Norwegen:

Neofaschist Breivik warnte Behörden vor Mordplänen

Der neofaschistische Mörder Anders Breivik rief im letzten März das Service-Center der norwegischen Regierung an und drohte mit einem Massaker. Der Anruf erfolgte nur vier Monate, bevor Breivik 77 Menschen tötete und weitere 151 verletzte.

Am 22. Juli 2011 zündete Breivik in der Hauptstadt Oslo eine Autobombe, die acht Menschen tötete. Dann fuhr er zu der Insel Uttoya, wo er in einem Amoklauf 69 junge Mitglieder der Arbeiterpartei niederschoss, die an einem Sommerlager teilnahmen.

Der öffentlich-rechtliche norwegische Nachrichtensender NRK berichtete am vergangenen Freitag, dass ein Mann mit demselben Dialekt wie Breivik in einem Telefonat davon gesprochen hätte, Mitglieder der Jugendabteilung der Arbeiterpartei zu erschießen. Der Sender sagte, Breivik habe in demselben Anruf auch von einem Manifest gesprochen – ein Verweis auf das 1500 Worte umfassende Dokument, das er als „Manifest“ für eine „konservative Kulturrevolution“ in ganze Europa bezeichnete.

Die Rezeptionistin, die den Anruf entgegennahm, notierte die Drohungen, den Namen des Anrufers, seine Telefonnummer und das Datum des Anrufs. Die Polizei wurde nicht benachrichtigt. Margot Vaagdal, Chefin der Kommunikationsabteilung des Service-Centers, sagte gegenüber AFP, dass die Polizei erst nach Breiviks Massaker von der Existenz des Telefonats erfuhr, da das Service-Center „der Meinung war, dass ein Teil davon vielleicht für den Fall von Bedeutung wäre.“

Der Sender NRK berichtete auch, Breivik habe im Mai oder Juni 2010 ein Regierungsministerium angerufen und um Mitgliederlisten der Jugendabteilungen verschiedener politischer Parteien gebeten. Diese Informationen seien ihm nicht ausgehändigt worden, da das Ministerium nicht über derartige Details verfüge.

Diesen Enthüllungen ist seitens der Medien sehr wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Nur die BBC hat bisher auf Englisch über die Telefonate berichtet. Politisch gesehen ist das ein Teil der Bemühungen der norwegischen Behörden, die Tatsache herunterzuspielen, dass Breiviks Tat politisch motiviert war und auf eine allgemeine Entwicklung des weit rechts stehenden Terrorismus hindeutet, der entweder von der Polizei und den Sicherheitsdiensten verschwiegen oder in einigen Fällen aktiv von ihnen angezettelt wird.

Aus den sehr beschränkten Informationen, die die norwegischen Behörden nach der Tat bekannt gegeben haben, geht hervor, dass Breivik seine akribisch geplante Aktion praktisch unbehelligt planen und ausführen konnte.

Dennoch versuchen die Behörden, Breiviks Massaker als das Produkt eines psychisch kranken Einzeltäters ohne äußere Unterstützung darzustellen.

Bis zum 22. Juli unterhielt Breivik enge Beziehungen zu rechtsgerichteten und faschistischen Organisationen innerhalb Norwegens und auf internationaler Ebene. Kurz bevor er den Massenmord verübte, schickte er sein Manifest an 1003 Email-Adressen, darunter 250 britische Kontakte. Nach seiner Verhaftung hat er nach Angaben der Polizei ausgesagt, dass etwa achtzig „Zellen“ in ganz Europa seine politischen Ansichten und seine gewalttätigen Ziele teilten.

