Perspektive

Der zehnte Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September

Wie zu erwarten war, wurde der zehnte Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September von der amerikanischen herrschenden Elite und den Medien ausgenutzt, um die Kritikfähigkeit des amerikanischen Volkes zu zermürben, und um die Verbrechen zu rechtfertigen, die in den vergangenen zehn Jahren in ihrem Namen verübt wurden.

Es wird aber deutlich, dass diese Versuche immer weniger wirken. Genau wie alles andere im gesellschaftlichen Leben Amerikas haben die offiziellen Gedenkzeremonien für die Terroranschläge einen ritualisierten Charakter, der immer weniger mit den tatsächlichen Problemen der Menschen zu tun hat.

Der dreitausend Opfer dieses fürchterlichen Verbrechens sollte gedacht werden, und ihre Angehörigen sollten unterstützt werden. Aber die ständigen Versuche, den tragischen Tod dieser Menschen für die schändlichsten Absichten auszunutzen, haben damit nichts zu tun.

Am 12. September 2001, nur wenige Stunden nach den Anschlägen, warnte die World Socialist Web Site in einer Stellungnahme davor, dass das politische Establishment diese Anschläge ausnutzen werde, um „zu rechtfertigen, dass die herrschende Elite ihre geopolitischen und ökonomischen Interessen mit den Mitteln des Krieges verfolgt.“ Diese Einschätzung wurde auf ganzer Linie bestätigt.

Die Teilnahme von George W. Bush und Donald Rumsfeld verlieh den diesjährigen Gedenkfeiern einen sinistren Charakter. Die beiden tragen eine so große persönliche Verantwortung für die Verbrechen und die Gräueltaten, die auf die Anschläge folgten, dass sie das Land nicht verlassen können, weil sie sonst fürchten müssten, als Kriegsverbrecher verhaftet zu werden.

Das Hauptproblem bei dem zehnten Jahrestag ist, dass die amerikanische Bevölkerung zehn Jahre bitterer Erfahrungen hinter sich hat – verheerende Kriege, die Aushöhlung demokratischer Grundrechte, Sozialabbau und Wirtschaftskrisen.

Obwohl das politische Establishment versucht, die Bevölkerung mit einer neuen Terrorwarnung in Angst zu versetzen – was sich im massiven Vorgehen der Sicherheitskräfte im Umfeld des Jahrestages äußerte – hat die große Mehrheit der Bevölkerung eher davor Angst, was die herrschende Elite und die Regierung mit ihnen tun. Die arbeitende Bevölkerung ist andauernd vom Verlust ihrer Arbeitsplätze und ihrer Häuser bedroht, und von der Zerschlagung wichtiger Sozialprogramme.

In den Medien erscheinen zahllose Artikel und Kommentare, in denen behauptet wird, der 11. September habe „uns alle zusammengebracht“, aber in Wirklichkeit waren von Anfang an Klassengegensätze sichtbar. Die Zerstörung der Twin Tower trug zu dem Wirtschaftsabschwung bei, der hunderttausende Menschen ihre Arbeitsplätze kostete, und die New Yorker Obdachlosenheime zum Überquellen brachte, aber die Manager haben dafür gesorgt, dass die Anschläge sie nicht am Anhäufen von Gewinnen hinderten. Sie haben die Tragödie dazu ausgenutzt, Aktienoptionen im Wert von Millionen Dollar für Schnäppchenpreise zusammenzukaufen.

Die Feuerwehrmänner und andere, die auf die Katastrophe reagierten und jetzt an Krebs und anderen Krankheiten leiden, müssen um die Bezahlung ihrer Behandlungskosten durch die Krankenkassen kämpfen, andererseits werden massive Subventionen verteilt, durch die die Besitzer der Grundstücke des World Trade Centers riesige Gewinne machen.

Trotz der Versuche, die Anschläge zu mythologisieren, glauben große Teile der Bevölkerung nicht an die offizielle Version der Ereignisse, die die Regierung verbreitet. Umfragen zeigen, dass die Hälfte der New Yorker Bevölkerung, die am meisten unter der Tragödie zu leiden hatte, glaubt, dass die Regierung in einem gewissen Ausmaß wusste, dass die Anschläge bevorstanden und sie vorsätzlich geschehen ließ. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es in New York, wo die Anschläge stattfanden, auch den größten Widerstand gegen Kriege in ihrem Namen gibt.

