch nach dem Ableben des 84-jährigen Benedikt fortsetzt.

Die Exkommunikation der äußerst rechten und antisemitischen Organisation der Piusbrüder, die 1970 von dem französischen Erzbischof Lefebvre als Reaktion auf die Reformen des II. Vatikanischen Konzils gegründet worden war, hat Benedikt aufgehoben. Ihre Mitglieder wurden offiziell wieder in die Kirche aufgenommen. Dies, obwohl zumindest einer ihrer Bischöfe, der Brite Richard Williamson, offen den Holocaust leugnet.

Die Tatsache, dass der Papst und gerade dieser Papst im Bundestag reden sollte, war im Vorfeld einigermaßen umstritten. Große Befürworter des Auftritts waren CDU- und CSU-Politiker beider Konfessionen. Aber auch Sozialdemokraten und Grüne äußerten vor und nach dem Besuch ihre Zustimmung. Etliche Abgeordnete der Linken und einige Sozialdemokraten hatten dagegen vor dem Papstbesuche die Rechtmäßigkeit der Rede vor dem Bundestag in Frage gestellt.

Dagegen meinte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, selbstverständlich könne der Papst im Bundestag reden. Die Rede des Papstes widerspreche weder der in Deutschland geltenden Trennung von Staat und Kirche, noch verletze sie die weltanschauliche Neutralität des Bundestags.

„Ich halte solche Befürchtungen für ziemlich übertrieben“, sagte Thierse und rief dazu auf, dem Redner mit Respekt zu begegnen. „Denn weder wird der Papst den Plenarsaal als Bühne für eine religiöse Ansprache oder eine Predigt nutzen, noch müssen die Abgeordneten den Ansichten des Papstes zustimmen oder muss das Parlament sich diese zu eigen machen. Innerhalb und außerhalb des Bundestages gelten Meinungs- und Religionsfreiheit, das gilt auch bei und nach dem Papstbesuch, selbstverständlich.“

Die meisten Gegner des Auftritts im Bundestag begründeten ihre Ablehnung wie der SPD-Abgeordnete Rolf Schwanitz mit der gebotenen Trennung von Staat und Kirche und dem Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Weltanschauungen und Religionen. Außerdem vertrat Schwanitz die Meinung, dass gerade dieser Papst Auffassungen vertrete, die mit Demokratie und dem universellen Charakter der Menschenrechte nichts zu tun hätten.

Allerdings ist hier anzumerken, dass die Trennung von Staat und Kirche zwar im Grundgesetz steht, aber keineswegs der staatlichen Praxis entspricht. So werden die Kirchensteuern vom Staat eingezogen, in Schulen und Gerichten hängen Kruzifixe, Religionsunterricht findet in Schulen statt und Religionslehrer und Theologieprofessoren werden vom Staat bezahlt. Die von der Kirche betriebenen Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser, die nach christlichen Gesichtspunkten und Morallehren geführt werden, werden zwar auch aus Steuergeldern finanziert, aber staatliche arbeitsrechtliche Normen gelten dort nicht.

So spektakulär wie ursprünglich angekündigt war die Menge der die Rede boykottierenden Abgeordneten schließlich nicht. Als der Papst redete, blieben bei der Linkspartei ungefähr 50 Plätze frei, bei der SPD etwa 25 und bei den Grünen nur 14. Die Lücken wurden durch mehr oder weniger prominente Gästen aufgefüllt, die sich in Scharen darum drängten, dem „heiligen Vater“ im Bundestag zu huldigen.

Im Bundestag redete der Bundestagspräsident Ratzinger dann immer mit der offiziellen Anrede „Heiliger Vater“ an, was unterstreicht, dass er dort nicht als Staats- sondern als Kirchenoberhaupt anwesend war.

