Julian Assange legt Berufung gegen Auslieferung ein

Am Mittwoch erschien WikiLeaks-Gründer Julian Assange vor dem britischen Surpreme Court (Oberster Gerichtshof) zum Beginn einer zweitägigen Anhörung. Er ficht die Entscheidung an, ihn wegen fadenscheiniger Vorwürfe sexueller Übergriffe an Schweden auszuliefern.

Assange wurde am 7. Dezember 2010 mittels eines Europäischen Haftbefehls verhaftet und steht seither unter Hausarrest. Ein Berufungsverfahren vor dem höchsten britischen Gericht ist die letzte rechtliche Möglichkeit, die ihm in Großbritannien noch bleibt.

Zuvor hatte er zweimal beim High Court erfolglos versucht, seine Auslieferung zu verhindern. Am 5. Dezember verfügte der High Court schließlich widerstrebend, dass Assange eine Petition beim Surpreme Court einreichen kann, weil es um „Fragen von allgemeiner öffentlicher Bedeutung“ gehe.

Am 19. Dezember entschied der Surpreme Court, seine Berufung anzunehmen; sieben Richter sollen an der Verhandlung teilnehmen. Mehr als fünf Richter deuten auf die besondere öffentliche Bedeutung eines Themas hin.

Allerdings wird sich die zweitägige Anhörung auf technische Fragen beschränken, d.h. auf die Frage, ob die Tatsache, dass der Haftbefehl nicht von einem Richter bzw. von der schwedischen Polizeibehörde, sondern von einem Staatsanwalt erlassen wurde, das Auslieferungsbegehren ungültig macht.

Eine Untersuchung der schmutzigen Tricks, die gegen Assange eingesetzt wurden, um ihn und WikiLeaks zum Schweigen zu bringen, steht nicht zur Debatte.

Die Anschuldigungen zweier Schwedinnen, sie seien von ihm belästigt und vergewaltigt worden, beziehen sich auf voneinander unabhängige sexuelle Begegnungen mit dem Gründer von WikiLeaks im August 2010 und halten einer näheren Überprüfung nicht stand. Beide streiten nicht ab, dass der Sex in beiderseitigem Einverständnis erfolgte, aber Assange wird vorgeworfen, im einen Fall kein Kondom verwendet zu haben, im anderen erfolgte der Geschlechtsverkehr angeblich, als sie nicht bei vollem Bewusstsein war. Assange leugnet beides.

Keine der Frauen – von denen eine Mitglied der schwedischen Sozialdemokratischen Partei ist – beschwerte sich damals. Als sie es dann taten, wurden ihre Anschuldigungen abgewiesen – die schwedische Oberstaatsanwältin Eva Finné sagte: „Ich denke nicht, dass es einen Grund gibt, zu vermuten, es sei zu einer Vergewaltigung gekommen.“

Ihre Anschuldigungen wurden erst auf Betreiben des rechten Sozialdemokraten und Anwalts Claes Borgström wieder ausgegraben. Dieser diente von 2000 bis 2007 in der Regierung als Ombudsmann für Chancengleichheit. Borgström betreibt eine Anwaltskanzlei zusammen mit Thomas Bodström, ebenfalls Sozialdemokrat und ehemaliger Justizminister.

Nach Borgströms Eingreifen wurde von der schwedischen Oberstaatsanwältin Marianne Ny ein Europäischer Haftbefehl erlassen. Von der ehemaligen schwedischen Berufungsrichterin Brita Sundberg-Weitman wurde sie bei einer früheren Anhörung vor dem High Court als „bösartige“ radikale Feministin und „voreingenommen gegen Männer“ beschrieben.

Assange wurde nie eines Vergehens angeklagt, dennoch wurde er in der Presse von Ny als potenzieller Vergewaltiger hingestellt und systematisch verteufelt.

Seine Verhaftung erfolgte nur wenige Tage nachdem WikiLeaks begonnen hatte, 251.287 Telegramme von amerikanischen Botschaften zu veröffentlichten, die größte Sammlung vertraulicher Dokumente, die jemals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Zu den Details über die kriminellen Machenschaften des US-Imperialismus, die WikiLeaks enthüllt hat, gehört das Video „Collateral Murder“, in dem US-Soldaten im Juli 2007 von einem Hubschrauber aus hilflose Zivilisten und Kinder töten. Daraufhin stellten Visa, MasterCard und PayPal die Überweisung von Spenden an WikiLeaks ein, wodurch es seine Aktivitäten einstellen  musste.

