Der Betrug mit der „Buffett-Regel“

Wenn man durch politischen Betrug Millionen von Arbeitsplätzen schaffen könnte, wäre Obamas Inszenierung als Kämpfer für höhere Steuern für Reiche der Ausweg aus der Krise.

Nachdem er seine Arbeitsmarktreform, den American Jobs Act, und einen Plan zur Senkung des Staatsdefizits vorgelegt hatte, der angeblich auf höheren Steuern für Reiche basieren soll, hat Obama eine Reihe von Auftritten organisiert, die an Wahlkampfveranstaltungen erinnern. Auf diesen Veranstaltungen inszeniert er sich als Kämpfer für wirtschaftliche „Gerechtigkeit“. Als Begründung dafür dient ihm die sogenannte „Buffett Regel“, benannt nach dem Milliardär Warren Buffett aus Omaha, dem zweitreichsten Mann Amerikas.

Buffett hatte diesen Monat in einer Zeitungskolumne erklärt, sein Steuersatz sei niedriger als der seiner Sekretärin. Er kritisierte das Steuersystem der Vereinigten Staaten, weil es die Superreichen zu sehr schont. Er war schon lange einer der größten finanziellen Unterstützer Obamas und anderer Politiker der Demokraten.

Er und eine Handvoll anderer Milliardäre, darunter der Währungsspekulant George Soros, hatten ihre Befürchtung darüber geäußert, dass die wachsende soziale Ungleichheit und die offensichtliche Bevorzugung der Reichen durch die Steuer- und Haushaltspolitik zu allgemeiner Unzufriedenheit und politischer Destabilisierung führen könnten.

Dass sich Obama für die „Buffett-Regel“ einsetzt, hat bei seinen Unterstützern aus der linksliberalen Mittelschicht wahre Begeisterungsstürme hervorgerufen, u.a. bei den Leitartiklern der New York Times, dem Kolumnisten Paul Krugman und dem Magazin The Nation. Die Times bezeichnete seine Steuerpolitik in einem Leitartikel als „wirtschaftlich vernünftig“, und als einen Schritt zu sozialer Gerechtigkeit. Die Nation rief zu Demonstrationen auf, um Obama bei seinem vermeintlichen Linksruck zu bekräftigen.

Genauso vorhersehbar war das empörte Geschrei von rechts. Der neokonservative Kolumnist Charles Krauthammer schrieb in einer seiner typischen Tiraden: „In Wirklichkeit ist Obama ein Gleichmacher und ein überzeugter Sozialdemokrat. Er glaubt fest an den Umverteilungsstaat und ist vor allem ein Kämpfer für ‚Gerechtigkeit‘ – damit meint er, die Regierung soll Gleichheit schaffen und durchsetzen.“

Das Theater, das „Linke“ und Rechte veranstalten, gehört zu der politischen Scharade, mit der Obama versucht, sich und seine rechte, wirtschaftsfreundliche Regierung als zweiten Franklin Roosevelt darzustellen. Das wiederum ist Teil seiner Kampagne, dem amerikanischen Volk bis zur Wahl im Jahr 2012 wieder eine „progressive“ Demokratische Partei vorzuspiegeln.

Am Donnerstag wiederholte Obama bei einer Veranstaltung in Cincinnati die Behauptung der Republikaner, er betreibe mit seiner Politik „Klassenkampf“, und erklärte: „Ich bin ein Kämpfer für die Mittelschicht. Ich bin glücklich darüber, für die Mittelschicht zu kämpfen. Ich bin glücklich darüber, für die arbeitende Bevölkerung zu kämpfen.“

Darauf folgte am Samstag ein Auftritt auf dem jährlichen Festessen des Congressional Black Caucus (Vereinigung Schwarzer Kongressabgeordneter). Hier rief er sein Publikum auf, „die Hausschuhe auszuziehen und die Kampfstiefel anzuziehen.“ Dann griff der Rechtsanwalt und Harvard-Absolvent diejenigen an, die seine Regierung dafür kritisierten, die Reichen gegenüber den Armen und Unterdrückten zu bevorzugen und holte zu einer letzten Motivationsrede aus: „Vergesst das. Beschwert euch nicht. Meckert nicht. Jammert nicht. Wir machen uns an die Arbeit. Es gibt viel zu tun.“

Die „Arbeit“ besteht daraus, den Interessen der amerikanischen Wirtschaft im Inland und denen des amerikanischen Imperialismus im Ausland zu dienen – von den Kriegen im Irak, Afghanistan und Libyen bis zur Verteilung von Staatsgeld an die Banken und Großkonzerne; alles auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.

Die Buffett-Regel ist beispielhaft für Obamas Doppelzüngigkeit. Sie ist trotz ihres Namens keine Regel. Das Weiße Haus hat keine wirklichen Maßnahmen vorgeschlagen, um Steuerflucht und Steuererleichterungen für die Superreichen zu begrenzen, und dabei wird es auch bleiben. Die „Regel“ wird nur als Vorschlag an den Kongressausschuss aus Vertretern beider Parteien weitergeleitet, der innerhalb der nächsten zwei Monate Kürzungen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar ausarbeiten soll.

