Die französische kleinbürgerliche „Linke“ und die Wahlchancen der Neofaschisten

Die beiden großen bürgerlichen Parteien, liegen in den Umfragen zu den französischen Präsidentschaftswahlen 2012 nur knapp vor der neofaschistischen Nationalen Front (FN). Die derzeit regierende konservative UMP (Union für eine Volksbewegung, ehemals RPR) und die Sozialistische Partei (PS) haben sich in den letzten 25 Jahren in der Regierung abgewechselt.

2002 hatte die FN bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor dem Kandidaten der PS, dem damaligen Premierminister Lionel Jospin, den zweiten Platz erreicht. Das warf das Land zwischen der ersten und der zweiten Runde der Wahl in eine tiefe politische Krise, als besonders die Jugend Massendemonstrationen gegen die FN organisierte. Die offiziellen „linken“ Parteien sowie die kleinbürgerliche Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR), die 2009 die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) gründete, unterstützten den rechten Kandidaten, den Amtsinhaber Jacques Chirac, gegen den FN Kandidaten Jean-Marie Le Pen.

Dieses Jahr könnte die FN genügend Stimmen erhalten, um direkten Einfluss auf die Regierungsbildung zu nehmen. Die Partei hat kürzlich auch die Parole „verteidigt den Säkularismus“ (laïcité) aufgenommen. Sie profitiert dabei von der Tatsache, dass alle Parteien, „linke“ und rechte, diese Parole zynisch bei antiislamischen Kampagnen und Angriffen auf demokratische Rechte eingesetzt haben. So geschehen bei dem Verbot der Burka, einer antidemokratischen und diskriminierenden, und damit antisäkularen, Maßnahme.

Die “linken” bürgerlichen Parteien, Gewerkschaften und die kleinbürgerlichen pseudo-linken Organisationen tragen die Hauptverantwortung für diese Lage der Dinge.

Die NPA spielt dabei eine besonders schändliche Rolle. Die Reaktion der NPA auf die Neofaschisten ist in mehrfacher Hinsicht von völliger Demoralisierung geprägt. Die NPA legte von Anfang an eine Orientierung auf die Gewerkschaftsbürokratie und auf Schichten des Kleinbürgertums und damit ein mangelndes Vertrauen in die Arbeiterklasse an den Tag. Ihre Demoralisierung hängt eng mit dieser Perspektive zusammen.

Die zentrale Botschaft der NPA in diesem Zusammenhang ist, dass die Arbeiterklasse nichts tun könne, um den Vormarsch der Neofaschisten aufzuhalten, und dass es auf der Linken keine Alternative gebe.

Im Kern sagt die NPA, weil die Kandidatin der FN, Marine Le Pen, die größte Demagogin ist, werde sie Arbeiter, die unter der Krise leiden, auf ihre Seite ziehen können: „Die FN treibt ihre Demagogie auf die Spitze und behauptet, für die Arbeiterklasse zu sprechen. Die ,Parade der Betrüger’, wie man die Wahlkampagnen der großen Parteien bezeichnen kann, nutzt dem zynischsten Betrüger, d.h. dem, der ohne mit der Wimper zu zucken jedes Vorurteil mobilisiert. In dieser Hinsicht übertrifft Le Pen Sarkozy.“ (NPA-Magazin Tout est à nous, 19. Januar)

Aus dieser Analyse wird die demoralisierte und falsche Schlussfolgerung abgeleitet, dass Le Pen immer größere Erfolge haben wird, weil immer mehr Arbeiter von der Krise getroffen werden.

Der Präsidentschaftskandidat der NPA, Philippe Poutou, kommentiert: “Es ist ein Kampf, die Hoffnung wieder zu beleben, dass man Dinge ändern kann! Wenn die NPA die Dinge durch diese Wahl nicht ändern kann, dann werden die Stimmen dabei helfen, das Vertrauen morgen wieder herzustellen.“ Er fährt dann fort: „Wir treten für die Idee ein, dass die Menschen kämpfen müssen, aber sie glauben nicht mehr daran, selbst wenn sie unsere Ideen teilen. (Liberation, 11. Januar 2012)

Das ist vollkommener Unsinn. Die Wähler laufen der UMP und der PS gerade deswegen davon, weil sie mit ihrer Lage enorm unzufrieden sind. Erklärt werden muss, warum diese Wähler „nicht mehr glauben“, dass sie mit der NPA gegen soziale Kürzungen und die kapitalistische Weltkrise kämpfen können. Der Grund muss in der Praxis und den Perspektiven der NPA und der übrigen kleinbürgerlichen „Linken“ gesucht werden.

Die NPA hat soziale Kürzungen, den Krieg Präsident Sarkozys in Libyen und Drohungen der französischen Regierung gegen Syrien verteidigt. Sie hat keinen Kampf gegen die rassistische „säkularistische“ Propaganda wie die Anti-Burka-Kampagne geführt, die von Sarkozy, der PS, der KPF, der FN und anderen betrieben wurde. Sie zeigte sich 2010 feindselig gegen die Streiks der Arbeiter gegen die Rentenreform und rief nur zu einem „symbolischen“ Protest gegen den staatlichen Streikbruch auf. Außerdem stand sie den Revolutionen 2011 in Nordafrika feindlich gegenüber. Sie erwies sich als ein Instrument imperialistischer Reaktion. Damit leistete sie dem Aufstieg der Nationalen Front Schützenhilfe.

Nach diesen Erfahrungen haben die Arbeiter allen Grund, der NPA zu misstrauen.

