Frankfurt: Über zwanzigtausend demonstrieren gegen Macht der Banken

Korrespondentenbericht

Weit über zwanzigtausend Teilnehmer nahmen am Samstag in Frankfurt an der zentralen Blockupy-Demonstration gegen das Spardiktat der Finanzmärkte und der Europäischen Union teil. Unter ihnen waren Delegationen aus Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Finnland und andern europäischen Ländern, die Transparente in allen Sprachen mit sich trugen.

„Die Austerität tötet Europa“; „Goldman-Sachs-Banker raus aus der EZB“ oder ganz schlicht: „Mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel!“ stand auf den Plakaten und Transparenten. Andere protestierten gegen die Polizeiaufrüstung mit Slogans wie diesen: „Die Krise kommt, der Rechtsstaat geht“, „Banken töten Demokratie“ oder „Sieht so eure Demokratie aus?“

Der Samstag hatte für viele Teilnehmer damit begonnen, dass sie massive Polizeisperren und Kontrollen passieren mussten. Wer am Hauptbahnhof ankam, musste erst ein Spalier martialisch aufgerüsteter Polizisten durchlaufen, ehe er oder sie die offene Straße betreten konnte. An allen Einfallstraßen wurden Busse und Kleintransporter voller Menschen angehalten und gefilzt.

Bewaffnete Polizisten am Hauptbahnhof Bewaffnete Polizisten am Hauptbahnhof

Am Freitag wurde eine Delegation, die im Bus aus Berlin anreiste, nach Eschborn umgeleitet und von dort ins Gefängnis verfrachtet, obwohl sie in keiner Weise gegen geltendes Recht verstoßen hatte.

Die Stadt hatte alle Veranstaltungen im Rahmen der so genannten Blockupy-Tage von Mittwoch bis Freitag komplett verboten. Die Bankencity war zur Sperrzone erklärt und hermetisch abgeriegelt worden. Die Polizei nutzte die Lage offenbar zu einer generalstabsmäßig geplanten Bürgerkriegsübung: Immer wieder kam es vor, dass Gruppen von Jugendlichen gezielt von doppelten Polizeireihen umkreist und eingekesselt wurden. Mehrere hundert Jugendliche wurden verhaftet, erkennungsdienstlich behandelt und stundenlang in Polizeigewahrsam festgehalten.

Dieser beispiellose Angriff auf demokratische Grundrechte wurde damit begründet, dass Gewalttaten verhindert und das Recht der Banken und Unternehmer, Geschäfte zu machen, beschützt werden müsse. Ein Verwaltungsrichter hatte seine Verbotsverfügungen damit begründet, dass der Beeinträchtigung von Bürgern und Bankern „größeres Gewicht beizumessen“ sei als dem Recht auf Versammlungsfreiheit.

Die Medien entfachten eine regelrechte Hysterie, um die Bevölkerung einzuschüchtern und Menschen davon abzuhalten, überhaupt zu der Demonstration am Samstag anzureisen. Dennoch strömten am Samstagmittag aus allen Richtungen Tausende in die Innenstadt. Und alle spontanen Aktionen, die trotz des Verbotes in den vier Tagen durchgeführt wurden, verliefen von Seiten der Protestierer friedfertig.

Junge Italiener: Francesca in der Mitte, Alessio hinten rechts Junge Italiener: Francesca in der Mitte, Alessio hinten rechts

Eine Gruppe junger Italiener, die mit dem Netzwerk Global-project gekommen war, berichtete, dass am Donnerstag achtzig italienische Jugendliche vor der Universität eingekesselt und bis Mitternacht gefangen gehalten worden seien. Alessio sagte: „Die Polizei hatte keine Dolmetscher. Sie gaben über Lautsprecher Anweisungen auf Deutsch, die wir aber nicht verstanden. Darauf wurden wir verhaftet. Sie haben Fingerabdrücke und Fotos von uns genommen und uns in vergitterten Bussen in ein Gefängnis gebracht.“

Francesca ergänzt: „Als wir von der Polizei eingekreist wurden, haben wir erst gar nicht verstanden, was die von uns wollten. Auf Englisch haben uns andere dann gesagt, man solle Gruppen von je zehn Leuten bilden, um aus dem Kessel rauszukommen. Aber als wir soweit waren, hieß es plötzlich: Nein, jetzt ist es zu spät.“ Einzeln wurden die italienischen Jugendlichen gefilzt, ihre Sachen wurden ihnen weggenommen und sie wurden ins Gefängnis gebracht. Dort mussten sich die Mädchen bis auf Slip und BH ausziehen, und die Toiletten hatten keine Tür. “Es war sehr erniedrigend“, berichtete Francesca.

