Proteste gegen die Präsidentschaftswahl in Ägypten

In mehreren ägyptischen Städten brachen Proteste aus, als die zentrale Wahlkommission (SPEC) die offiziellen Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahl veröffentlichte. Der SPEC zufolge stehen sich in der Stichwahl am 16. und 17. Juni der letzte Ministerpräsident unter dem gestürzten Diktator Hosni Mubarak, Amed Schafik, und Mohammed Mursi gegenüber, der Kandidat der islamistischen Moslembruderschaft (MB).

 

Das Endergebnis wies Mursi mit 24,8 Prozent als Sieger der ersten Wahlrunde aus, gefolgt von Schafik mit 23,7 Prozent. An dritter Stelle lag der Nasserist Hamdien Sabbahi mit 20,7 Prozent. Der moderate islamistische Kandidat Abd al-Munim Abu al-Futuh kam mit 17,5 Prozent auf den vierten Platz und Amre Mussa, der ehemalige Außenminister Mubaraks und Vorsitzende der Arabischen Liga landete mit 11,1 Prozent auf dem fünften. Die offizielle Wahlbeteiligung betrug nur 46, 4 Prozent.

Die Proteste richteten sich sowohl gegen Schafik, der als der bevorzugte Kandidat des Militärs gilt, wie auch gegen den Islamisten Mursi. In Kairo blockierten Tausende Demonstranten den Verkehr auf dem Tahrir-Platz, dem zentralen Ort der ägyptischen Revolution. Sie riefen: „Nieder mit der Militärherrschaft! Nieder mit der Herrschaft des Obersten Führers [der Bruderschaft]!“

Am frühen Abend stürmten 400 Demonstranten mit Parolen gegen die Feloul (Überreste des alten Regimes) auf den Lippen die Wahlkampfzentrale Schafiks und brannten sie nieder. Sicherheitskräfte griffen ein und nahmen Protestierer fest und die Feuerwehr kam, um das Feuer zu löschen.

Die ganze Nacht über marschierten die Demonstranten durch die Kairoer Altstadt und riefen: “Haut Schafik auf den Kopf“, und trugen seine Wahlplakate mit dem Kopf nach unten. Andere riefen: „Nieder mit den Hunden des Militärregimes“.

Ali, ein 24-jähriger Apotheker, der während der Zusammenstöße mit dem Militär und den Sicherheitskräften in provisorischen Feldlazaretten auf dem Tahrir-Platz gearbeitet hatte, erklärte: „Der Oberste Militärrat (SCAF) soll wissen, dass wir Ahmed Schafik niemals als unseren neuen Präsidenten akzeptieren werden. Er ist der zweite Mubarak und war sogar in der Luftwaffe, wie der gestürzte Führer.“

In der Küstenstadt Alexandria zogen Tausende Demonstranten durch die Stadt und rissen Plakate Schafiks und Mursis herunter. Auch in der Stadt Daqahlia im Nildelta gab es Proteste. Dort ertönten Parolen wie: „Mubarak, Vater und Sohn! Gegen den Schuh und den Ersatz!“ („Ersatz“ bezieht sich auf Mursi, der als „Ersatzrad“ bezeichnet wurde. Die Junta hatte den ersten Kandidaten der Bruderschaft, Kheirat al-Schater disqualifiziert und Mursi ersetzte al-Schater). Die Demonstranten stellten auch die Korrektheit des Wahlergebnisses in Frage und riefen: „Oh Bagato [Leiter der Wahlkommission], sag die Wahrheit! Gab es Wahlbetrug, oder nicht?“

Es gab Berichte über zahlreiche Unkorrektheiten bei der Wahl und es gibt ein verbreitetes Gefühl unter ägyptischen Arbeitern und Jugendlichen, dass die Wahl selbst illegitim war. „Die Wahl war eindeutig vom Staat kontrolliert“, sagte ein Keramikarbeiter aus Mansura der ägyptischen Zeitung Al Ahram Online. Sein Sohn verlor letztes Jahr bei den Zusammenstößen mit der Polizei ein Bein. „Ich habe die Wahl boykottiert, weil sie von vorneherein Illegal war“, fügte er hinzu. „Wie kann man Präsidentschaftswahlen ohne eine Verfassung machen?“