Es wird vermutlich bis zu zehn Wochen dauern, bis der Surpreme Court sein Urteil verkündet. Wenn er die Berufung ablehnt, kann Assange innerhalb von Wochen nach Schweden ausgeliefert werden, wo er sofort verhaftet und ohne Möglichkeit zur Kaution ins Gefängnis gesperrt wird.

Erst letzte Woche attackierte der schwedische Premierminister Reinfeldt Assanges Anfechtung, weil es Zweifel am Rechtssystem seines Landes verursacht. Er sagte: „Natürlich müssen wir hart bleiben. Wir nehmen Vergewaltigungsvorwürfe sehr ernst.“

Die Auslieferung an Schweden gilt allgemein nur als Vorspiel für Assanges Auslieferung an die USA, mit denen Schweden ein zeitlich begrenztes Übergabeabkommen geschlossen hat.

Assange wurde von Persönlichkeiten aus der amerikanischen Politik und den Medien zum gesuchten „Terroristen“ erklärt. Sie beschuldigen ihn, mit dem amerikanischen Soldaten Bradley Manning zusammengearbeitet zu haben, um streng geheime Dokumente zu veröffentlichen. Manning wird seit zwanzig Monaten unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten, ihm droht eine Anklage wegen Spionage und Feindbegünstigung – worauf Todesstrafe oder lebenslange Haft steht.

Manning und Assange streiten die Anschuldigungen ab. Bei einer vorläufigen Anhörung vor dem Kriegsgericht im Dezember sagte Mannings Anwalt David Coombs, Mannings Behandlung ziele darauf ab, ihn zu einer Absprache zu zwingen und Assange zu belasten. In Virginia finden Ermittlungen für ein Verfahren vor einer Grand Jury statt, um eine Anklage gegen den Gründer von WikiLeaks vorzubereiten.

Die politisch motivierte Kampagne gegen Assange ist der Höhepunkt einer Offensive gegen demokratische Rechte, deren Ziel es ist, alle einzuschüchtern und zu bedrohen, die oppositionelle Meinungen äußern.

Die herrschende Elite Großbritanniens hat die gleichen Ziele. Valsamis Mitsilegas, Direktor der Strafjustizabteilung an der Queen Mary-Universität in London, sagte, der Surpreme Court habe sich für eine Anhörung entschieden, „weil sie deutlich machen wollen, dass sie die Sache ernst nehmen und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist.“

Laut vielen Rechtsexperten ist das wahrscheinlichste Ergebnis jedoch, dass Assanges Einspruch abgelehnt wird, da er bereits mehrfach Einspruch erhoben hat.

Sir John Thomas, Richter am High Court, der bisher den Auslieferungsantrag gegen Assange verteidigt hatte, sagte, die Erfolgschancen des WikiLeaks-Gründers vor dem Surpreme Court seien „äußerst gering.“

Vor Gericht argumentierte Assanges Anwältin Dinah Rose, die Stellung von Auslieferungsanträgen durch einen Staatsanwalt verstoße gegen „grundlegende rechtliche Prinzipien.“

Die historische Entwicklung des Auslieferungsrechtes zeigt deutlich, dass „Entscheidungen mit schwerwiegenden Folgen für persönliche Freiheiten nur von unabhängigen gerichtlichen Behörden getroffen werden sollten.“

Allerdings ist der Europäische Haftbefehl das Herzstück eines Gesetzespakets, das im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ durchgesetzt wurde, dessen Ziel es ist, bürgerliche Freiheiten einzuschränken. Das Gesetz trat im Jahr 2003 in Kraft und ermöglicht es, Menschen in allen 27 Mitgliedsstaaten der EU in alle anderen Mitgliedsstaaten auszuliefern, ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen und ob die Tat im Gastland strafbar ist.

Heute wird der Europäische Haftbefehl jährlich mehr als 14.000-mal angewandt, oft aus den haltlosesten Gründen. Großbritannien liefert täglich drei Menschen aufgrund Europäischer Haftbefehle aus. Außerdem weitete es die Befugnisse auch auf Auslieferungen an die USA, Australien und Kanada aus.

Anfang dieses Monats entschied Richter Quentin Purdy, dass der 23-jährige Informatikstudent Richard O’Dwyer wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht aus Großbritannien an die USA ausgeliefert werden kann. Der Grund war, dass er eine Webseite betrieb, auf der Links zu Seiten verfügbar waren, von denen man urheberrechtlich geschütztes Material herunterladen konnte.

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