Die Buffett-Regel wird nicht einmal in Form eines vagen Vorschlags umgesetzt werden, und Obama weiß das genau. Die sechs Republikaner im „Superausschuss“ sind entschiedene Gegner von Steuererhöhungen für Reiche, und einer der Demokraten, Senator Max Baucus, war mitverantwortlich für die Steuersenkungen für die Reichen, die die Bush-Regierung 2001 umgesetzt hat. Der Demokrat John Kerry, ebenfalls Mitglied des Ausschusses, ist der reichste Mann im Senat.

Steuersatz nach Einkommensgruppe Steuersatz nach Einkommensgruppe

Selbst wenn sie umgesetzt würde, würde die Buffett-Regel keine Gerechtigkeit in das amerikanische Steuersystem bringen. Sie würde keine Rückkehr zur traditionellen Politik des amerikanischen Liberalismus in seinen besten Zeiten darstellen. Damals begünstigte das Steuersystem noch eine Umverteilung des Reichtums von den Reichen zu den Armen, wenn auch nur in begrenztem Maße. Die Buffett-Regel würde nur die Abschaffung einiger Abschreibungsmöglichkeiten bedeuten, die von Milliardären wie Buffett genutzt werden, und somit nur einen der vielen Wege zur Umverteilung des Vermögens von den Armen zu den Reichen beseitigen.

Was hat es mit Gerechtigkeit zu tun, wenn Milliardäre und Sekretärinnen denselben Steuersatz zahlen? Eine gerechte und auf Gleichheit basierte Steuerpolitik würde zumindest auch Rücksicht auf die drastische Polarisierung bei Vermögen und Einkommen nehmen, die in den letzten drei Jahrzehnten stattgefunden hat. In dieser Zeit hat sich die Schere zwischen dem reichsten Prozent der Amerikaner und den ärmsten vierzig Prozent mehr als verdreifacht, und in den vergangenen zehn Jahren ist der gesamte Anstieg des Nationaleinkommens bei den Reichen angekommen. Die Polarisierung der Vermögen ist noch größer: zehn Prozent der Bevölkerung besitzen zwei Drittel des nationalen Vermögens.

Die Republikaner schreien zwar ständig „Klassenkampf“, aber in Wirklichkeit machen die Unternehmensgewinne einen immer größeren Teil des Nationaleinkommens aus, und die Löhne der Arbeiter einen immer geringeren. Heute erhält die Arbeiterklasse einen geringeren Anteil am Wert der Produkte, die sie produzieren, als im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, zur Zeit der Industrie- und Finanzoligarchen.

Die staatliche Steuerpolitik hat diese wachsende soziale Kluft noch verstärkt. In den 1950er und 1960er Jahren unter Truman, Eisenhower und Kennedy – die wohl kaum „Sozialisten“ waren - betrugen die Steuersätze für die reichsten Amerikaner noch 91 Prozent. Unter Reagan betrugen sie nur noch unter 50 Prozent. Derzeit liegen sie bei etwa 35 Prozent. Die Steuersätze für die höchsten Einkommen liegen jetzt auf dem niedrigsten Niveau seit den Zwanziger Jahren, vor dem Börsenkrach im Jahr 1929, der das Finanzkapital zwei Generationen lang in Misskredit brachte.

Die ganze Debatte zwischen Demokraten und Republikanern über staatliche Steuerpolitik wird unter falschen Vorzeichen geführt: Es geht nicht darum, „Gerechtigkeit“ wiederherzustellen, weil dies in einer sozial und wirtschaftlich so ungleichen Gesellschaft gar nicht möglich ist. Die Socialist Equality Party fordert eine radikale Umverteilung von Vermögen und Einkommen von den Reichen zur arbeitenden Bevölkerung, deren Arbeit schließlich die Grundlage allen gesellschaftlichen Wohlstandes ist.

Wir wollen keine kosmetischen Korrekturen am Steuersystem vornehmen, durch die einige der ungeheuerlichsten Vergünstigungen für die Superreichen beseitigt würden. Wir wollen die Steuersätze radikal ändern, um die Kapitalisten zu enteignen und die Wirtschaft auf sozialistischer Grundlage umzuorganisieren. Der erste Schritt dazu ist die Wiedereinführung wirklich progressiver Besteuerung, mit einem Steuersatz von mindestens 90 Prozent für alle Einkommen über fünfhunderttausend Dollar, eine zusätzliche Reichensteuer und die Beschlagnahmung der zwei Billionen Dollar, die die Konzerne auf ihren Konten horten, anstatt neue Arbeiter einzustellen. Durch diese Maßnahmen wollen wir ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm finanzieren, um Stellen für die Arbeitslosen zu schaffen und die marode Infrastruktur in Amerika zu reparieren.

Dazu muss die arbeitende Bevölkerung in erster Linie mit dem kapitalistischen Zweiparteiensystem brechen und eine unabhängige Massenbewegung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms aufbauen.

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