Wachsende Spannungen nach Aktionen der ultraorthodoxen Juden

Ende Dezember kam es in Bet Schemesch zu Zusammenstößen rechter jüdischer Organisationen mit der Polizei. Am Dienstag erfolgte ein Protest tausender weltlicher und gemäßigter Juden gegen die erzwungene Geschlechtertrennung, die ultraorthodoxe Gruppen durchsetzen wollen.

Unmittelbarer Auslöser der Unruhen war die Ausstrahlung einer Dokumentarsendung des Channel 2 am Abend des 23. Dezember. Das Filmmaterial zeigte das weinende achtjährige Mädchen Naama Margolese, welches berichtete, von Charedim, ultraorthodoxen Juden, auf der Straße beschimpft und bespuckt worden zu sein. Das Mädchen sagte, es habe wegen der erlittenen Schmähungen Angst zur Schule zu gehen.

Berichten zufolge haben Charedim bereits sechsjährige Mädchen bespuckt und als “Huren” und “Nazis” beschimpft, weil diese Schuluniformen mit knielangen Röcken und Oberteilen mit Ärmeln, trugen, die mindestens zum Ellenbogen reichten. Solche Uniformen sind üblich in regulären israelischen Religionsschulen.

Die BBC (British Broadcasting Corporation) berichtet, dass ein Kamerateam von Channel 2 angegriffen wurde, als es vergangenen Samstag filmen wollte. Die israelische Tageszeitung Ha’aretz spricht von zweihundert orthodoxen Charedim, die auf das Team losgingen.

Dieselbe Ha’aretz berichtet, dass „am Montagmorgen Dutzende ultraorthodoxer Männer Polizeibeamte und Behördeninspektoren umzingelten. Sie wollten bereits zum dritten Mal in dieser Woche in dem von Charedim bewohnten Stadtteil von Nahala Vemenuha ein an der Hazon-Ish-Straße angebrachtes Symbol entfernen, das Männern und Frauen separate Bürgersteige zuweist. Die Männer versuchten, die Demontage zu verhindern, nannten die Polizeibeamten ‚Nazis‘ und tanzten kreisend um sie herum.“

Im weiteren Verlauf des Tages wurde ein Nachrichtenteam von Channel 10 attackiert, etwa eine Stunde später ein weiteres Channel-2-Nachrichtenteam. Gemäß Ha’aretz wurde ein Kameramann tätlich angegriffen und die Polizei in Übergriffe mit etwa dreihundert Charedim gezogen.

Am Dienstag tagsüber kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, an denen etwa dreihundert ultraorthodoxe Einwohner beteiligt waren. Am Abend wurde eine Massenkundgebung von Tausenden Menschen abgehalten, die die Handlungen der ultraorthodoxen Gruppen, ihre reaktionäre Behandlung von Frauen und Kindern sowie die von ihnen geforderte Geschlechtertrennung verurteilten.

Die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu stützt sich auf zwei ultraorthodoxe Parteien: die Schas-Partei und das Vereinigte Thora-Judentum (UTJ). Insgesamt 16 von Netanjahus 66 Parlamentssitzen stellen diese beiden Parteien. Das Parlament besteht aus 120 Mitgliedern. Die Regierung wird nichts Ernsthaftes unternehmen, was diesen unverzichtbaren Flügel verstimmen könnte.

Doch die von den anderen Teilen des Establishments erklärte Opposition ist scheinheilig. Sie versuchen, die Proteste für ein Aufputschen der Feindseligkeiten gegen den Iran zu nutzen.

Als er die Bevölkerung dazu aufrief, an dem Protest teilzunehmen, sagte Staatspräsident Schimon Peres: “Wir alle…müssen Israels Ansehen vor einer kleinen Minorität schützen, die die nationale Solidarität zerstört und sich in äußerst wütender Form gebärdet.“

Während des Protests wurden einige Plakate gezeigt, die das iranische Regime kritisieren, darunter mit Aussagen wie „Befreit Israel vom religiösen Zwang“ und „Verhindert, dass Israel zum Iran wird.“

Am Protest beteiligten sich auch führende Persönlichkeiten der Opposition. Tzipi Livni, die Vorsitzende der Kadima-Partei, der größten Partei in der Knesset, hielt eine Ansprache. Sie sagte, die Protestierenden würden „für den Ruf des Staates Israel kämpfen“ und fügte in einer offensichtlichen Bezugnahme auf das iranische islamistische Regime hinzu, dass „es nicht nur um Bet Schemesch und nicht nur um Geschlechtertrennung geht. Es geht um alle extremistischen Elemente, die sich vor uns hinstellen und uns ihre Weltanschauung aufzuzwingen versuchen.“

Bevor der Protest stattfand, sagte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, dass “die Behandlung dieses achtjährigen Mädchens für Israels Demokratie entwürdigend“ sei.