Die Entscheidung der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) von 2009, die NPA ausdrücklich als eine nicht-trotzkistische Partei zu gründen, war ein Signal an die herrschende Elite. Die NPA lehnt kategorisch den Aufbau einer revolutionären marxistischen Partei ab. Sie wollte Kräfte aus den Universitäten und der Gewerkschaftsbürokratie zusammenbringen, um in gewisser Weise einen Ersatz für die KPF zu schaffen, die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion völlig diskreditiert ist. Diese Partei sollte sich auf der „Linken“ der parlamentarischen Szene Frankreichs als dauerhafte Wahlalternative etablieren. Garniert wurde das Ganze durch eine Wortwahl, die der Studentenbewegung der 1970er Jahre entlehnt war.

Das zentrale Ziel dieser Übung war daher, erneut eine Barriere zwischen der Arbeiterklasse und dem Aufbau einer Partei zu errichten, die für eine revolutionäre Perspektive eintritt.

Aber diese neue Partei, die NPA, von der die LCR hoffte, sie würde zu einem neuen Anziehungspunkt werden, hatte nicht den erhofften Erfolg. Weil kleinbürgerliche politische Kreise immer offener eine arbeiterfeindliche Politik betreiben, sahen Arbeiter die NPA, die sich vor allem auf die mediale Popularität ihres Hauptrepräsentanten Olivier Besancenot gestützt hatte, nicht als ihr Kampfinstrument an.

Inzwischen haben sich die Medien von Besancenot abgewandt. Vor einigen Monaten entschloss er sich, nicht noch einmal für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Der neue NPA-Kandidat, Philippe Poutou, erklärt jedem, der es hören oder auch nicht hören will, dass es auf der Linken keine Alternative gebe, nicht einmal er selbst sei eine. Alles, was die LCR erreicht hat, ist, dass die KPF und ihre Linksfront unter der Führung von Jean-Luc Mélenchon, dem die Medien zuletzt viel Aufmerksamkeit widmeten, wieder einen gewissen Aufwind verspürt. Nach dem Allzeittief der KPF von 2002 wird die Linksfront im Moment wieder bei ca. sieben Prozent gehandelt.

Unfähig, die Gründe für das eigene Scheitern zu erklären, macht die NPA die Arbeiter für ihre Demoralisierung verantwortlich. Wie Poutou der Libération sagte: „Das trägt alles zur Demoralisierung und einem Gefühl der Machtlosigkeit bei. Die Menschen sind damit beschäftigt, ihre Arbeitsplätze zu behalten und über die Runden zu kommen. Wir denken, dass die Menschen kämpfen müssen, aber die Menschen glauben nicht daran, selbst wenn sie der gleichen Meinung sind, wie wir. Diese Verzweiflung beutet die FN aus.”

Wieder beschuldigt er die Arbeiter, nicht zu kämpfen und macht sie für den Aufstieg der Neofaschisten verantwortlich: “Le Pen wiederholt ‘Ich mache das schon’, das erzielt Wirkung bei Leuten, die an die Hand genommen werden müssen, weil sie nicht stark genug zum Kämpfen sind.“

Wenn die Masse der Arbeiter noch nicht die revolutionäre sozialistische Perspektive akzeptieren, dann ist das völlig die Schuld der NPA und der anderen Parteien der kleinbürgerlichen „Linken“. Die NPA kritisiert die „linken“ bürgerlichen Parteien, deren rechte Politik beim besten Willen nicht zu leugnen ist. Aber sie tut das nur, um ihre eigene Verantwortung in dieser Situation zu verschleiern, weil ihre politischen Perspektiven immer weniger von denen der bürgerlichen „Linken“, wie der PS, zu unterscheiden sind.

Nach Meinung der NPA “kann dem Aufstieg des reaktionären Populismus nur mit einer demokratischen Perspektive der Solidarität der Menschen begegnet werden“.

Das bringt die NPA in die Nähe der Perspektive eines “demokratischen” kapitalistischen Europas, das sich nicht von der heutigen Europäischen Union unterscheidet. So heißt es in Artikel 3 des Verfassungsvertrags der Europäischen Union: „Das Ziel der Union ist die Förderung des Friedens, ihrer Werte und des Wohlergehens ihrer Völker… Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten.“

Das hält die NPA nicht davon ab, zynisch zu behaupten, dass ihre Perspektive eines kapitalistischen Europas „internationalistisch“ sei.

Die Perspektive der NPA hat nichts mit sozialistischem Internationalismus zu tun. Eine solche Perspektive bedeutet den gemeinsamen Kampf der europäischen Arbeiterklasse für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, d.h. eine Union von Staaten, in denen die Arbeiterklasse die Macht erobert hat und die Wirtschaft nach sozialistischen Prinzipien umgestaltet.

Für die NPA ist das kapitalistische Europa stabil und die neofaschistische Ideologie unrealisierbar. Ein Zusammenbruch der EU ist undenkbar: „Diese [Le Pens] Politik könnte nur umgesetzt werden, wenn das kapitalistische Europa zusammenbricht. Sie wäre ein Rückschritt, die Arbeiter und die ganze Bevölkerung wären die Opfer.“

Die wohlsituierten, selbstzufriedenen Kleinbürger der NPA haben offenbar noch nicht realisiert, dass dieser Zusammenbruch des kapitalistischen Europas vor jedermanns Augen stattfindet und dass die Arbeiter schon genug davon haben, Opfer von sozialen Rückschritten zu sein, die mit Unterstützung der NPA zwischen Sarkozy und den Gewerkschaften ausgearbeitet worden sind.

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