Perspektive

Grubenunglück in Wales: Ausbeutung wie zu Dickens‘ Zeiten

Fast zwei Wochen sind vergangen seit vier Bergarbeiter in der privat betriebenen Kohlengrube Gleision im Swansea Valley tragisch zu Tode kamen. Doch noch immer behaupten Ermittler der Polizei und der Arbeitsschutzbehörde HSE (Health and Safety Executive), es sei zu früh, um eine Ursache zu benennen. Diese Hinhaltetaktik entspringt dem Wunsch, zu verheimlichen, dass für die britische Arbeiterklasse wieder Zustände herrschen wie zu Charles Dickens’ Zeiten.

Am 15. September kamen Charles Breslin (62), David Powell (50), Garry Jenkins (39) und Phillip Hill (45) zu Tode, als eine Wand wegbrach, die ein unterirdisches Gewässer absperrte. Der Tunnel, in dem sie arbeiteten, wurde sofort überschwemmt.

Waagrechte Minen sind bekanntlich besonders gefährlich, und Gleision ist da keine Ausnahme. Solche Gruben, bei denen ein Hügel von der Seite her angegraben wird, gelten in der Gegend als Todesfalle. Die vier erfahrenen Bergleute, die mit nur wenigen anderen Arbeitern in der Grube beschäftigt waren, bargen die Kohle mit Sprengstoff und Schaufeln und arbeiteten dabei in sehr beengten Räumen.

Der Grund für ihren Tod liegt unmittelbar im Verrat und der Niederlage des einjährigen Bergarbeiterstreiks von 1984-85, sowie in der darauf folgenden Schließung und Privatisierung der verbliebenen Kohleindustrie.

Aber die extreme Ausbeutung der Bergarbeiter in Gleision und die empörende Gleichgültigkeit ihrer Sicherheit gegenüber wird weit über Süd-Wales und die Bergbauindustrie hinaus einen Widerhall haben. Seit drei Jahrzehnten wurden die sozialen Verhältnisse und der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung Großbritanniens ausgehöhlt.

Süd-Wales war einmal eine der wichtigsten Kohleregionen der Welt. Im Jahr 1913 stammte ein Drittel aller Kohleexporte von dort. In 620 Gruben arbeiteten 232.000 Bergarbeiter. Damals waren die Zechen im Privatbesitz, Bergarbeiter kamen bei Unglücken regelmäßig zu Tode oder wurden verstümmelt. Zwischen 1851 und 1920 gab es in der Kohleregion Süd-Wales 48 Unglücksfälle und dreitausend Tote. Der schlimmste Unfall ereignete sich im Jahr 1913 in der Grube Universal bei Senghenydd, als 439 Menschen getötet wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kohleindustrie des Vereinigten Königreiches verstaatlicht, und nun war die Arbeit viel sicherer. Eine selbstbewusste Arbeiterklasse erkämpfte den Anspruch auf Urlaub und Krankengeld, wenn auch die Löhne immer noch niedrig waren, was zu mehreren Streiks führte. Im Februar 1974 wurde die konservative Regierung von Edward Heath durch einen landesweiten Bergarbeiterstreik gestürzt.

Um der militantesten Sektion der britischen Arbeiterklasse eine Niederlage zu versetzen, provozierte die konservative Regierung von Margaret Thatcher im Jahr 1984 einen Streik: Sie kündigte an, zwanzig Gruben zu schließen, und die Bergarbeiter wussten, dass das nur der Auftakt für die Zerschlagung der ganzen Bergbauindustrie sein konnte.

Thatcher verließ sich auf die Feigheit und Charakterlosigkeit der Bürokraten der Labour Partei und der Gewerkschaften, die ihren Schließungsplan letztlich durchsetzen sollten. Während des ganzen Streiks weigerten sie sich, die Bergarbeiter zu verteidigen. Der Trade Union Congress (TUC) lehnte alle Unterstützungsstreiks ab, und Labour-Chef Neil Kinnock wandte sich gegen die „Gewalttätigkeit“ der Streikposten.

Dieser Verrat wurde durch die National Union of Mineworkers (NUM, Nationale Bergarbeitergewerkschaft) und ihren damaligen Präsidenten Arthur Scargill begünstigt. Anstatt gegen den Verrat zu kämpfen, schrieb Scargill einen geheim gehaltenen Brief an den TUC. Darin hieß es: „Diese Gewerkschaft wird den TUC nicht um Intervention oder Unterstützung bitten.“

Das passte zu Scargills nationalistischem Programm und seinem Unwillen, eine politische Offensive der Arbeiterklasse in die Wege zu leiten, um die Thatcher-Regierung zu stürzen und sie durch eine echte Arbeiterregierung auf Grundlage sozialistischer Politik zu ersetzen.

Nach der Niederlage der Bergarbeiter griff die konservative Regierung eine Sektion der Arbeiterklasse nach den anderen an. Heute hat die NUM nur noch 1.700 offizielle Mitglieder.

Außer der Arbeitergeneration, die diesen Kampf miterlebt hat, wissen viele nichts mehr davon. Das liegt nicht nur daran, dass über fünfundzwanzig Jahre vergangen sind.