Die Bundestagsrede Ratzingers, die wir in einem getrennten Artikel analysieren, war ein Angriff auf das Mehrheitsprinzip und auf gottlose Gesetze. Der Papst beklagte, dass in Europa die Kultur durch den überzogenen Glauben an die Vernunft geprägt sei und Moral, Ethik, Glaube an den Rand gedrängt würden.

Die Presse war trotzdem – oder gerade deshalb – voll des Lobes über die Rede des Papstes. Dasselbe gilt für die Politik. Während CDU/CSU-Vertreter die Rede als Wasser auf ihre Mühlen deuteten, freuten sich die Grünen, dass der Papst die ökologische Bewegung als einen „Schrei nach frischer Luft“ gewürdigt hatte.

Als die Grünen im Bundestag an dieser Stelle begeistert klatschten, hatte der Papst zwar eilig hinzugefügt: „Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache – nichts liegt mir ferner als dies.“ Aber das tat der grünen Begeisterung keinen Abbruch.

Auch der grüne Ministerpräsident und bekennende Katholik Wilfried Kretschmann freute sich über eine besonders herzliche Unterhaltung mit dem Kirchenoberhaupt, als er den Papst in seinem Bundesland Baden-Württemberg empfangen durfte. Volker Beck und Claudia Roth lobten die Ausführungen Benedikts zur „Ökologie des Menschen“ ebenfalls.

Cem Özdemir, der zuvor die Abgeordneten zu Respekt vor dem Papst aufgefordert hatte, war nach der Rede des Papstes nicht nur voll des Lobes über dessen Würdigung der ökologischen Bewegung. In völliger Verkennung dessen, was Ratzinger wirklich gesagt hatte, meinte Özdemir, er habe „die Bedeutung der Menschenrechte und Achtung der Menschenwürde als Wertgrundlage Europas hervorgehoben“, die für alle Menschen gleichermaßen gelten müssten. „Damit hat er aus meiner persönlichen Sicht auch eine starke Brücke zu Menschen anderer Glaubensrichtungen geschlagen. Es war eine kluge und beeindruckende Rede.“

Selbst die als sehr christlich bekannte grüne Bundestagsvizepräsidentin Karin Göring-Eckardt, die sich vom Papstbesuch vergeblich eine „Initialzündung“ für die Ökumene erhofft hatte, meinte die Befürchtungen hinsichtlich der Rede des Papstes im Bundestag seien unberechtigt gewesen. Man habe ein Staatsoberhaupt eingeladen, einen Religionsführer befürchtet und dann den Professor bekommen.

Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, zeigte sich angenehm überrascht, dass der Papst in seiner Rede die ökologische Bewegung positiv bewertet habe. „Verantwortung für die Politik hat sich durch die ökologische Bewegung und ihre Werte erweitert“, meinte sie. „ Es habe sie gefreut, dass wir der gleichen Auffassung sind.“

Auch die führenden SPD-Mitglieder Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles äußerten sich positiv. Rainer Brüderle, der Fraktionschef der Liberalen, sah in der Rede des Papstes sein Wertefundament bestätigt.

All diese Zustimmung macht deutlich, dass sich das liberale politische Spektrum Deutschlands stramm nach rechts bewegt, sich von den Prinzipien der Demokratie verabschiedet, letzten Halt unter dem Schirm religiöser Institutionen sucht und die aus den Kirchen strömenden Massen in diese zurückdrängen möchte.

Niemand aus diesen Kreisen kritisierte offen, dass der Papst kein Wort zur sozialen Ungleichheit oder zur Bankenrettung zugunsten der Finanzeliten gesagt hatte. Nur sehr verhalten war die Kritik daran, dass er selbst die Bitten des in zweiter Ehe verheirateten Bundespräsidenten, wieder zum Abendmahl zugelassen zu werden, ignorierte oder keine Andeutung fallen ließ, dass die Bestimmungen der Kirche zu Scheidung und Wiederverheiratung gelockert werden.

