Perspektive

Noch einmal: Obama und die Wall Street

Präsident Obamas Versuche, sich als populistischen Volkstribun darzustellen und die Wall-Street-Proteste für seine Wiederwahl auszunutzen, sind selbst nach den verkommenen Maßstäben der amerikanischen Politik ein Höhepunkt an Zynismus und Unehrlichkeit.

Sie zeigen wieder, dass die herrschende Klasse Amerikas bei ihrem Tun davon ausgeht, dass die amerikanische Bevölkerung unrettbar leichtgläubig ist und außerdem unter kollektivem Gedächtnisschwund leidet.

Seine Regierung ist seit fast drei Jahren an der Macht. In dieser Zeit hat die größte Umverteilung von Staatsgeldern zur Finanzelite in der Geschichte – ohne Gegenleistung oder Bedingungen – stattgefunden. Gleichzeitig hat sie sich geweigert, ernsthaft gegen die schlimmste Krise auf dem Arbeitsmarkt seit der Großen Depression vorzugehen. Armut und soziales Elend sind in dieser Zeit genauso gestiegen wie die Gewinne der Konzerne und die Managergehälter. Und jetzt präsentieren sich Obama und die Demokraten als die Partei für Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit.

Diese absurde Inszenierung wurde durch die Pleite von MF Global zu einem politisch ungünstigen Zeitpunkt erheblich gestört. MF Global hatte unter Leitung des ehemaligen Vorstandschefs von Goldman Sachs und demokratischen Senators und Gouverneurs des Bundesstaates New Jersey, Jon Corzine, mit europäischen Staatsanleihen spekuliert. Es fehlen immer noch 633 Millionen Dollar Anlagegelder von Kunden.

Corzines Karriere ist ein gutes Beispiel für die sprichwörtliche Drehtür zwischen den Vorstandsetagen von Firmen und dem Regierungsapparat, und für die intimen Beziehungen zwischen der Demokratischen Partei und der Wall Street. Der millionenschwere Banker und Politiker, gegen den jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen dem Diebstahl von Geldern seiner Kunden läuft, ist auch ein wichtiger Geldbeschaffer für Obamas Wiederwahlkampagne. Dieses Jahr fand die erste Spendenveranstaltung für Obama in seinem schicken Apartment in Manhattan statt.

Corzine gehört zu den Finanzparasiten, die das obere 0,1 Prozent der Einkommensleiter darstellen, deren Betrügereien zur weltweiten Wirtschaftskrise führten, und die sich, mit Unterstützung von Obama und seinen Amtskollegen auf der ganzen Welt, an der von ihnen verursachten sozialen Katastrophe noch weiter bereichert haben.

Der Skandal um Corzine hat Obama nicht daran gehindert, die pseudopopulistische Täuschungskampagne weiterzuführen, die er im September mit der Bekanntgabe seiner Arbeitsmarktreform American Jobs Act begann. Genau wie alle anderen Maßnahmen seiner Regierung, die „Arbeitsplätze schaffen sollen“, handelt es sich dabei um ein wirtschaftsfreundliches Paket, bestehend aus Steuersenkungen für Unternehmen und ähnlichen Maßnahmen, darunter Kürzungen der Lohnsteuer für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wodurch dem Rentensystem Social Security Geld verloren gehen wird. Dazu kommen noch die Kürzungen in Höhe von vier Billionen Dollar durch Sparmaßnahmen, die Obama vorgeschlagen hat, darunter auch Kürzungen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar an grundlegenden Sozialprogrammen und eine Steuerreform, durch die die Steuern für Unternehmen noch weiter gesenkt werden.

Da die Republikaner den Gesetzesvorschlag mit Sicherheit blockieren werden, hat Obama seine „Wir können nicht warten“-Show inszeniert. Er kündigt in mehreren Städten alibihafte Aktionen an, durch die angeblich drängende soziale Probleme wie Zwangsversteigerungen und Studentenverschuldung angegangen werden sollen. In Wirklichkeit sind alle Maßnahmen, die Obama angekündigt hat, von den Banken bereits dahingehend geprüft worden, ob sie in irgendeiner Weise ihre Profite schmälern würden.