Die Ereignisse selbst sind weiterhin umwoben von Geheimhaltung und Vertuschung. Letzte Woche wurde gemeldet, dass die Akten der Untersuchungskommission, die ihre Ergebnisse im Jahr 2004 vorlegte – und die eigentlich, wenn auch in stark zensierter Form, veröffentlicht werden sollten,– auch weiterhin versiegelt im Nationalarchiv liegen.

Diese Kommission war sowieso nicht eingesetzt worden, um eine objektive Untersuchung der Anschläge und ihrer Vorbereitung durchzuführen, sondern um die Beweise dafür zu verschleiern, dass Elemente innerhalb des amerikanischen Geheimdienstapparates von diesen Anschlägen wussten und daran beteiligt waren.

Wir wissen, dass einige der Täter bereits zwei Jahre vor den Anschlägen von der CIA und dem FBI intensiv überwacht wurden. Letzten Monat wurde ein Interview veröffentlicht, in dem Richard Clarke, der ehemalige leitende Antiterror-Berater des Weißen Hauses, behauptete, die CIA hätte bereits lange vor den Anschlägen gewusst, dass zwei der Flugzeugentführer amerikanischen Boden betreten hatten, und diese Information vorsätzlich vor anderen Behörden geheim gehalten.

Was aber feststeht ist, dass in den zehn Jahren seit den Anschlägen kein einziger aus den Kreisen des amerikanischen Geheimdienstes, des Militärs und der Regierungen von George W. Bush und Bill Clinton für das verheerendste Versagen von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden in der Geschichte der Vereinigten Staaten auch nur degradiert oder sonstwie zur Verantwortung gezogen wurde. Daraus kann man unweigerlich den Schluss ziehen, dass jede Anklage zu Schuldzuweisungen führen würde, die belastende Beweise für eine Beteiligung des Staates enthüllen würden.

Wozu wurden die Anschläge benutzt?

Wieder einmal wird der amerikanischen Öffentlichkeit erzählt, der 11. September habe „alles verändert.“ In Wirklichkeit wurden die Politik und die Schritte, die danach ergriffen wurden, bereits seit mindestens zehn Jahren vorbereitet.

Durch die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 hatten die USA die Möglichkeit, als einzige „Supermacht“, als die sie dargestellt wurden, die Vormachtstellung auf der Welt zu erlangen. Nachdem die Hemmungen des US-Imperialismus, die durch den Kalten Krieg entstanden waren, weggefallen waren, begannen einflussreiche Schichten der herrschenden Elite, die unangefochtene amerikanische Militärmacht als ein passendes Mittel zu sehen, den langsamen Niedergang der amerikanischen Wirtschaftsmacht auszugleichen.

Zbigniew Brzezinski, der als Jimmy Carters nationaler Sicherheitsberater maßgeblich an der Planung des Krieges der Mudschaheddin, die von der CIA unterstützt wurden, gegen das prosowjetische Regime in Afghanistan beteiligt war, beschrieb im Jahr 1997 das wichtigste Ziel des US-Imperialismus, nämlich die beherrschende Macht in Eurasien zu werden und den Aufstieg eines Rivalen in der Region zu verhindern. In seinem Buch The Grand Chessboard warnte Brzezinski davor, dass die „demokratischen Instinkte“ des amerikanischen Volkes den aggressiven Einsatz der amerikanischen Militärmacht zu diesem Zweck behindern. Wie er es formulierte, kann das Problem nur durch „eine plötzliche Bedrohung oder eine Gefährdung des allgemeinen Gefühls der Sicherheit im eigenen Land“ gelöst werden.

Die Anschläge vom 11. September waren genau die richtige „plötzliche Bedrohung oder Gefährdung“. Militäraktionen als Vergeltung für die Anschläge in New York und Washington hatten zumindest eine Zeitlang Rückhalt in der Bevölkerung.

