Hilfskonferenz zu Afghanistan: Ausdruck endloser ausländischer Besatzung

Vergangenen Sonntag fand auf Betreiben der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Tokio eine so genannte Afghanistan-Hilfe-Konferenz statt. Sie dient offiziell dazu, dass sich Geberländer verpflichteten, auch nach dem offiziellen Rückzug des größten Teils der Kampftruppen aus dem Land im Jahre 2014 etwa vier Milliarden Dollar für zivile Programme bereitzustellen.

Der afghanische Präsident Hamid Karzai, Chef des Marionettenregimes des Landes, erklärte absurder Weise: „Die heutige Konferenz in Tokio wird in die Entwicklungsgeschichte Afghanistans als Meilenstein auf dem langen Weg des Landes zu Eigenständigkeit, Prosperität, Stabilität und Frieden eingehen.

In Wahrheit war die Konferenz mehr als zehn Jahre nach der amerikanischen Invasion des Landes ein weiterer Schritt in der Vorbereitung auf eine de facto unbegrenzte ausländische Besetzung. Seit Beginn der Invasion im Oktober 2001 wurde Afghanistan verwüstet und sein Volk ins Elend gestoßen. Die eintägige Zusammenkunft in Tokio, an der ungefähr siebzig Länder und Organisationen teilnahmen, war der dritte Schritt der Obama-Regierung in jüngerer Zeit, die Kontrolle Washingtons über Afghanistan weit über den „Truppenrückzug“ hinaus festzuschreiben.

Am Tag vor dem Treffen in Tokio nominierten die USA das afghanische Regime als ihren 16. „wichtigen Verbündeten außerhalb der Nato“ (MNNA). Damit ist es formell berechtigt, militärische Ausbildung zu erhalten, Kredite für Ausrüstung zu bekommen und das Geld für das Leasen von Waffensystemen zu erhalten.

Im Mai unterzeichnete Karzai eine “stabile strategische Partnerschaft” mit Obama. Diese regelt, dass nach 2014 mindestens 20.000 amerikanische Truppen, auch Kontingente von Special Forces, im Land bleiben können. Die USA werden auch die Lufthoheit in dem Land wahrnehmen und durch die Entsendung von „Ausbildern“ und „Beratern“ die Operationen der afghanischen Armee lenken.

Die in Tokio versprochenen vier Milliarden Dollar pro Jahr sind weniger als die versprochene jährliche Militärhilfe. Im Mai waren auf der Nato-Tagung in Chicago 4,1 Milliarden Dollar an Militärhilfe zugesagt worden, um die afghanischen Sicherheitskräfte von 2015 bis 2017 zu finanzieren. Es ist auch weniger als die gegenwärtige zivile Hilfe, die ca. fünf Milliarden Dollar im Jahr beträgt. US-Außenministerin Hillary Clinton lobte die Hilfszusagen, lehnte aber ab, den amerikanischen Anteil daran zu beziffern. Wie in der Vergangenheit wird ein großer Teil der zivilen Hilfszusagen nicht eingehalten werden.

Einmal mehr sagte Karzai zu, die Korruption zu bekämpfen, und erklärte sich bereit, ein Regime zu schaffen, das „rechenschaftspflichtig“ ist, um sicherzustellen, dass Mittel nicht von unehrlichen Beamten abgezweigt werden. „Wir werden Korruption entschlossen bekämpfen, wo immer sie sich zeigt“, verkündete er vor der Konferenz.

Ähnliche leere Versprechungen wurden schon auf einer Internationalen Wiederaufbau- und Hilfskonferenz für Afghanistan am 21./22. Januar 2002 in Tokio abgegeben.

Auf dem damaligen Treffen wies der amerikanische Finanzminister Paul O’Neill Karzai kurzerhand an, “seine Regierung klein zu halten”. Karzai bot geflissentlich Garantien an, dass seine Regierung schlank sein werde, die Korruption bekämpfen und ausländische Inspektionen seines Haushalts zulassen werde. Karzai sicherte auch immer wieder zu, die Marktwirtschaft zu stärken und Auslandsinvestitionen zu ermutigen.

Die USA behaupten, die Besetzung werde eine neue Periode von Frieden und Wohlstand für alle Afghanen eröffnen. Zehn Jahre nach der Invasion lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in extremer Armut. Dieses Jahr wird es durch eine schlimme Trockenheit und hohe Lebensmittelpreise noch schwerer für die Familien, ihre Kinder zu ernähren. Der Preis von Weizen, dem Grundnahrungsmittel für die meisten Familien, ist seit dem letzten Jahr um sechzig Prozent gestiegen.