Enttäuscht vom Papstbesuch waren auch die zahlreichen Opfer sexuellen Missbrauchs durch Geistliche oder Mitarbeiter der Kirche. Zwar hatte der Papst sich außerhalb des Protokolls mit einigen von ihnen getroffen und sein Bedauern und sein tiefes Mitgefühl mit ihrem Leiden ausgedrückt, aber das war es auch schon. Weder nahm er öffentlich Stellung zu diesen Verbrechen, noch versprach er Entschädigungen, geschweige denn berührte er die Ursachen in der bigotten Sexualmoral der Kirche und im Zölibat der Priester.

Die Enthüllungen über die zahlreichen Missbrauchsfälle hatten die Zahl der Kirchenaustritte in die Höhe schnellen lassen. Im Frühjahr war bekannt geworden, dass die Zahl der Austritte um 40 Prozent zugenommen hat. 180.000 Menschen hatten die katholische Kirche verlassen.

Viele Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche hatten sich Hoffnungen gemacht, der Papst würde seinen Besuch in Deutschland zum Anlass nehmen, den Prozess der Ökumene voranzubringen. Denn in Deutschland ist etwa ein Drittel der Bevölkerung evangelisch, ein weiteres Drittel katholisch. Der Rest gehört keiner dieser Religionsgemeinschaften an.

Besonders, als der Papst im Augustinerkloster in Erfurt Station machte, wo einst Martin Luther als Mönch gelebt und kritische Fragen zum Papsttum gestellt hatte, keimten Hoffnungen auf, die katholische Kirche werde ihre scharfe Abgrenzung gegen den Protestantismus lockern. Aber die Vertreter der Protestanten mussten sich mit ein paar positiven Äußerungen zur Gottsuche Martin Luthers zufriedengeben. Eine weitere Annäherung fand nicht statt. Der Glaube sei nicht verhandelbar, betonte der Pontifex.

Im Gegensatz zu der Distanz, die er zu den Protestanten an den Tag legte, betonte Benedikt bei seinen Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirche die Nähe und die großen Gemeinsamkeiten. Diese Kirche hat durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Wandlung der stalinistischen Machthaber zu Oligarchen und Milliardären viel an Boden gewonnen. „Unter den christlichen Kirchen und Gemeinschaften steht uns die Orthodoxie am nächsten“, sagte der Papst. Er äußerte die Hoffnung, „dass der Tag nicht ferne ist, an dem wir gemeinsam Eucharistie feiern können“.

Statt Verbrüderung mit den Protestanten gab es im streng katholischen thüringischen Eichsfeld Marienanbetung. Zu zahlreichen von den Medien übertragenen und in aller Breite dokumentierten Messen und Gottesdiensten pilgerten nicht nur die Gläubigen: Die Reihen füllten sich auch mit jeder Menge höchster weltlicher Amtsinhaber. Der Bundespräsident, die Kanzlerin, Ministerpräsidenten und andere Spitzenpolitiker gaben sich oft mehrfach das Stelldichein. Vor Tausenden predigte Benedikt im Olympiastadion in Berlin, im Erfurter Dom, im Freiburger Münster und auf dem Freiburger City-Airport.

Immer wieder warnte der Papst, dass ein „alle Lebensbereiche durchdringender Relativismus immer mehr Einfluss auf menschliche Beziehungen und die Gesellschaft“ nehme. In der westlichen Welt herrsche ein Mangel – womit er aber beileibe nicht die überall wachsende Armut meinte, sondern dass vielen Menschen „die Erfahrung der Güte Gottes“ fehle.

Der Papstbesuch bestätigt einmal mehr die These von Marx, dass die Klassengesellschaft, der Staat, „die Sozietät“ die Religion produzieren: „ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. ... Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“

Dass es den herrschenden Eliten recht ist, dass dies so bleibt, zeigt ihre Begeisterung über den Papstbesuch mit all seinen obskuren Reden.

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