Der erste Krieg war gegen das Regime der Taliban in Afghanistan gerichtet. Zuvor hatte Washington sie bei ihrer Machtergreifung unterstützt. Fast zehn Jahre nach Beginn des Krieges sind immer noch hunderttausend US-Soldaten im Land, obwohl Regierungsvertreter zugeben, dass Al Qaida dort nicht in nennenswertem Ausmaß aktiv ist. Allerdings ist das Land ein strategischer Brückenkopf nahe dem Kaspischen Becken, in dem sich 20 Prozent der nachgewiesenen Ölvorkommen der Welt und ein Achtel der Gasvorkommen befinden.

Auf den Afghanistankrieg folgte im Jahr 2002 Bushs Erlass einer National Security Strategy. Mit dieser beanspruchte die US-Regierung das Recht, Präemptivkriege gegen jede Nation zu führen, die sie als potenzielle Bedrohung für die Interessen der Vereinigten Staaten wahrnimmt. Diese Strategie war in Wirklichkeit eine Erlaubnis für Angriffskriege. Das Nürnberger Tribunal hatte Angriffskriege ausdrücklich verurteilt; dies war einer der Hauptanklagepunkte in den Kriegsverbrecherprozessen gegen die Nazis.

Im Jahr 2003 wurde diese Doktrin mit einem unprovozierten Krieg gegen den Irak in die Praxis umgesetzt. Der Irak besitzt die zweitgrößten nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Um diesen Krieg zu rechtfertigen wurden Lügen über nichtexistente Verbindungen des Iraks zu Al Qaida und über Massenvernichtungswaffen verbreitet. Sein Ziel war der Regimewechsel.

Diese Ereignisse waren erst der Anfang des völligen Abgleitens der US-Außenpolitik in die Kriminalität. Durch Washingtons Angriffskriege sind seither mehr als eine Million Iraker, sowie Tausende von Menschen in Afghanistan, Pakistan, und jetzt in Libyen zu Tode gekommen.

Begleitet wurden diese Kriege von einem Abgleiten in immer abscheulichere Praktiken. Folter und gezielte Tötungen wurden offen zur staatlichen Politik erklärt, und die Enthüllungen der barbarischen Vorgänge in Guantanamo, Abu Ghraib, dem Luftwaffenstützpunkt Bagram und den Geheimgefängnissen der CIA riefen weltweit Empörung hervor. Abgesehen davon, dass das amerikanische Militär entfesselt wurde, wurde auch die CIA zunehmend militarisiert. Sie kontrolliert die Flotten von Predator-Drohnen, deren Einsatz in Pakistan, im Jemen, in Somalia und andere Ländern Tausende das Leben gekostet hat. Außerdem entstanden gut finanzierte Söldnerarmeen, die von Firmen wie Blackwater geführt werden, und die Niemandem Rechenschaft schuldig sind.

Im Inland haben in den vergangenen zehn Jahren eine Katastrophe nach der anderen – darunter der Hurrikan Katrina und die Ölpest im Golf von Mexiko – die Auflösung der grundlegendsten Infrastruktur gezeigt. Dazu wurden eine extreme soziale Ungleichheit, prekäre Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung und die Unterordnung aller Facetten der Wirtschaft unter die Banken und Konzerne, sowie die immer schamlosere Anhäufung von Reichtum bei dem obersten Prozent der Bevölkerung offenbar.

Die alles durchdringende Rolle der Finanzwirtschaft im amerikanischen Kapitalismus und das Verschwinden der Grenzen zwischen Spekulation und offener Kriminalität waren letztendlich für den Zusammenbruch im September 2008 verantwortlich, der 25 Millionen Amerikaner arbeitslos machte.

Die Politik war dominiert von einem Angriff auf demokratische Rechte. Dieser reichte von massiver Bespitzelung und der Ablehnung des Habeas Corpus, die unter der Bush-Regierung begonnen wurden, bis hin zur Erklärung der Obama-Regierung, amerikanische Bürger könnten aufgrund eines Terrorverdachtes ermordet werden.

