Die Kriegsvorbereitung gegen den Iran und die Angriffe auf Günter Grass

Der Autor der „Blechtrommel“ hatte der israelischen Regierung in dem politischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ vorgeworfen, einen Angriffskrieg gegen den Iran vorzubereiten und damit den Weltfrieden zu gefährden. Er machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Israel Atomwaffen besitzt, diese aber verheimlicht und weder den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat noch Waffeninspektionen zulässt. Dem Iran werde dagegen der Bau von Atomwaffen vorgeworfen, obwohl keinerlei Beweise dafür existieren und die Regierung in Teheran den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat.

Grass sprach sich auch gegen die deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel aus, die zynischerweise als Wiedergutmachungen für die Verbrechen der Nazidiktatur bezeichnet werden, und forderte alle, die über die israelische Kriegspolitik besorgt sind, auf, ihr Schweigen zu beenden und sich nicht länger durch den „allgegenwärtigen“ Vorwurf des Antisemitismus einschüchtern zu lassen.

Die Reaktion erfolgte prompt. Heftige Medienattacken auf Grass bildeten den Auftakt zu einer Kriegspropaganda, die an die dunklen Tage des Hurra-Patriotismus am Vorabend des Ersten und Zweiten Weltkriegs erinnert. Grass wurde unflätig beschimpft, des Antisemitismus bezichtig und wegen seiner kurzzeitigen Waffen-SS-Mitgliedschaft als Minderjähriger denunziert. Der eigentliche Inhalt von Grass‘ Kritik, die Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen den Iran, wurde entweder ausgeklammert oder offen verteidigt.

Als Wortführer traten Journalisten auf, die sich seit langem einen Namen als Propagandisten imperialistischer Kriege im Nahen Osten gemacht haben.

So meldete sich als einer der ersten der Publizist und Zeit-Herausgeber Josef Joffe zu Wort, der 2003 die US-Militäroffensive und kolonialen Unterjochung des Irak begeistert unterstützt hatte. Man erinnert sich: Damals spielten die Propagandalügen über irakische Massenvernichtungswaffen (die nachweislich nicht existierten) eine ähnliche Rolle, wie heute die Propaganda über iranische Atomwaffen.

Auch Henryk M. Broder geiferte in Springers Welt gegen Grass und warf ihm Antisemitismus sowie Verharmlosung der Verbrechen der Nazis vor. Broder, der seine journalistische Karriere bei dem Hamburger Porno-Blatt St. Pauli-Nachrichten begann und für seine vulgären publizistischen Attacken bekannt ist, hatte 2003 wie Joffe für den Irak-Krieg geworben.

Jetzt fordert Broder, die Europäer müssten den USA und Israel bei der „Entwaffnung der Mullahs“ im Iran helfen. Sein Buch „Hurra, wir kapitulieren“ (Berlin 2006) ist eine rassistische Attacke gegen Moslems und den Islam. Der norwegische Rechtsterrorist Anders Breiviks schrieb vor seinem mörderischen Amoklauf ein politisches Manifest, in dem er Broder mehrfach zustimmend zitierte.

Grass‘ Warnungen vor einem israelischen Militärschlag gegen den Iran sind mehr als berechtigt. Täglich erscheinen neue Artikel und Berichte darüber.

Am vergangenen Dienstag stellte Israels Verteidigungsminister Ehud Barak klar, dass Israel sich die Option eines Militärschlags gegen den Iran auch während der laufenden Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm offen hält. In einem Gespräch mit dem israelischen Armee-Sender bezweifelte Barak, dass die Verhandlungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen werden. Er forderte ein schnelles Ende der Gespräche und betonte: „Jeder Zeitverlust richtet sich gegen unsere Interessen.“ Es ist auffallend, dass die Berichte über das Interview, die in mehreren israelischen Zeitungen wie der Jerusalem Post erschienen, in den deutschen Medien keinerlei Erwähnung finden.

Bereits im Februar hatte der Kolumnist David Ignatius in der Washington Post auf die intensiven Kriegsvorbereitungen in Israel hingewiesen. US-Verteidigungsminister Leon Panetta glaube, dass es „sehr wahrscheinlich ist, dass Israel im April, Mai oder Juni gegen den Iran losschlagen wird – bevor er, wie Israel es nennt, in eine ‚Immunitätszone‘ eintritt und beginnt, eine Atombombe zu bauen.“

Nur einen Tag vorher hatte Panettas israelischer Kollege Barak in der Knesset erklärt, ein Militärschlag müsse bald erfolgen. „Das Atomprogramm des iranischen Militärs erreicht langsam aber sicher das letzte Stadium“, behauptete er und warnte: „Diejenigen, die ‚später‘ sagen, könnten bald merken, dass es zu spät ist.“ Diese Bemerkung Baraks war an die Regierung in Washington gerichtet, die einen Militärschlag zum gegenwärtigen Zeitpunkt für unpassend betrachtet.

