Kriegsverbrecher Csatáry in Budapest verhaftet

Die Budapester Staatsanwaltschaft hat den ungarischen Kriegsverbrecher László Csatáry unter Hausarrest gestellt. Der 97-Jährige wird beschuldigt, während des Zweiten Weltkriegs an der Ermordung von 16.000 ungarischen Juden beteiligt gewesen zu sein. 1948 war er in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden.

Ungarische Behörden gingen erst gegen Csatáry vor, nachdem Reporter des britischen Boulevardblatts Sun Csatáry in seiner Wohnung in einem noblen Stadtteil Budapests aufgespürt und Fotos von ihm veröffentlicht hatten.

Das Simon-Wiesental-Centrum (SWC) in Jerusalem verfolgt Csatáry bereits seit Jahrzehnten. Wie SWC-Direktor Efraim Zuroff berichtete, hatte es der ungarischen Justiz bereits 2006 Hinweise übermittelt, dass sich Csatáry in Budapest befinde. Seit zwei Jahren sei den Behörden auch seine Adresse bekannt gewesen, doch die ungarische Justiz habe nichts unternommen.

Das SWC hatte Csatáry ganz oben auf seiner Fahndungsliste. Er wird beschuldigt, 1944 als Polizeichef von Kassa – dem heute slowakischen Kosice – für die Deportation von fast 15.700 ungarischer Juden ins Vernichtungslager Auschwitz verantwortlich gewesen und dabei mit sadistischer Brutalität vorgegangen zu sein. Bereits 1941 soll er 300 Juden in die ukrainische Stadt Kamjanez-Podilskyj deportiert haben. In dem von der deutschen Wehrmacht eroberten Ort verübten die Nazis kurz darauf ein Massaker an 23.600 Juden.

Nachdem er 1948 in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, flüchtete Csatáry nach Kanada, wo er mit neuer Identität bis zu seiner Ausweisung 1997 lebte. Nach seiner Rückkehr nach Ungarn konnte er dort ungehindert untertauchen.

Csatáry wurde am vergangenen Mittwoch erstmals von der Staatsanwaltschaft in Budapest verhört. Wie die ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtete, beantragten die Behörden anschließend bei einem Untersuchungsrichter Haftbefehl. Nach Behördenangaben ist Csatáry in gutem körperlichem und geistigem Zustand.

Medienberichten zufolge wies der 97-Jährige bei der Vernehmung alle Anschuldigungen mit der Begründung zurück, er habe damals als Polizeichef „nur Befehle erfüllt“ und seine „Pflicht getan“.

Die Tatsache, dass Csatáry jahrelang unbehelligt in Ungarn leben konnte, nährt Zweifel, ob er sich vor Gericht verantworten muss und verurteilt wird. „Ich bin nicht sicher, dass die Entdeckung juristische Folgen haben wird bei dieser konservativen Regierung”, gab der als „Nazi-Jäger” bekannte Serge Klarsfeld gegenüber der Nachrichtenagentur AFP zu bedenken.

Die ungarische Regierung des rechtskonservativen Bürgerbundes (Fidesz) unter Victor Orban betreibt gezielt eine Wiederbelebung autoritärer und faschistischer Traditionen.

In der von dem Fidesz erlassenen Verfassung sind Gott, Christentum und der Stolz auf die tausendjährige Geschichte Ungarns als rechtsverbindliche Maßstäbe verankert. Der Text beruft sich auf das „historische“ Erbe Ungarns und hat laut Orban die Periode beendet, in der „das Ungarntum systematisch unterdrückt“ wurde. Inhaltlich knüpft die Verfassung an die faschistische Diktatur unter Miklos Horthy in den 1930er und 40er Jahren an. Die Bezeichnung „Republik“ ist aus dem Staatsnamen verschwunden.

Ungarische Behörden haben unter Horthy über 400.000 Juden nach Auschwitz deportieren oder ermorden lassen. Heute findet unter Orban und dem Einfluss der rechtsextremen Partei Jobbik ein regelrechter Horthy-Kult statt. Mitte Mai wurde im Ort Kereki in Südwestungarn eine Horthy-Statue aufgestellt – die erste seit dem Ende der Diktatur 1945. In Debrecen wurde jüngst eine Horthy-Gedenktafel enthüllt, und in der Ortschaft Gyömrö südöstlich von Budapest trägt seit Neuestem ein Park den Namen des Reichsverwesers. Weitere Horthy-Statuen sollen in mehreren Städten, darunter auch in Budapest aufgestellt werden.

Bei den Einweihungsfeierlichkeiten sind neben Vertretern der Partei Jobbik, die an die Tradition der nationalsozialistischen Pfeilkreuzler anknüpft, und der Kirche regelmäßig auch Fidesz-Politiker anwesend. Orban erklärte dazu, dass dies ausschließlich die Angelegenheit der lokalen Gemeinden sei, die häufig von rechten Fidesz- oder Jobbik-Politikern geführt werden. „Warum stellt sich Fidesz neben Pfeilkreuzler, wie weit ist es mit uns gekommen?“, kommentiert der Politologe Zoltán Somogyi diese Entwicklung.

Neben Horthy gelangen auch andere nationalsozialistische Figuren zu neuen Ehren. Das ungarische Parlament hat den einst als Kriegsverbrecher gesuchten und 1953 verstorbenen Schriftsteller József Nyírö in Siebenbürgen mit einem Staatsbegräbnis erneut bestatten lassen. Nyírö war Kulturideologe unter Horthy. Er gehörte auch nach der Machtübernahme der faschistischen Pfeilkreuzler im Oktober 1944 noch der ungarischen Nationalversammlung an und floh vor der Roten Armee nach Österreich. Unter dem Schutz Francos konnte er sich schließlich in Madrid niederlassen.

Orban verfolgt seinen rechten Kurs vor dem Hintergrund massiver Angriffe auf den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten. Die Sparpakete, die seine rechte Regierung verabschiedet hat, müssen früher oder später Proteste und soziale Konflikte auslösen. Orban will diese mit der Wiederbelebung faschistischer Traditionen und dem Schüren von Nationalismus unterbinden.

In diesem politischen Klima ist ein ernsthafter Prozess gegen Csatáry kaum wahrscheinlich. Dies machen auch die vorläufigen Ausflüchte der Budapester Staatsanwaltschaft deutlich. Von ihrer Seite hieß es, Ermittlungen seien schwierig, weil der Tatort heute in einem anderen Land liege, und „sehr schwierig“, weil die Vorgänge mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen.

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