Obamas Wahl zum Präsidenten hat nur gezeigt, dass es nicht möglich ist, im Rahmen des kapitalistischen Zweiparteiensystems gegen die Zerstörung demokratischer Rechte zu kämpfen. Fast drei Jahre nach seiner Wahl sind die US-Truppen noch immer im Irak, und der Krieg in Afghanistan ist stark eskaliert. Der demokratische Präsident geht noch weiter als die Bush-Doktrin und räumt dem US-Imperialismus das Recht ein, überall Krieg zu führen, wo er seine Interessen und „Werte“ bedroht sieht. Zu diesen Werten gehört der „freie Warenverkehr“, d.h. die Politik des freien Marktes, wie sie von den amerikanischen Banken und Konzernen und deren Gewinneninteressen diktiert wird.

Diese neue Doktrin wurde in dem unprovozierten Krieg gegen Libyen umgesetzt. Dieser wurde mit dem erklärten Ziel des Regimewechsels und der Einsetzung einer Marionettenregierung geführt, die sich den Interessen der USA und der westlichen Ölkonzerne fügt.

Die Anschläge und ihr Nachspiel haben auch den starken Verfall dessen enthüllt, was noch von der amerikanischen „Intelligenz“ übriggeblieben war. Ihre Integrität wurde bereits durch ihre Beteiligung an der Bereicherungsorgie im Spekulationsboom der 1990er Jahre erschüttert. Neu entdeckte gesellschaftliche Interessen ließen viele in dieser Schicht ihren Frieden mit dem Imperialismus schließen. Sie stellten den Irakkrieg als rechtmäßig hin und erfanden liberale Rechtfertigungen für Washingtons Verbrechen und wiesen die Antikriegs-Stimmungen früherer Zeiten zurück.

Dieser Prozess trug im Libyenkrieg Früchte. Liberale Akademiker und große Teile der Ex-Linken unterstützten ihn begeistert und halfen dabei, diese imperialistische Übernahme einer ehemaligen Kolonie als humanitären Einsatz darzustellen.

Ein extremer Ausdruck dieser Tendenz war die ekelhafte Rolle der Medien, die mit ihren „eingebetteten Journalisten“ jede Militäraktion und die Lügen, mit denen sie gerechtfertigt werden, bejubeln.

Dieser ideologische Rechtsruck fand angesichts von massenhaftem Widerstand der Bevölkerung gegen den Krieg statt. Diese hat sich seither noch verstärkt, aber sie kann im Rahmen des Zweiparteiensystems keinen wirklichen Ausdruck finden.

Die Reise, auf die sich der US-Imperialismus im Jahr 2001, mit den Terroranschlägen als Rechtfertigung, begeben hat, hat nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Die Kriege in Afghanistan und im Irak haben sich zu blutigen Debakeln entwickelt. Die Billionen von Dollars, die in einem Jahrzehnt in die Kriege investiert wurden, haben nicht zu sprudelnden Gewinnen aus der Ölindustrie geführt, sondern nur die Finanzkrise verschlimmert.

Diese Niederlagen bedeuten allerdings nicht das Ende des US-Militarismus, ganz im Gegenteil, sie werden zu größeren und weitaus tödlicheren Kriegen führen. Parallel zu den Diskussionen über einen weiteren Abzug der US-Truppen aus dem Irak wurde darüber diskutiert, die CIA-Aktivitäten im Iran auszuweiten. Man kann davon ausgehen, dass es im Nahen Osten und Zentralasien noch zu weiteren Kriegen wie dem in Libyen kommen wird. Und das Pentagon bereitet sich derzeit auf einen Krieg gegen China vor.

Was Bush meinte, als er von den „Kriegen des 21. Jahrhunderts“ sprach, geht unablässig weiter, und wird unweigerlich zu einer neuen, noch größeren Katastrophe führen.

Die wichtigste Lehre aus den Erfahrungen der zehn Jahre seit den Anschlägen ist es, dass der Kampf gegen Krieg und für die Verteidigung grundlegender sozialer und demokratischer Rechte nur auf der Grundlage der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das Profitsystem – die Ursache für Militarismus und Reaktion – geführt werden kann.

Die Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus läutet eine neue Ära revolutionärer Erhebungen ein. Die wichtigste Frage ist die nach einer revolutionären Führung und Perspektive, um die zukünftigen Kämpfe mit einem ausgearbeiteten sozialistischen und internationalistischen Programm auszustatten. Dies erfordert vor allem den Aufbau der Socialist Equality Party.

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