Der bisher letzte derartige Auftritt fand am Dienstag statt, als Obama in Pennsylvania, in Yeadon, einem Vorort von Philadelphia in einer Einrichtung von Head Start (amerikanisches Unterrichtshilfeprogramm) auftrat. Im Namen von „Reform“ und „Wirtschaftlichkeit“ kündigte Obama eine neue Regelung an, durch die Head Start-Programmen im ganzen Land die Mittel gekürzt werden, angeblich weil sie Standards der Regierung nicht erfüllen. Hierbei handelt es sich um eine Erweiterung der sogenannten „Reform“-Agenda, durch die im ganzen Land hunderte von Schulen geschlossen und hunderttausende Lehrer entlassen wurden.

Am Montag erschien in der Washington Post ein Artikel mit dem Titel: „Wall Street erholt sich in Obamas Amtszeit“, der auf gewisse Fakten eingeht, die zeigen, dass sich Obama und seine Regierung stets darauf konzentrieren, es der Finanzaristokratie zu ermöglichen, sich weiterhin zu bereichern. In dem Artikel ist zu lesen:

* Unter Obama konnten die größten Banken – diejenigen mit mehr als einhundert Milliarden Dollar Kapital – ihr Gesamtkapital um etwa zehn Prozent erhöhen, ihre Gewinne pendeln wieder auf Vorkrisenniveau.

* Wall Street-Investmentunternehmen – unabhängige Firmen und die Wertpapiersparten von Banken – haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren mindestens 83 Milliarden Dollar Gewinn gemacht, während sie in den acht Jahren der Bush-Regierung insgesamt 77 Milliarden Gewinn machten.

* Die größten Banken, darunter die Bank of America, Citigroup und Wells Fargo, verzeichneten im ersten Halbjahr 2011 34 Milliarden Dollar Gewinn, fast genauso viel wie sie im Jahr 2007 im gleichen Zeitraum eingenommen haben, und mehr als je zuvor in einem halben Jahr.

* In New York City stieg das Durchschnittsgehalt an der Wall Street um 16,1 Prozent auf 361.330 Dollar, mehr als fünfmal so viel wie das eines Arbeiters aus dem Privatsektor.

Der Artikel erwähnt Studien, die zeigen, dass die „geretteten“ Banken das Geld, das sie von der Regierung erhalten haben, verwendet haben, um ihre Profite um fast zehn Prozent zu erhöhen, indem sie sich weigerten, es an die Konsumenten weiterzugeben und es stattdessen für riskante, aber hochprofitable Spekulationen zu verwenden.

Diese Fakten helfen, zu verstehen, warum Obama bisher von Finanzunternehmen mehr Geld für seine Kampagne und für das Nationalkomitee der Demokraten erhalten hat als alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten zusammen – insgesamt 15,6 Millionen Dollar.

Auch während er seine Sympathie für die Wall-Street-Proteste ausdrückt, macht Obama immer noch Stimmung für die Finanzmafia. Die New York Times, ein eifriger Unterstützer Obamas, fühlte sich trotzdem dazu verpflichtet, am Mittwoch einen Leitartikel zu veröffentlichen („Die Banken kommen billig davon“), der die Regierung dafür kritisiert, dass sie eine Vereinbarung durchsetzen will, die die Banken vor Klagen von Regierungen der Bundesstaaten schützt, wenn sie bei Zwangsversteigerungen gegen Gesetze verstoßen haben. Im Gegenzug sollten die Banken dafür alibimäßig 25 Milliarden Dollar zahlen.

Durch diese Vereinbarung würden Klagen wegen anderer krimineller Aktivitäten der Banken verhindert– unter anderem Hypothekenbetrug und betrügerische Vermarktung von Wertpapieren auf Hypothekenbasis – Praktiken, die ein Kernelement des Subprime-Schneeballsystems waren, dessen Zusammenbruch zur derzeitigen weltweiten Krise geführt hat.

Das Weiße Haus kritisiert die Regierungen der Bundesstaaten – darunter New York, Kalifornien und Delaware – weil sie sich weigern, das Abkommen zwischen der Wall Street und der Obama-Regierung zu unterzeichnen.

In der Obama-Regierung und den Demokraten haben die Arbeiterklasse und alle, die gegen die Vorherrschaft der Konzerne und gegen soziale Ungleichheit kämpfen, einen genauso großen Feind und ein genauso gefügiges Werkzeug der Finanzaristokratie wie in den Republikanern. Dieses politische System kann nicht durch Druck dazu gebracht werden, der Finanzelite Einhalt zu gebieten, weil es ein Geschöpf und Diener dieser Elite ist. Die anstehende Aufgabe ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Kampf zur Abschaffung des Kapitalismus und die Errichtung der Grundlage für Gleichheit und die Befriedigung sozialer Bedürfnisse – des Sozialismus.

Loading