Die Wahl findet unter der diktatorischen Aufsicht des von den USA unterstützten Militärrats statt. Es sind Notstandsgesetze in Kraft, aber keine Verfassung. Die Armee war im ganzen Land im Einsatz und bewaffnete Soldaten führten die Aufsicht in den Wahllokalen. Es wurde mehrfach über Fälle berichtet, wo Wähler, die Wahlfälschungen anzeigen wollten, selbst festgenommen wurden

Alle Kandidaten waren von der Militärjunta handverlesen und sind entschiedene Verteidiger des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen und imperialistischen Herrschaft in Ägypten und der ganzen Region.

Die unmittelbar nach der ersten Wahlrunde erneut ausbrechenden Proteste sind ein Schlag für den von den USA kontrollierten “Übergang zur Demokratie”, der von der herrschenden Elite Ägyptens organisiert und von allen offiziellen politischen Kräften des Landes unterstützt wird, seien sie Islamisten, Liberale oder kleinbürgerliche Pseudolinke. Alle diese Kräfte fürchten den erneuten Ausbruch militanter Streiks und Proteste, die im Februar 2011 Mubarak stürzten. Sie sind auf der dringenden Suche nach neuen politischen Mechanismen, um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und die Konterrevolution zu intensivieren. 

Am Montag trafen sich mehrere liberale und “linke” Parteien, darunter die Sozialdemokratische Partei Ägyptens, die Tagammu Partei, die Sozialistische Volksallianz (Popular Socialist Alliance), El-Adl, die Arabisch-Nasseristische Partei und die Demokratische Front, um die Bildung einer so genannten „Einheitsfront“ zu diskutieren. An dem Treffen nahm auch Präsidentschaftskandidat Amre Mussa teil. Auch Sabbahi war eingeladen worden. Nach Angaben der Teilnehmer war das Ziel nicht, den einen oder den anderen Kandidaten in der Stichwahl zu unterstützen, sondern die Revolution und den zivilen Staat zu schützen.

Es wurde allerdings klar, dass das Ziel der geplanten Front das genaue Gegenteil ist. Sie erstellte ein Dokument, dass sowohl Schafik, wie auch Mursi unterbreitet werden soll. Ein Vertreter der Front erklärte, dass die Gruppe einen der beiden Kandidaten unterstützen könne, wenn er das Dokument akzeptiere. Die Hauptforderung darin ist die nach der Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung unter Beteiligung „aller Kräfte der Gesellschaft“. Ihre Aufgabe wäre die Ausarbeitung einer Verfassung.

Die Revolutionären Sozialisten (RS) befürworteten in einer Erklärung unverhüllt die Moslembruderschaft und forderten auf, für Mursi zu stimmen. Wie die Parteien der „Einheitsfront“ fordern auch die RS die Bruderschaft auf, sich auf die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu verpflichten und Sabbahi und Futuh einzubinden.

Mursi hat schon seine Bereitschaft signalisiert mit liberalen und kleinbürgerlichen “linken” Kräften zu kooperieren. In einer Erklärung vom Dienstag versprach er, eine „Koalitionsregierung“ zu bilden, falls er gewählt werde. „Diese Regierung würde aus ganz unterschiedlichen Politikern bestehen, nicht nur aus Islamisten und Mitgliedern der Bruderschaft. Der Premierminister würde nicht der Bruderschaft oder der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei angehören“, sagte er.

In der gleichen Erklärung machte Mursi klar, dass eine solche Regierung die konterrevolutionäre Offensive gegen die Arbeiterklasse gemeinsam mit dem Militär und der Polizei verstärken würde. Er lobte die Polizei und die Armee für die Durchführung der Präsidentschaftswahl und fügte hinzu, dass „der Status der Polizei und der Offiziere gleich bleiben“ werde.

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