Berlinwahl: 5.000 demonstrieren für bessere Bildung in Berlin

Gut eine Woche vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl haben am Samstag rund 5.000 Eltern, Schüler und Lehrer für Verbesserungen im Bildungswesen demonstriert.

Aufgerufen hatte ein Bündnis aus den Landesausschüssen von Eltern und Schülern, dem Kita-Landeselternausschusses, der Initiative „Gymnasium in Sorge“, dem Arbeitskreis für Schulmusik, dem Landesmusikrat und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

„Das Bildungswesen in Berlin ist krank“, heißt es im gemeinsamen Aufruf. „Es mangelt an Kitaplätzen, häufig fällt Unterricht aus, Lehrer und Fachkräfte in den Kitas fehlen, Schulgebäude und Kitas sind marode.“

Angesichts der Wahlen am kommenden Sonntag hatte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) für das neue Schuljahr rund 1.100 neue Lehrer versprochen und 196 Millionen Euro aus Konjunktur- und Landesmitteln für die Sanierung von Schulen freigegeben. Berechnungen der Bezirke zufolge fehlen für dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen aber mindestens eine halbe Milliarde Euro.

Auch Lehrer fehlen nach wie vor. Die zu geringe Einstellung neuer Lehrer in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass das Durchschnittsalter eines Lehrers in Berlin auf 50,6 Jahre angestiegen ist. Zu Beginn der Amtszeit des rot-roten Senats aus SPD und Linkspartei lag es noch bei 48,4 Jahren.

Hinzu kommt, dass verbeamtete Lehrer und Lehrerinnen in Berlin 42 anstatt 40 Stunden pro Woche arbeiten müssen, d.h. 26 statt 24 Unterrichtsstunden zu absolvieren haben. Auch die Altersermäßigung und die Altersteilzeit schaffte der rot-rote Senat ab. Aufgrund dieser verschlechterten Arbeitsbedingungen sind rund 1.450 Berliner Lehrer und Lehrerinnen langzeitig erkrankt.

Der gemeinsame Aufruf zur Demonstration am Samstag forderte daher mehr Investitionen in die Bildung. Mit vielen selbstgemalten und -gestalteten Plakaten und Transparenten zogen die Protestierenden vom Alexanderplatz zum Gendarmenmarkt.

„Klassenstärken wie zu Kaiser`s Zeiten? Nein, Danke!“, „35 Stunden pro Woche sind genug – auch für Schüler“ und „Ich war mal gerne Lehrerin“ hieß es auf Plakaten von Lehrern und Schülern. „Keine Verwahrung, wir wollen pädagogisch arbeiten“ war ein Transparent von Horterzieherinnen überschrieben. Sie forderten: „Kleinere Gruppen, bessere Arbeitsbedingungen und bessere Personalschlüssel“. Der Landeselternausschuss rief auf Flyern dazu auf, einen „Rettungsschirm für Schulen" zu schaffen.

Sandra Sandra

„Milliarden für Kriege und Banken sind wie Ohrfeigen für unsere Kinder“ schrieb Sandra, Mutter einer siebenjährigen Tochter auf ihr Plakat. Sie beklagte den Lehrermangel und den ständigen Unterrichtsausfall. „Das Schulgesetz verpflichtet die Schulen zur Bildung“, sagte sie. „Doch die schaffen das wegen der ständigen Kürzungen gar nicht.“ Ihre Tochter geht in die Grundschule am Arkonaplatz in Berlin-Mitte. Dort besucht sie mit Kindern von 5 bis 9 Jahren eine jahrgangsübergreifende Klasse. „Das Konzept des jahrgangsübergreifenden Lernens ist toll. Doch in der Klasse meiner Tochter sind 27 Kinder. Das ist viel zu viel für dieses Konzept.“

Marina Kose arbeitet seit 31 Jahren als Erzieherin in Ost- und Westberlin. Derzeit arbeitet sie im Freizeitbereich an der Europaschule in Berlin-Kreuzberg. „Die Bildung steht immer hinten an“, klagt sie. „Wir haben 400 Kinder bei uns im Freizeitbereich, aber nur zwei Spielplätze, und davon ist einer auch noch wegen Bauarbeiten gesperrt.“ Überall werde gespart. „So wird unser Hausmeister, der hervorragend ist, ständig mit Halbjahresverträgen vertröstet. Er ist ständig in Sorge um seinen Arbeitsplatz.“

„Auch ich fühle mich nicht anerkannt. Berlin boomt angeblich“, sagt sie mit Verweis auf das Wahlplakat von Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei. „Ich habe die letzte Lohnerhöhung nicht im Portemonnaie gespürt.“

