Bundesregierung beschließt Neonazi-Verbunddatei

Die Bundesregierung reagiert auf die Neonazi-Mordserie der Zwickauer Terrorzelle mit der Zentralisierung und Aufrüstung der Sicherheitsbehörden, obwohl sich die Hinweise mehren, dass diese Teil des Problems sind.

Nur zwei Wochen nachdem Anfang November bekannt geworden war, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zahlreiche rassistische Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle begangen hatten, von denen Polizei und Geheimdienste angeblich nichts wussten, legte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) einen Zehn-Punkte-Plan zur Aufrüstung der Sicherheitsbehörden vor.

Bereits am 16. Dezember nahm dann das so genannte „Gemeinsame Abwehrzentrum (GAZ) gegen Rechtsextremismus“ in Köln seine Arbeit auf, in dem Vertreter aller Nachrichtendienste sowie Polizeivertreter aus Bund und Ländern zusammenarbeiten.

Am vergangenen Mittwoch meldete Friedrich einen weiteren „Meilenstein“, den Aufbau einer Verbunddatei, in der alle Informationen der mehr als 40 Polizei- und Geheimdienstbehörden über rund 10.000 gewaltbereite Rechtsextremisten zusammengefasst werden. „Diese Verbunddatei ist eine sehr wertvolle und nützliche Ergänzung des Gemeinsamen Abwehrzentrums“, erklärte Friedrich und bedankte sich ausdrücklich bei den Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm.

Antirassistische Initiativen begrüßten Friedrichs Vorstoß. Mit der Verbund-Datei werde „ein längst überfälliger und wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan“, sagte Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Endlich gäbe es eine Arbeitsgrundlage, auf der Sicherheitsbehörden rechter Gewalt nachgehen könnten.

Doch diese Hoffnung trügt. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Rechtsextremismus werden hier grundlegende demokratische Rechte ausgehebelt. Im Endeffekt stärkt diese Aufrüstung des Staatsapparats die Rechten, während sie die Verteidiger von Demokratie und sozialer Gleichheit schwächt.

Mit dem Gemeinsamen Abwehrzentrum und der Neonazi-Datei wird das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei weiter aufgeweicht. Dieser Grundsatz des bundesdeutschen Rechts war die Schlussfolgerung aus der unheilvollen Arbeit von Hitlers Geheimer Staatspolizei (Gestapo). Der Bundesdatenschutz-Beauftragte Peter Schaar hat aus diesem Grund Bedenken gegen GAZ und Verbunddatei angemeldet, die er durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht ausgeräumt sieht. Die Verbunddatei sei „weiterhin kritisch zu beurteilen“.

Für den Bereich „Ausländerterrorismus“ existieren bereits ein Gemeinsames Abwehrzentrum und eine Verbunddatei. Es wird nicht lange dauern, bis ein Vorwand gefunden wird, um auch für den Bereich „Linksextremismus“ ein Abwehrzentrum und eine Verbunddatei einzurichten. Unter „Linksextremismus“ verstehen Regierung, Geheimdienste und Polizei alle Initiativen, die sich gegen Rassismus, Neo-Nazismus und allgemein gegen die offizielle Berliner Politik richten.

Friedrich hatte noch unmittelbar nach dem Massaker des norwegischen Rechtsextremen Anders Breivik im vergangenen Sommer erklärt, er sehe keine unmittelbare Gefahr für rechtsextremistische Terroranschläge in Deutschland. Nun will er den Eindruck erwecken, die Aktivitäten der Zwickauer Terrorzelle seien von den deutschen Sicherheitsbehörden „übersehen“ worden, und zwar aus rein technischen Gründen.

Das trifft nicht zu. Seit Monaten gelangen immer neue Belege an die Öffentlichkeit, dass die Geheimdienst- und Polizeibehörden eng mit den Neonazis zusammenarbeiten, die sie angeblich bekämpfen. So wurde recht schnell bekannt, dass sich die drei Zwickauer Rechtsterroristen unter den Augen der Geheimdienste radikalisieren, Gewalt predigen und  schließlich untertauchen konnten.

Wie man seit längerem weiß, hat Tino Brandt, der Anführer des rechtsextremen „Thüringischen Heimatschutzes“ (THS), dem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angehörten, zwischen 1994 und 2001 mit dem Thüringer Verfassungsschutz (LfV) zusammengearbeitet und dafür 200.000 DM kassiert, die er in den Aufbau des THS steckte. Brandt sammelte auch noch Gelder für die drei Terroristen, als sie bereits abgetaucht und angeblich spurlos aus den Augen der Sicherheitsbehörden verschwunden waren.

Nun berichten Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, dass neben dem Verfassungsschutz von Bund und Ländern noch weitere Behörden V-Leute und Informanten im THS hatten. Mindestens fünf bezahlte Spitzel sollen es gewesen sein.