Bis 2006 war Breivik ein Mitglied der weit rechts stehenden und gegen Einwanderer gerichteten Fortschrittspartei gewesen. Er hatte sich ihrer Jugendabteilung vor zehn Jahren angeschlossen. Breivik unterhielt enge Verbindungen zur faschistischen English Defence League (EDL). Er führte diverse Diskussionen mit führenden Mitgliedern der EDL und schrieb in seinem Manifest, dass er die Gruppe hinsichtlich ihrer Aktivitäten beraten habe. Er behauptete, zusammen mit EDL-Führern und anderen, einschließlich Mitgliedern paramilitärischer Gruppen vom Balkan, an dem Treffen des Knights Templar 2002 in London teilgenommen zu haben

Die EDL und ähnliche Gruppen sind alle von Polizeispitzeln durchsetzt, wie sich auch kürzlich im Fall der drei rechtsgerichteten Terroristen in Deutschland gezeigt hat, die für die Morde an neuen Einwanderern und einer Polizistin, drei Bombenexplosionen und vierzehn Banküberfälle zwischen 2000 und 2007 verantwortlich sind.

In Breiviks Manifest werden viele rechtsgerichtete Individuen und Gruppen aufgeführt. Andere rechtsgerichtete Kräfte sind im Gefolge des Massakers mit ihm in Verbindung gebracht worden. Keiner dieser Verbindungen ist in angemessener Weise nachgegangen worden. Führende Kreise fürchten offensichtlich, dass sogar eine begrenzte Untersuchung der Ereignisse vor dem Massaker am 22. Juli für alle diejenigen, die zu Breivik Kontakt hatten, unangenehme Fragen aufwerfen würde.

Während Breivik in seinem Manifest klargestellt hat, dass sein Manifest, das von einem weit rechts stehenden Programm inspiriert war, die Politik der norwegischen Arbeiterpartei – die er als „marxistisch“ ansah - ablehnte, versuchen die regierenden und ermittelnden Behörden seine Motive weiterhin als die eines psychisch Kranken abzutun.

Am 29. November erklärten zwei vom Gericht bestellte Psychiater Breivik nach 36stündigen Gesprächen für unzurechnungsfähig.

Breivik soll am 16. April wegen Terrorismus vor Gericht gestellt werden. Es wird erwartet, dass das Osloer Distriktgericht innerhalb der kommenden Woche entscheidet, ob es ein weiteres psychiatrisches Gutachten anfordert. Diese Woche hat das Gericht sowohl die Anklage, als auch die Verteidigung aufgefordert, vorzuschlagen, wer Breivik ihrer Meinung nach begutachten sollte.

Vorangegangen war die Anzweifelung der ursprünglichen Diagnose durch ein Team von vier Experten, die nach einer Beobachtung Breiviks zu dem Schluss gekommen waren, dass er weder psychotisch, noch schizophren ist und ihrer Ansicht nach keine Medikamente braucht. Die neuen Erkenntnisse wurden dem Gericht von Staatsanwalt Svein Holden vorgelegt, der sofort klar machte, dass er kein neues psychiatrisches Gutachten in Auftrag geben werde.

John Arild Aasen, ein Rechtsanwalt, der die Familien von drei Breivik-Opfern vertritt, verurteilte die Haltung des Staatsanwalts. In einem TV-Interview sagte er: „Das zeigt, dass es beträchtliche wissenschaftliche Kontroversen gibt und dringend notwendig ist, Breivik weiter zu untersuchen.“

Sollte Breivik für unzurechnungsfähig erklärt werden, hätte das ernsthafte Auswirkungen, da sein Prozess sich mehr um die Einschätzung seiner psychischen Gesundheit als um eine gründliche Untersuchung seiner politischen Motive, seines rechtsradikalen Hintergrunds und seiner Verbindungen zu zahlreichen neofaschistischen Einzelpersonen und Gruppen drehen würde.

Nach Aussage seines Verteidigers Geir Lippestad wünscht Breivik selber keine weiteren psychologischen Gutachten. In einer aufschlussreichen Erklärung, die auf Breiviks eingestandene ideologische Motive für das Massaker hinweisen, sagte Lippestad: „Er meint, für eine Einschätzung seiner Zurechnungsfähigkeit sei es angebrachter, Zeugen mit Kenntnissen des politisch motivierten Terrors, der Geschichte und der politischen Wissenschaft vor Gericht zu holen.“

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