„Es heißt immer, wir könnten und sollten uns weiterbilden“, fährt Marina Kose fort. „Aber erstens sollen wir die Weiterbildung selbst zahlen. Und wenn man dann eine machen möchte, geht das nur abends oder am Wochenende. Denn wenn ich meinen Kollegen und Kolleginnen sage, dass ich eine Weiterbildung während der Arbeitszeit plane, gucken die natürlich blöd. Wir sind andauernd unterbesetzt, wenn Unterricht ausfällt, sind die Kinder bei uns. Wenn ich dann auch noch fehle, ist die Arbeitsbelastung für die Kollegen extrem.“

Pädagogische Arbeit und die Integration der vielen Kinder mit Migrationshintergrund sei so kaum möglich, rund die Hälfte der Schüler und Schülerinnen an ihrer Schule kommen aus türkischen Familien. „Der rot-rote Senat und die Wirtschaft halten der Bildung das Geld vor“, schließt sie. „Für die Wirtschaft ist immer Geld da, für Bildung nicht.“

Susanne Rößeler ist Cello-Lehrerin an einer Musikschule in Berlin-Charlottenburg. Sie protestiere gegen die Kürzungspolitik in Berlin. „Nur 10 Prozent unseres Unterrichts bezuschusst die Stadt, 90 Prozent müssen die Eltern zahlen. Nun soll die öffentliche Förderung weiter gekürzt werden. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll gestrichen werden. Die Stadt will nur die tatsächlich gegebenen Stunden bezuschussen.“ In den Sommerferien gebe es schon lange kein Geld mehr, jetzt solle auch noch bei Krankheit eines Musiklehrers das Geld gekürzt werden.

Die Folgen seien klar: „Festanstellungen sind so unmöglich. Wir würden gerne junge Lehrer und Lehrerinnen einstellen, die Nachfrage ist da. Aber wir können uns das nicht leisten und die Eltern können sich den Unterricht dann nicht mehr leisten. Instrumente sind teuer, Orchesterfahrten sind teuer, das ist für viele Eltern nicht finanzierbar.“

Eine Ermäßigung für sozial benachteiligte Eltern gäbe es schon lange nicht mehr. „Dabei ist Musik so wichtig für die Kinder. Berlin ist international, Musik verbindet. Unsere Schüler sind oder werden auch nicht kriminell.“ Die Nachfrage sei hoch, aber es fehle das Geld. „Es ist eigentlich gar nicht mein Stil, zu demonstrieren“, sagt sie zum Schluss. „Aber ich habe selbst drei Kinder und den Eindruck, dass der rot-rote Senat sich vom Konzept der Musikschule verabschieden will.“

Während viele Teilnehmer der Demonstration die Verantwortung der SPD und der Linkspartei sehen, hielten sich die Sprecher und Sprecherinnen der Organisatoren zurück, weil sie meist selbst mit den Parteien des Senats oder des Abgeordnetenhauses eng verbunden sind. So unterstützt die GEW-Landesvorsitzende Sigrid Baumgardt bei der Abgeordnetenhauswahl SPD und Linkspartei. Der Vorsitzende des Landesschülerausschusses Jonas Botta kandidiert zur Bezirksverordnetenversammlung von Steglitz-Zehlendorf für die Grünen, die eine Koalition mit der SPD anstreben.

Die Partei für Soziale Gleichheit (PSG), die zur Wahl am 18. September antritt, ging mit einer eigenen Delegation und einem Informationsstand am Alexanderplatz zur Demonstration. Sie nannte als einzige Partei die Verantwortlichen für die Bildungsmisere beim Namen.

Mitglieder und Wahlhelfer der PSG verteilten mehrere Tausend Flugblätter, auf denen es heißt: „In einer Gesellschaft, in der der Zugang zur Bildung weitgehend vom Einkommen abhängt, gibt es keine Chancengleichheit. Die Landesregierung aus SPD und Linkspartei hat die Gelder für Bildung immer weiter gekürzt und macht die Lehrer und Erzieher zu Sündenböcken für die Misere im Bildungswesen. Durch Stellenstreichungen, Sozialkürzungen, Gehaltssenkungen und höhere Stunden- und Schülerzahlen wird die Situation für Lehrer und Schüler unerträglich.

Die PSG kämpft gegen die Unterordnung der Bildung unter die unmittelbaren Anforderungen des Marktes. Wir fordern ein Ende der Kürzungen und massive Investitionen in Kitas, Schulen, Hochschulen und in die Erwachsenenbildung, einschließlich der Museen, Bibliotheken und Theater. Das Wissen der Menschheit muss allen Menschen im Internet frei zugänglich gemacht werden.

Nur im Kampf gegen die Profitinteressen der Wirtschaft kann eine hochwertige Bildung für alle geschaffen und zur Grundlage für die demokratische Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gemacht werden.“

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