So heißt es in einem Bericht des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), ein Kontaktmann der Rechtsterroristen habe am 26. April 2000 – also zwei Jahre nach deren angeblichen Verschwinden – „die Vertrauensperson des LfV Thüringen (gebeten), einen Kontakt zu einer der Familien der Untergetauchten herzustellen“. Tino Brandt alias „Otto“ hat auf Nachfrage bestritten, dass er dieser V-Mann gewesen sei. Ein solcher Vorgang sei ihm nicht bekannt, er sei auch nie in dieser Sache angesprochen worden, sagte Brandt der Frankfurter Rundschau.

Laut der Zeitung hatten neben dem LfV „offenbar mindestens drei Bundesbehörden eigene Quellen im THS“. So habe laut Informationen, die Thüringens Innenministerium vorlägen, das Bundesamt für Verfassungsschutz einen eigenen V-Mann im THS geführt. Die Identität dieses V-Manns und die Dauer seiner Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst seien bisher nicht bekannt.

Auch der dem Verteidigungsministerium unterstellte Militärische Abschirmdienst (MAD) soll eigene Spitzel im gewaltbereiten THS gehabt haben. Am 20. November 2011 wurde bekannt, dass eine V-Person des MAD kurz nach dem Abtauchen des Neonazi-Trios im Januar 1998 dessen neuen Aufenthaltsort an eine MAD-Außenstelle in Leipzig gemeldet hatte. Anfang dieses Jahres zitierte dann der Spiegel aus einem geheimen Ermittlungsbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) vom 12. Dezember 2011, aus dem hervorgeht, dass der MAD eine „Vertrauensperson“ im THS geführt habe.

Dem Bericht zufolge, der auch dem Mitteldeutschen Rundfunk vorliegt, soll ein Beamter des Thüringer Landeskriminalamts am Rande einer Schulabschlussfeier am 10. Dezember 1999 in Bad Blankenburg erzählt haben, die drei Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien tot auf Kreta aufgefunden worden. Dies habe wohl auch ein V-Mann des MAD gehört, der diese Geschichte weitergeleitet habe. Anscheinend hatte dieser V-Mann direkten Kontakt zur THS-Spitze, denn in dem BfV-Bericht heißt es: „Am folgenden Tag sei die Vertrauensperson des MAD von THS-Führungsaktivist B. hierzu befragt worden.“

Außerdem hatte im September 1999 ein Mann aus Jena MAD-Beamten erklärt, er habe als Bote mit dem Trio in Kontakt gestanden.

Laut Frankfurter Rundschau soll neben MAD und Bundesamt für Verfassungsschutz noch eine dritte Bundesbehörde über einen Informanten im THS verfügt, der zumindest zeitweise einen direkten Zugang zu Zschäpe gehabt habe. Darüber gebe es angeblich einen Vermerk im Thüringer Landeskriminalamt. Die Rundschau schreibt nicht, um welche Bundesbehörde es sich handelt, aber es bleiben eigentlich nur das Bundeskriminalamt und der Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) übrig.

Der Vize-Präsident der Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalt Rolf Gössner, kritisiert seit Jahren die enge Verquickung von Sicherheitsbehörden und Neonazis.

Als im letzten Jahr die Aktivitäten der Zwickauer Terrorzelle bekannt wurden, erinnerte Gössner daran, dass der Berliner Landesvorstand der NPD, der Partei der gewaltbereiten Neonazi-Szene, 2003 „so stark unterwandert war, dass der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten einen Beschluss hätte herbeiführen können, die NPD in Berlin aufzulösen.“ Das habe er nicht getan, im Gegenteil: „Die V-Leute waren landauf, landab fleißig dabei, die NPD zu stabilisieren und auszubauen.“

In einem aktuellen Interview mit dem Fernsehsender 3sat sagte Gössner: „Der Verfassungsschutz ist letztlich über sein V-Leutesystem selbst zum Neonazi-Problem geworden.“ Der Geheimdienst habe „jedenfalls nicht ansatzweise zu dessen Lösung oder Bekämpfung beitragen“ können.

Die V-Leute der Geheimdienste sind bekennende Neonazis und Rassisten, die für Informationen, deren Gehalt meist äußerst fragwürdig ist, auf der Gehaltsliste des Staates stehen. Eine Unterscheidung zwischen Staat und Neonazis ist daher schwer zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVG) hatte 2003 ein Verbotsverfahren gegen die NPD aus diesem Grunde abgelehnt: Aufgrund der zahllosen V-Leute innerhalb der NPD, müsse „der Sache nach von einer Veranstaltung des Staates gesprochen […] werden“.

Die Konzentration und Stärkung der Sicherheitsbehörden, die jetzt eingeleitet wird, führt also nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung des Neonazi-Problems.

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