Perspektive

Der Putsch in Paraguay

Am 22. Juni wurde Fernando Lugo, Paraguays gewählter Präsident, in einem so genannt konstitutionellen Putsch aus dem Amt getrieben. Dies ist ein weiteres Anzeichen für die wachsenden Klassenspannungen, die nicht nur in Lateinamerika, sondern in der ganzen Welt vorherrschen und die Existenz demokratischer Herrschaftsformen unter dem Kapitalismus immer stärker gefährden.

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die überstürzte Amtsenthebung Lugos nicht ohne Komplizenschaft des US-Imperialismus durchgeführt wurde. Sie wurde in nur dreißig Stunden durch beide Häuser des Parlaments gepeitscht, nachdem Lugo von den beiden traditionellen Parteien der herrschenden Oligarchie des Landes angeklagt worden war.

Lugo wurde 2008 gewählt, nachdem er versprochen hatte, die Korruption zu bekämpfen und einen “sozial verantwortlichen Kapitalismus” zu organisieren. Er ist ehemaliger katholischer Priester und Vertreter der Befreiungstheologie.

Lugo kam ohne eigene Partei, an der Spitze einer Koalition aus linksnationalistischen Organisationen, Bauern- und Eingeborenengruppen und der liberalen Partei ins Amt. Die liberale Partei ist ein rechtes Instrument der Oligarchie Paraguays, die unter der 35-jährigen Diktatur Alfredo Strössners als zahme Opposition geduldet worden war. Es war Lugos Vizepräsident Fernando Franco, der Führer der liberalen Partei, der sich nach der Amtsenthebung seines Chefs die Präsidentenschärpe umlegte.

Weil Lugo das Privateigentum verteidigte, konnte er im Sinne von Reformen wenig bewirken, zumal alle wirklichen Machtinstrumente in den Händen der Liberalen und Strössners Colorados blieben, die das Land vor der Wahl von 2008 sechs Jahrzehnte lang beherrscht hatten. Lugo passte sich außerdem ständig an die Reaktion in Paraguay an.

Trotzdem empfanden die herrschende Oligarchie und die transnationalen Agrarinteressen seine Präsidentschaft als unakzeptabel, weil sie fürchteten, diese könne bei der großen Mehrheit der paraguayischen Arbeiter und Unterdrückten unerwünschte Erwartungen wecken. Vor allem fürchteten sie, dass die landlosen Bauernmassen, die vergebens auf eine ernstzunehmende Landreform der Regierung hofften, die Sache in die eigenen Hände nehmen könnten. In einem Land, in dem zwei Prozent der Bevölkerung mehr als 75 Prozent des Landes besitzen, gibt es für solche Befürchtungen ausreichend Nahrung, zumal ein großer Teil des Landes seinen Besitzern weggenommen und Günstlingen der Strössner-Diktatur in der Colorado-Partei geschenkt wurde.

Der Hauptvorwand für die Amtsenthebung war ein Massaker der Sicherheitskräfte des Staates, als sie versuchten, etwa hundert Bauern zu vertreiben, die das Land eines reichen Colorado-Politikers aus der Strössner-Ära besetzt hielten. Elf Bauern und sechs Polizisten wurden getötet und Dutzende verletzt und verhaftet. Die rechten Parteien im paraguayanischen Kongress machten Lugo nicht dafür verantwortlich, dass er Bauern hatte niederschießen lassen, sondern dass seine Unterdrückungsmaßnahmen nicht gründlich genug waren.

Die Parallelen zwischen dem Putsch vom Juni 2012 in Paraguay und dem Putsch von Juni 2009 gegen den gewählten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, liegen auf der Hand. In beiden Fällen vertrieben Vertreter der oligarchischen herrschenden Klassen einen Präsidenten, der als „Linker“ aufgetreten war, weil sie auch nicht die geringste Reform akzeptieren konnten. Vielmehr betrachteten sie jede noch so schwache Maßnahme als unakzeptable Einschränkung ihres Reichtums und ihrer Macht. Und in beiden Fällen wurden juristische und Verfassungsbestimmungen zur Erreichung völlig undemokratischer Ziele bis zum Zerreißen zurechtgebogen.

