Perspektive

Obamas „Kriegsgericht“ in Guantánamo nimmt seine Arbeit wieder auf

Hinter den mit Stacheldraht gesicherten Mauern des Gefangenenlagers von Guantanamo Bay auf Kuba sind die Verhandlungen des sogenannten „Kriegsgerichtes“ unter der neuen Führung der Obama-Regierung wieder aufgenommen worden.

Zurzeit wird unter der Leitung von Oberst James Pohl und vor einer Jury handverlesener US-Offiziere in zwei größeren Fällen vorverhandelt, in denen den Angeklagten die Todesstrafe droht.

Beim ersten Fall handelt es sich um den Mordfall Abd el Rahim al Nashiri, der als Architekt des Selbstmordanschlages vom 12. Oktober 2000 auf die USS Cole vor der jemenitischen Küste angeklagt ist, bei dem siebzehn amerikanische Matrosen ums Leben kamen. Im zweiten Fall geht es um die Todesstrafe für Khalid Sheikh Mohammed und vier andere Männer, denen die Organisation der Terroranschläge vom 11. September 2001 vorgeworfen wird. Im letzteren Fall ist die Verlesung der Anklageschrift auf den 5. Mai festgesetzt.

Das Wesen dieser Art von Militär“justiz“ wurde deutlich, als diese Woche im Fall Nashiri die Anträge der Verteidigung vorgebracht wurden. Die Anwälte des 47jährigen Saudis, der seit November 2002 zuerst von der CIA und denn von Militär festgehalten wurde, baten den Richter, ihren Mandanten von der Standardregelung in Guantanamo auszunehmen, Gefangene bei Treffen mit ihren Rechtsbeiständen an den Boden zu ketten.

Die Anwälte argumentierten, dass Nashiri in derart gefesseltem Zustand nicht in der Lage sei, seine Verteidigung vorzubereiten, da dieser die traumatischen Erinnerungen wieder aufleben lasse, die er in den Jahren der Folter im Gewahrsam der CIA erlebt habe. Der Antrag führte zu einer kurzen Kontroverse, ob es den Medien erlaubt sein solle, Nashiris Schilderungen seiner Folter mit anzuhören, oder ob seine Zeugenaussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen solle. Der Militärrichter umging das Problem, indem er dem Antrag der Verteidigung zustimmte, unter Verzicht auf Nashiris Zeugenaussage.

Das Motiv hinter der Verhinderung des Bekanntwerdens dieser Fragen ist klar. Ein in weiten Teilen zensierter Bericht des Generalinspekteurs der CIA von 2004 liefert einen Eindruck von den kriminellen Methoden, denen Nashiri ausgeliefert war. In dem Bericht wird zugegeben, dass Nashiri 83 Mal der Praxis des Waterboardens ausgesetzt war, einer Form vorgetäuschten Ertrinkens, die nach dem zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrechen verfolgt wurde.

Eine andere in dem Bericht als “Nicht autorisiert“ beschrieben Technik betrifft das Einschalten eines Elektrobohrers neben dem Kopf des Gefangenen, während er nackt und mit verbundenen Augen stehen musste. In ähnlicher Weise wurde ihm wiederholt ein Revolver an die Schläfe gehalten. Die CIA nannte dies „Spaßhinrichtungen“.

Die verhörenden Beamten drohten, Nashiris Mutter ins Folterzentrum zu holen und sie vor seinen Augen sexuell zu demütigen. Er wurde so lange an seinen Armen aufgehängt, die hinter seinem Rücken zusammen gebunden waren, bis die Gefahr bestand, dass er beide Schultern auskugeln würde. Seine Haut wurde mit einer Bürste roh geschrubbt und die verhörenden Beamten traten auf seine Fußfesseln und schnitten damit in sein Fleisch. Sie packten ihn auch beim Hals und drückten seine Schlagader so lange, bis er das Bewusstsein verlor. Anschließend wurde er wiederbelebt und der Prozedur erneut unterzogen. Außerdem wurde er extremer Kälte, Schlafentzug und ohrenbetäubender Beschallung ausgesetzt.

Den verhörenden Beamten wurde auch vorgeworfen, Rauch als Instrument der “Verhörtechnik” eingesetzt zu haben. Zu ihrer Verteidigung sagten sie aus, sie hätten nur deshalb Zigarren geraucht, um den Gestank, in der Zelle, in der Nashiri rund um die Uhr festgehalten wurde, zu übertünchen.

Aufgrund der Folter wurden Nashiri nicht nur im Fall des Cole-Bombenattentats, sondern auch in zahlreichen anderen Fällen Geständnisse abgepresst, darunter die Aussage, dass Osama bin Laden im Besitz einer Atombombe sei.

In einer Eingabe an die Militärkommission von Guantánamo haben Nashiris Anwälte im vergangenen Juli argumentiert, der US-Regierung fehle die “moralische Autorität”, über ihn zu Gericht zu sitzen. Indem die Vereinigten Staaten al-Nashiri folterten und grausam, inhuman und erniedrigend behandelten, haben sie sich des Rechtes begeben, ihn vor Gericht zu stellen, oder gar zu töten“, hieß es in der Eingabe. „Durch die physischen und Psychischen Schäden, die sie ihm zugefügt haben, hat die Regierung den Mann, den sie vor fast zehn Jahren festgenommen hat, praktisch schon getötet.“

Selbst im höchst unwahrscheinlichen Fall, dass die Angeklagten freigesprochen werden, würden sie einfach wieder in ihre Zellen in Guantánamo verlegt, um dort als „feindliche Kämpfer“ so lange festgehalten zu werden, wie der „Krieg gegen den Terror“ andauert.

Dass derartige Polizeistaatstribunale nun zum Alltag gehören und in amerikanischen Gesetzen festgeschrieben sind, sollte als Warnung dienen. Erst vor kurzem unterzeichnete Obama ein Gesetz, das den Präsidenten ermächtigt, jeden – auch US-Bürger – unter dem Vorwurf, ein „Terrorist“ zu sein, ohne Prozess auf unbegrenzte Zeit einzusperren. Sein Justizminister erklärte öffentlich, der Präsident habe das Recht, jeden – auch US-Bürger – wegen des Verdachts des Terrorismus umbringen zu lassen.

Die Ausweitung von Polizeistaatsmethoden, die sich unter den Bush und Obama fortgesetzt hat, ist nicht nur das Produkt einer politischen oder juristischen Ideologie, sondern das Ergebnis der tiefen objektiven Widersprüche im amerikanischen und Weltkapitalismus.

Unter den Bedingungen der anhaltenden Krise des Profitsystems und einer nie dagewesenen sozialen Ungleichheit sind wahrhaft demokratische Prozeduren nicht länger aufrecht zu erhalten. Aus Angst vor dem Anwachsen sozialer Proteste und einem Wideraufleben des Klassenkampfes bereitet die Finanzelite neue Methoden der Unterdrückung vor, um ihre Macht und ihre Privilegien zu verteidigen.

Die Kriegsgerichte, die in Guantánamo tagen, können sich sehr wohl als Vorbereitung auf eine breitere Anwendung gegen amerikanische Arbeiter erweisen. Dadurch wird jedes grundlegende demokratische Recht der vergangenen zweihundert Jahre außer Kraft gesetzt.

Die Arbeiterklasse kann sich dieser Bedrohung nur widersetzen, indem sie ihre unabhängige Stärke in einem Kampf zur Beendigung des Kapitalismus mobilisiert und das soziale und ökonomische Leben so organisiert, dass es den Bedürfnissen der großen Mehrheit und nicht dem Profit einer winzigen Elite dient.

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