Die Labour Party und der TUC nutzten die Niederlage der Bergarbeiter, um ihre alte Politik des Sozialreformismus und jegliche Klassensolidarität aufzugeben. Unter Tony Blair wurde „New Labour“ als erklärte Wirtschaftspartei gegründet. Sie unterschied sich in keiner wichtigen Frage von den Konservativen. Der damalige TUC-Chef John Monks erklärte: „Die Zeit, in der die Gewerkschaften eine gegnerische Opposition waren, ist vorbei.“

Mit diese Wandlung zu direkten Werkzeugen der Finanzoligarchie und der Konzernchefs reagierten die Labour Party und der TUC auf die Wettbewerbsschwäche des britischen Kapitalismus‘ auf dem Weltmarkt. Die herrschende Elite wollte ihre Krise durch Deindustrialisierung und die Aushöhlung des Sozialstaates lösen, um das Land für Finanzspekulationen attraktiver zu machen. Dabei verließen sie sich darauf, dass die Labour- und Gewerkschaftsbürokraten die Arbeiterklasse im Zaum halten und den Widerstand sabotieren würden.

Infolgedessen sank jedes Jahr die Anzahl der Tage, die durch Streiks verloren gingen, und ehemalige industrielle Schlüsselregionen wie Wales wurden zu Brachland, in dem hohe Arbeitslosigkeit und Armut herrschen.

Laut dem Welsh Index of Multiple Deprivation sind in Rhyl West Two in Denbigshire mehr als die Hälfte aller Menschen im arbeitsfähigen Alter (genauer gesagt, 56 Prozent) auf Sozialleistungen angewiesen, um überleben zu können. Die Grafschaft Merthyr Tydfil, – früher eine Hochburg radikaler und sozialistischer Agitation –, gehört jetzt zu den zehn Prozent der ärmsten Regionen im Land.

Die Kinderarmut in Wales liegt bei vierzehn Prozent, was bedeutet, dass ein Elternteil und ein Kind weniger als siebentausend Pfund, bzw. zwei Elternteile und ein Kind weniger als 12.500 Pfund jährlich zum Leben haben. Im Bezirk Neath Port Talbot, wo die Grube Gleision und die Port Talbot Steel Works liegen, leben viertausend Kinder in Armut.

Diese Umstände zwingen Männer wie Breslin, Powell, Jenkins und Hill, (die Todesopfer des Grubenunglücks) unter so gefährlichen Bedingungen zu arbeiten. Den Unterlagen zufolge wurde in Gleision erst vor kurzem mit der Förderung der wertvollen Anthrazitkohle begonnen. Der Preis für diese Kohle ist in den vergangenen drei Jahren um ein Drittel gestiegen. Das Profitstreben war also wichtiger als das Leben dieser Männer.

Dasselbe soziale Elend und dieselbe Ausbeutung findet im ganzen Land statt.

Im April 2006 starb der Stahlarbeiter Kevin Downey (49): Er fiel im Stahlwerk von Port Talbot in einen Kanal voller geschmolzenen Metalls mit einer Temperatur von 1400 Grad. Zuvor war er an einem Hochofen durch Dampf geblendet worden; deshalb stolperte er und fiel in den heißen Metallfluss.

Downeys Tod wurde bei einer Untersuchung diesen Monat als „Unfall“ eingestuft, obwohl der Hochofen von keinerlei Sicherheitsbarriere geschützt war. Im Jahr 2001 starben in demselben Stahlwerk drei Arbeiter, Stephen Galsworthy (25), Andrew Hutin (20) und Len Radford (53). Zwölf weitere wurden verletzt.

Letzten Monat wurde in einer Fabrik des portugiesischen Spanplattenherstellers Sonae der 62-jährige Leiharbeiter Dennis Kay getötet. Er war gerade beim Abriss eines Teils der Fabrik, der von einem Brand beschädigt worden war.

Vor Kays Tod waren in dem Werk bereits im Dezember zwei Arbeiter, Thomas Elmer (27) und James Bibby (24), getötet worden. Sie stürzten in ein riesiges Silo. In den letzten zehn Jahren gab es bei Sonae vier Untersuchungen der Arbeitsschutzbehörde, bei denen das Unternehmen zu Geldstrafen in Höhe von 132.000 Pfund verurteilt wurde.

Durch die Sparmaßnahmen der Regierung von Konservativen und Liberaldemokraten werden solche Tragödien noch zunehmen. Zu den Sparmaßnahmen gehören Kürzungen beim Haushalt des HSE um 35 Prozent, die Abschaffung regelmäßiger Inspektionen in „mittel und wenig riskanten“ Industrien und die Geheimhaltung von Berichten über Verletzungen am Arbeitsplatz, die Krankheitszeiten von mehr als einer Woche zur Folge haben.

Es führt kein Weg daran vorbei, dass Arbeiter neue Organisationen des Klassenkampfs aufbauen müssen, um sich selbst zu verteidigen. Solche Organisationen werden zwangsläufig mit den Labour- und Gewerkschaftsbürokraten in Konflikt geraten. So wird der Erfolg dieses Kampfes davon abhängen, ob sich die Arbeiter eine internationalistische und sozialistische Perspektive aneignen und den unversöhnlichen Kampf gegen das kapitalistische System und seine politischen Verteidiger aufnehmen.

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