Das ist glatte Heuchelei.

Die ultraorthodoxen Gruppen Israel werden von der herrschenden Elite seit langem gehegt und gepflegt – sie haben in verschiedenen Koalitionsregierungen entscheidende Rollen gespielt. Die faschistischen Schichten, die diese Parteien repräsentieren, laufen Sturm gegen jegliches Entgegenkommen an die Palästinenser, die im Westjordanland und im Gazastreifen aufs Brutalste von israelischen Streitkräften belagert werden.

Aufeinanderfolgende Regierungen, darunter die von Netanjahu, brauchten diese ultrarechten Organisationen, um durchzusetzen, dass die Palästinenser, – als neue Bedingung für jegliche Friedensverhandlungen – Israel als jüdischen Staat anerkennen.

Obzwar die israelische Verfassung sich auf Israel als jüdischen Staat bezieht, verstand man dies weitestgehend bis vor kurzem in der Bedeutung eines Staates der jüdischen Bevölkerung. Heute besagt diese Forderung die Anerkennung der ausschließlich religiösen Natur des Staates und implizit die Zweitklassigkeit der nichtjüdischen Bevölkerung, zu der die vor Israels Staatsgründung hier siedelnden Palästinenser sowie ihre Nachkommen zählen, die zwanzig Prozent aller Einwohner Israels ausmachen. Die Anerkennung dieser Forderung würde den Weg für eine gegen die Palästinenser gerichtete ethnische Säuberung bereiten, sollte ein palästinensisches Gemeinwesen eingerichtet werden.

Es wurden zahllose Zugeständnisse an die ultraorthodoxen Parteien und Gruppen gemacht. Die Versuche in Bet Schemesch Geschlechtertrennung einzuführen, sind nicht neu. Es gibt sie seit Jahren. Allerdings weigerte sich in der vergangenen Woche erstmals eine Frau, auf Aufforderung eines Charedi im hinteren Teil des Busses Platz zu nehmen. Sie weigerte sich auch, als ein Polizist, den der Busfahrer rief, sie dazu aufforderte. Obwohl zu Beginn des Jahres von einem israelischen Gericht die erzwungene Geschlechtertrennung in Bussen verboten wurde, ist „freiwillige Geschlechtertrennung“ nach wie vor gestattet.

Die World Socialist Web Site warnte bereits vor der Kultivierung solcher rechten Elemente. Sie werden genau so sicher gegen die jüdische Arbeiterklasse in Stellung gebracht, wie sie gegen die arabische Israelis und Palästinenser vorgehen. (Siehe Der israelische Staat und die ultrarechte Siedlerbewegung)“

Die jüngsten Proteste brachen nur wenige Monate nach den größten Massenprotesten in der israelischen Geschichte vom August und September aus. Diese sozialen Massenbewegungen forderten ein Ende der von der Regierung betriebenen Politik des freien Marktes, die in dramatischer Weise Armut und soziale Ungleichheit verschärft hat. Im Oktober fanden weitere Großproteste statt, die direkt von der Occupy-Wall-Street-Bewegung inspiriert wurden.

Die Charedimjuden haben die höchsten Armutsraten. Hauptgrund dafür ist, dass so wenige von ihnen arbeiten, da sie in religiösen Bildungseinrichtungen eingeschrieben sind und von staatlicher Unterstützung leben. Weitere verarmte Gruppen bilden die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Äthiopien. Die Kultivierung religiösen Obskurantismus ist hilfreich dabei, diese Schichten von anderen Teilen der Arbeiter zu isolieren und die religiöse Identität als Basis israelischer Politik zu stärken. Die widerstreitenden Klasseninteressen geraten dabei außer Blick.

Arbeiter und Jugendliche müssen sich einerseits den rechten Elementen innerhalb der ultraorthodoxen Gruppen und all den Angriffen gegen demokratische Rechte von Frauen und Kindern entgegenstellen. Andererseits müssen sie all die Ansprüche zurückweisen, mit denen sie in ein Bündnis mit vorgeblich „fortschrittlichen“ Elementen der herrschenden Elite gebracht werden sollen. Es ist erforderlich, sich eine sozialistische Perspektive zu eigen zu machen, um eine Umverteilung des Reichtums von den Reichen zu den Armen sowie Einigkeit zwischen jüdischen und arabischen Arbeitern und Jugendlichen herzustellen. Dies wird den geistlichen Reaktionären sowie ihren politischen Verbündeten in der Regierung die Grundlage entziehen.

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