Azim und seine Tochter Azim und seine Tochter

Azim und seine Tochter kommen aus dem Iran, sie übersetzt für ihren Vater. Azim erklärt, er sei gekommen, weil er „seit langem gegen den Kapitalismus ist“. Über die Polizeiaufrüstung in Frankfurt ist er nicht sehr erstaunt, denn, wie er sagt: „Der Kapitalismus führt zwangsläufig zur Diktatur, wenn er in der Krise ist. Das kann man jetzt auch hier sehen.“ Die Mullahs im Iran bildeten ebenfalls ein diktatorisches Regime, nur religiös verbrämt.

Auf die Frage, was er über das Gedicht von Günter Grass denke, antwortet Azim: „Günter Grass hat in seinem Gedicht nichts Falsches gesagt. Er hat ja nicht nur Israel kritisiert, sondern auch den Iran.“ Er finde es „schlimm, dass Grass so angegriffen wird“, man müsste ihn jetzt genauso verteidigen wie Salman Rushdie, sagte Azim.

Antti aus Finnland Antti aus Finnland

Antti aus Finnland ist 37 Jahre alt und mit einer Gruppe aus Helsinki gekommen, um gegen die Politik der Banken in Europa zu protestieren. Er berichtet empört, dass auch er, wie viele andere, am Donnerstag festgenommen worden sei. Die Begründung sei gewesen, er habe illegal demonstriert.

„Wir demonstrierten für das Demonstrationsrecht“, fuhr Antti fort. „Wir hatten kaum die Universität verlassen und marschierten auf der Straße, da war es auch schon vorbei. Wir wurden von hunderten Polizisten umzingelt und konnten drei Stunden lang nicht vor und zurück. Dann brachten sie uns zu einer Polizeistation. Weil es dort nicht genug Platz gab, steckten sie uns in Zelte, die sie auf dem Parkplatz aufgeschlagen hatten. Dort wurden wir bis 23 Uhr festgehalten.“

Anschließend habe man jedem Verhafteten ein Aufenthaltsverbot für die Stadt erteilt, d.h. die Jugendlichen durften sich 24 Stunden lang nicht in Frankfurt aufhalten. Daran habe sich aber niemand gehalten. Wo hätten sie auch hingehen sollen? Es sei aber ein ungutes Gefühl gewesen, „24 Stunden lang illegal“ zu sein.

Antti fand es „ziemlich einzigartig, dass Hunderte Demonstrationen und Versammlungen total verboten wurden. Das geht gegen alles, was Recht ist.“ Soviel er wisse, gebe es in diesem Land normalerweise ein Recht auf Demonstration. „Sie haben offensichtlich Angst. Ich habe gehört, dass es vor kurzem schon einmal Zusammenstöße gegeben haben soll. Aber deswegen kann man doch nicht kategorisch das Recht auf Demonstration aussetzen. Wir zum Beispiel hatten keinerlei Stöcke, Steine oder auch nur Schals. Von uns ging überhaupt keine Gefahr aus.“

Während der Aufruf, gegen die Macht der Banken zu demonstrieren, Tausende auf die Beine brachte, erwiesen sich die Perspektiven der Blockupy-Organisatoren als äußerst beschränkt. Unter anderem wurde der Demonstrationsaufruf vom globalisierungskritischen Netzwerk attac unterstützt, das der SPD und den Grünen nahe steht, und von der Linkspartei, die in Berlin und anderen Landesregierungen das Diktat der Banken durchgesetzt hat. Andere Gruppen stehen den Gewerkschaften nahe und rufen zu deren Stärkung auf.

Die Forderungen der Organisatoren beschränkten sich auf milde Reformen im Rahmen der bestehenden, kapitalistischen Verhältnisse. Einige traten für eine inflationäre statt einer deflationären Fiskalpolitik auf – wie dies auch US-Präsident Obama und andere Interessenvertreter der Wall Street tun. So hieß es auf einem Plakat: „Sparpolitik funktioniert nicht in einer Depression“.

Eine Gruppe empfahl unter dem Slogan „Krötenwanderung – bessere Banken sind möglich“, sein Geld von den „bösen“ Banken abzuziehen und auf „gute“ Banken zu transferieren.

Mehrere Gruppen trugen griechische Fahnen mit sich, und auf vielen Transparenten standen Slogans wie: „Solidarität mit Griechenland und Spanien“, „Heute Griechenland, morgen wir“ oder „Wir alle sind Griechen“. Der Grundtenor der meisten lief aber darauf hinaus, durch Protest und Druck die EU zu einer Abmilderung der Spardiktate zu bewegen.

Nur die Partei für Soziale Gleichheit trat in einem tausendfach verteilten Handzettel „Griechenland und die Weltkrise des Kapitalismus“ für eine sozialistische Perspektive ein. Sie stellte der „Europäischen Union des Großkapitals und der Finanzparasiten“ die Errichtung der Arbeitermacht in Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen.

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