Schätzungsweise 30.000 Kinder sterben jedes Jahr aufgrund von Mangelernährung und damit zusammenhängenden Krankheiten. Die Arbeitslosigkeit beträgt seit der amerikanischen Invasion etwa vierzig Prozent. 2011 haben dreimal so viele Afghanen ihr Land verlassen als noch vier Jahre vorher. Auch das ist ein Zeichen wachsender Verelendung. Letztes Jahr nahmen die zivilen Kriegsopfer das fünfte Jahr nacheinander zu, auf 3.021. Weitere 100.000 wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land.

Die tief verwurzelte Opposition gegen ausländische Militärbesatzung spiegelt sich in dem stetigen Strom von Rekruten, den die Taliban und andere aufständische Gruppen verzeichnen, die viele ländliche Gebiete beherrschen. Trotz der starken Truppenaufstockung der Obama-Regierung in den letzten zwei Jahren haben die Aufständischen ihre Angriffe in diesem Sommer verstärkt und Schlüsselregionen zurückerobert. Dieses Jahr sind in Afghanistan bisher 225 Nato-Soldaten ums Leben gekommen.

Der Sonntag, an dem die Tokio-Konferenz stattfand, war besonders blutig. Sprengfallen am Straßenrand und militante Angriffe kosteten sieben amerikanischen Soldaten, sieben afghanischen Polizisten und neunzehn Zivilisten das Leben. Am Montag fielen drei Polizisten, ein Staatsanwalt, zwei Kinder und vierzehn Angreifer zwei Selbstmordattentaten zum Opfer. Mindestens sechzig Menschen wurden verwundet.

Die Gegenoffensive der Aufständischen zieht ihre Kraft aus der Wut der Bevölkerung über die ständigen nächtlichen Überfälle von Special Forces der Nato und über die Luftschläge, die unschuldige Zivilisten töten. Diese Operationen gehen trotz der öffentlichen Forderung Karzais weiter, sie zu stoppen. Das trägt dazu bei, dass er weithin als Tanzbär der Amerikaner verhasst ist.

Die Obama-Regierung hat auch die militärische Gewalt über die Grenze nach Pakistan verstärkt, wo Drohnenangriffe seit 2009 mindestens 3.000 Menschen getötet haben, von denen weniger als 200 definitiv bekannte „Militante“ waren.

Vergangenen Freitag führten die USA erneut einen solchen Schlag aus. Das war nur wenige Tage, nachdem sie der pakistanischen Regierung die Zustimmung abgerungen hatten, den militärischen Nachschub nach Afghanistan über Pakistan wieder aufnehmen zu dürfen. Bei dem Angriff sollen 24 Menschen ums Leben gekommen sein. Das zeigt, dass die unbemannten Luftschläge entgegen anderslautenden Parlamentsresolutionen weitergehen, obwohl die Wiederöffnung der Nachschubkorridore auf breite Opposition der Bevölkerung stößt.

Seit zwei Tagen stürzen sich westliche Medien auf ein Video, das angeblich die öffentliche Hinrichtung einer Frau durch die Taliban zeigt, die Ehebruch begangen haben soll. Die USA und ihre Nato-Verbündeten versuchen mit diesen Aufnahmen (die vor drei Wochen gemacht worden sein sollen), ihre Operationen im ganzen Land zu rechtfertigen. Die Taliban streiten ab, etwas mit dieser Tötung zu tun zu haben, und sollen stattdessen zwei Männer aus der Gegend hingerichtet haben, die an dem Zwischenfall beteiligt waren.

Die Tatsache, dass diese Hinrichtung in einem Dorf nur hundert Kilometer nördlich der Hauptstadt Kabul stattgefunden haben soll, unterstreicht jedoch, dass das Karzai-Regime so gut wie keine Kontrolle über das Land hat. Erst vor wenigen Monaten wurde die Provinz Parwan, in der das Dorf Kimchok liegt, für Taliban-frei erklärt. Im Februar nannte der Gouverneur von Parwan, Abdul Basir Salangi, die Provinz das „Rückgrat der Sicherheit“ in Afghanistan.

Karzai verurteilte den Tod der Frau als “schreckliches und unverzeihliches Verbrechen”. Westliche Regierungen schlossen sich dieser Bewertung an. Die Wahrheit ist aber, dass die USA und ihre Verbündeten und alle, die mit ihnen zusammengearbeitet haben, Kriegsverbrechen begangen haben. Bei der amerikanischen Invasion ging es nie um die Verbesserung des Lebens der einfachen Bevölkerung in Afghanistan, oder darum, sie vor den Taliban und Mudschaheddin-Gruppen zu schützen, mit denen Washington früher eng zusammengearbeitet hat.

Vielmehr versucht der US-Imperialismus, seine geostrategische Position in Afghanistan und der ganzen energiereichen Region Zentralasien und des Mittleren und Nahen Ostens zu stärken. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 lieferte lediglich den Vorwand für eine längst vorher geplante Invasion in diesem strategisch gelegenen Land, das an den Iran und an China grenzt. Zehn Jahre später zahlt die afghanische Bevölkerung dafür immer noch einen hohen Preis.

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