Damals veröffentlichte auch Die Zeit einen Artikel unter der Überschrift „Die Angst vor einem Krieg im Nahen Osten wächst“ und schrieb: „Das Säbelrasseln wird lauter. Mit 25 Schlachtschiffen, 20.000 Soldaten und einer simulierten Landeoperation halten die USA diese Woche ein Mega-Seemanöver an der amerikanischen Ostküste ab.“ Das war Mitte Februar. Seitdem haben weitere Verhandlungen in Washington stattgefunden und die Sanktionen gegen den Iran wurden drastisch verschärft.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Jerusalem sind rein taktischer Natur. Währende Israel vor allem seine beherrschende Militärmacht im Nahen Osten aufrechterhalten will, verfolgt die Obama-Regierung weitergehende Ziele. Sie will ihre Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten sichern und sieht das iranische Regime als größtes Hindernis für die amerikanischen Ambitionen. Seit Anfang des Jahres haben die USA den Druck auf den Iran ständig erhöht.

Worum es dabei geht, zeigt ein Blick auf die Geschichte. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs spielt der Iran eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik. Einer der ersten großen Konflikte, die in der Nachkriegszeit zwischen der UdSSR und den USA aufbrachen, betraf die Sowjettruppen im Norden des Iran. Die Sowjetunion zog es damals vor, ihre Truppen zurückzuziehen, um der Gefahr eines bewaffneten Konflikts mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien aus dem Weg zu gehen.

Die anschließende Radikalisierung der iranischen Arbeiter hatte zur Folge, dass die Regierung von Premier Mohammad Mossadegh Anfang der fünfziger Jahre die Ölfirmen und nationalen Öl-Vorkommen verstaatlichte. 1953 organisierte der amerikanische Geheimdienst CIA die so genannte „Operation Ajax“ – den Sturz der demokratisch gewählten Mossadegh-Regierung und die Rückkehr von Schah Reza Pahlewi auf den Pfauenthron.

Während dem folgenden Vierteljahrhundert war das Schah-Regime ein treuer Statthalter der amerikanischen Interessen am Persischen Golf. Hauptstütze seines Regimes war der brutale Geheimdienst SAVAK, der die politischen Gegner des Schah brutal folterte und ermordete.

Die guten Beziehungen der Vereinigten Staaten zum Schah-Regime waren für Washington von größter strategischer Bedeutung. Kein Geringerer als der damalige US-Sicherheitsberater und spätere Außenministers Henry Kissinger notierte im ersten Band seiner Memoiren White House Years: „Unter der Führung des Schah war die Landbrücke zwischen Asien und Europa, an der schon häufig das Schicksal der Weltgeschichte hing, fest in der Hand der Amerikaner und des Westens.“

Der Sturz des Schah durch die Revolution von 1979 veränderte die strategischen Beziehungen im Nahen Osten und in Zentralasien grundlegend zuungunsten der USA. Obwohl sich das Khomeini-Regime im Innern schnell gegen die Arbeiterklasse und viele Schah-Gegner wandte, kehrte es nie zu den alten außenpolitischen Beziehungen zurück. Die US-Regierung reagierte auf den Verlust ihres Statthalters am Persischen Golf mit einer systematischen Aufrüstung Israels.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor zwanzig Jahren ist der Iran erneut ins Zentrum der geostrategischen Interessen der USA gerückt. Die US-Regierung ist entschlossen, die Verhältnisse wieder herzustellen, die vor 1979 bestanden. Sie will einen Regimewechsel erzwingen und ein Marionettenregime in Teheran errichten. Nachdem der proamerikanische Präsidentschaftskandidat Mirhossein Mussawi in den Wahlen 2009 scheiterte und auch die bürgerlich-oppositionelle „Grüne Bewegung“ keinen Regimewechsel durchsetzen konnte, nehmen die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran zu.

Dabei spielt auch der wachsende Konflikt zwischen den USA und China eine wichtige Rolle. Bereits der Libyenkrieg verfolgte das Ziel, Chinas wachsenden Einfluss im Nahen Osten und in Afrika zurückzudrängen. Durch den Krieg gerieten chinesische Projekte im Wert von mehreren Milliarden Dollar in Gefahr, und 36.000 chinesische Arbeiter mussten Libyen verlassen. Ein Krieg gegen den Iran hätte für China noch weitaus schlimmere wirtschaftliche Folgen: Elf Prozent der chinesischen Ölimporte kommen aus dem Iran, und China hat dort viel Geld in die Bau- und Energiebranche investiert.

Wenn Günter Grass in seinem Gedicht vor einem Krieg gegen den Iran warnt und von der Gefahr für den Weltfrieden spricht, hat er also völlig recht. Seine Kritiker wollen eine Diskussion über die katastrophalen Folgen eines israelisch-amerikanischen Militärschlags gegen Teheran unterdrücken und den Weg für eine deutsche Beteiligung an einem solchen imperialistischen Verbrechen ebnen.

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