Deutsche Geheimdienste dehnen Überwachung von E-Mails massiv aus

Die deutschen Geheimdienste haben die Überwachung des Internets massiv verschärft. Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, haben sie im Jahr 2010 mehr als 37 Millionen E-Mails und Datenverbindungen auf „verdächtige Inhalte“ überprüft.

Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) griffen damit auf fünfmal mehr Datensätze zurück als im Vorjahr 2009, als etwa 6,8 Millionen Verbindungen überprüft wurden. Dies geht aus einem geheimen Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) des Bundestages hervor, aus dem die Bild-Zeitung zitiert.

Um ins Raster der Geheimdienste zu fallen, genügte bereits die Verwendung verdächtiger Begriffe wie etwa „Bombe“. Die Geheimdienste suchten insgesamt nach über 15.000 Schlagwörtern, darunter 2.000 aus dem Bereich Terrorismus, 13.000 wegen Proliferation (Waffentechnik und -handel) sowie 300 im Zusammenhang mit illegaler Schleusung.

Was genau unter „Datenverbindungen“ zu verstehen ist, wurde der Öffentlichkeit nicht näher erläutert. Es ist daher denkbar, dass neben E-Mails auch weitere Kommunikationsmittel wie etwa Chats, soziale Netzwerke oder sogar Internet-Telefonate untersucht wurden.

Verglichen mit der riesigen Zahl von 37 Millionen Verbindungen war die Zahl der verwertbaren Hinweise extrem niedrig: gerade einmal 213 Verbindungen sollen Ermittlern weitere Anhaltspunkte gegeben haben, das entspricht einem Anteil von 0,0006 Prozent.

Das Parlamentarische Kontrollgremium versuchte, die massenhafte Ausspähung der Internet-Kommunikation zu rechtfertigen, indem es auf die Zunahme von Spam-Mails im Jahr 2010 verwies. Tatsächlich stieg der weltweite Versand von Spam-Mails von 2009 auf 2010 um nicht einmal ein Drittel von circa 73 Billionen auf etwa 95 Billionen Mails.

Sämtliche etablierten Parteien haben lediglich oberflächliche Kritik am Vorgehen der Geheimdienste geäußert. Keine von ihnen lehnt grundsätzlich ab, dass immer breitere Teile des Internets ausspioniert werden.

Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, sorgte sich vor allem um die Überlastung der Geheimdienste. Die massenhafte Überwachung stelle „die Effektivität der Arbeit der Nachrichtendienste in Frage“.

In eine ähnliche Richtung ging die Kritik der Opposition. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte, die Sicherheitsbehörden müssten grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit wahren; die Suchbegriffe müssten präzisiert werden, damit Aufwand und Ertrag in ein besseres Verhältnis kämen, sagte sie.

Ihr Kollege Christian Ströbele versuchte die Öffentlichkeit in Sicherheit zu wiegen. Es dürften wohl kaum Bundesbürger oder deutsche Firmen von der Überwachung betroffen sein. Schließlich gehe es um eine „strategische Überwachung der gebündelten Funkübertragung etwa über asiatischen oder afrikanischen Ländern“.

Sollten doch einmal deutsche Staatsangehörige betroffen sein, gelte „für sie prinzipiell der Schutz des Grundgesetzes mit der Pflicht zur sofortigen Datenlöschung“. Offenbar hält Ströbele die Bevölkerung für naiv: in aller Regel erfahren die Betroffenen schließlich nicht, dass sie überhaupt ausspioniert werden – wie sollten sie dann die Sicherheit haben, dass die über sie erhobenen Daten auch tatsächlich gelöscht werden?

Auch die SPD versuchte, die massive Internet-Überwachung zu verharmlosen. Ihr Abgeordneter Michael Hartmann bezeichnete die Aufregung darüber als „Sturm im Wasserglas“. Er begründete dies mit der Behauptung, es handle sich um die Überwachung von internationaler Kommunikation.

Jan Korte, Experte für Sicherheitspolitik der Linksfraktion, forderte von der Bundesregierung eine Überprüfung von Überwachungsgesetzen und Eingriffsbefugnissen auf ihre Verhältnismäßigkeit hin.

Keine Partei des politischen Establishments hat an diesen skandalösen Zuständen Grundlegendes auszusetzen. Sie stören sich nicht an der Tatsache, dass im Namen des „Kampfs gegen den Terrorismus“ die Rechte der arbeitenden Bevölkerung immer weiter ausgehöhlt werden. Stattdessen findet man Verharmlosungen gepaart mit Vorschlägen, wie man die Überwachung der Bevölkerung effizienter gestalten könnte.

Das ist nicht weiter verwunderlich wenn man bedenkt, dass sämtliche Bundestagsparteien – angefangen bei der rot-grünen Bundesregierung über die Große Koalition und Schwarz-Gelb bis hin zu Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei – in den vergangenen Jahren für eine riesige Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben gesorgt haben.

Gegen die politisch verordnete Armut regt sich Widerstand. Im letzten Jahr wurden in Tunesien und Ägypten zwei langjährige, vom Westen unterstützte Diktatoren gestürzt; in Europa und den USA gab es zahlreiche Massendemonstrationen, die den Kapitalismus in Frage stellten. Dabei spielten auch neue Kommunikationsformen wie soziale Netzwerke, Twitter und ähnliche eine bedeutende Rolle, wenn Proteste organisiert und koordiniert wurden.

In Zeiten von Massenrebellionen kann die herrschende Klasse solche freien Möglichkeiten der weltweiten Kommunikation nicht länger dulden. Deshalb hat sie in den vergangenen Monaten bereits mehrfach versucht, Kontrolle über immer größere Teile des Internets und der Telekommunikation zu erlangen. Jüngstes Beispiel ist das ursprünglich geheime ACTA-Abkommen, das unter dem Deckmantel der „Rechte geistigen Eigentums“ die Speicherung und mögliche Konfiszierung von IP-Adressen vorsieht.

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