Während in Zelayas Fall noch Truppen den Präsidentenpalast stürmten und den Präsidenten im Pyjama in ein Flugzeug zerrten, das ihn im Schutze der Dunkelheit ins Exil ausflog, war das im Falle Lugos nicht einmal nötig. Lugo akzeptierte seine Absetzung kleinlaut und öffentlich und schloss sich erst später Protesten an. In Paraguay wird sich, wie schon in Honduras, die wirkliche Gewalt erst nach dem Putsch entladen und gegen die Arbeiter, Bauern und Studenten des Landes richten.

Auch die Sozialstruktur der beiden Länder ist sich nicht unähnlich. Paraguay ist das zweitärmste Land Südamerikas, während Honduras das zweitärmste Land Mittelamerikas ist. In beiden Ländern ist die soziale Ungleichheit enorm angestiegen, was in großem Maße dem Eindringen von transnationalem Kapital geschuldet ist.

Beide Länder stehen auch im Zentrum der Aufmerksamkeit des amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparats, der enge Beziehungen zu den örtlichen Diensten unterhält. Sicherheitsdienste beider Länder sind vom Pentagon ausgebildet worden und werden von ihm beraten, und sie würden keinen Sturz einer amtierenden Regierung ohne dessen Zustimmung unterstützen.

In Honduras hat Washington seine größte Militärbasis in Lateinamerika errichtet. Und in dem Zeitraum vor Lugos Absetzung sollen amerikanische Generale über den Aufbau einer strategischen Basis mit den gleichen rechten Politikern verhandelt haben, die Lugos Amtsenthebung organisierten.

Wie ABC Color, die wichtigste rechte Tageszeitung, im August letzten Jahres berichtete, hat sich der Abgeordnete Jose Lopez Chavez, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im paraguayischen Unterhaus, mit einer Gruppe amerikanischer Generale getroffen. Diese befanden sich auf Besuch im Lande, um die Errichtung eines amerikanischen Stützpunkts in der dünn besiedelten Region Chaco in Bolivien zu erörtern. Lopez Chavez ist führendes Mitglied einer Dissidentengruppe der Colorado Partei, die von dem ehemaligen Putsch-Führer und pensionierten General Lino Oviedo geführt wird. Er gehört zu den Organisatoren des parlamentarischen Putsches.

Lugo hatte sich mit Washington gut zu stellen versucht und amerikanischen Special Forces erlaubt, Truppen Paraguays in “Terrorismusbekämpfung“ und in „innerstädtischen militärischen Operationen“ auszubilden. Aber er wehrte sich gegen ein großes Manöver, das das Pentagon für 2010 vorgeschlagen hatte. Aus einer geheimen amerikanischen Botschaftsdepesche, die WikiLeaks veröffentlicht hatte, ging hervor, dass Botschaftsvertreter damals „mit aller Macht“ versucht hatten, Minister der Regierung und militärische Kommandeure dafür einzuspannen, die unter dem Namen „Neuer Horizont“ bekannte Operation doch noch genehmigt zu bekommen. In der Depesche wurde Lugo beschuldigt, „kalte Füße“ bekommen zu haben und gut Wetter bei Venezualas Hugo Chavez zu machen, um Ölimporte zu günstigeren Bedingungen zu erhalten.

Andere von WikiLeaks veröffentlichte geheime Depeschen, die bis 2009 zurückreichen, tragen Überschriften wie „Paraguayische Politiker planen parlamentarischen Putsch“ und „Gerüchte über Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo wieder im Umlauf“. Sie lassen stark vermuten, dass die amerikanische Botschaft bestens über die Verschwörungen des rechten Lagers in Paraguay informiert und zweifellos insgeheim darin verwickelt war.

Der Putsch in Paraguay ist nach dem Putsch in Honduras und der Verstärkung des amerikanischen Engagements im „Drogenkrieg“ in Mexiko und Mittelamerika ein weiterer Beleg dafür, dass die Obama-Regierung immer offener zu konterrevolutionären Verschwörungen und militärischer Gewalt greift, um die Hegemonie der USA in Lateinamerika wieder zu stärken. Sie versucht damit, den mächtigen wirtschaftlichen Rivalen des amerikanischen Kapitalismus, China und Europa, entgegenzuwirken.

Die Ereignisse in Paraguay und Honduras beweisen einmal mehr, dass die arbeitende Bevölkerung Lateinamerikas imperialistische Interventionen und die Unterdrückung durch die einheimischen herrschenden Klassen nicht ohne die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus besiegen kann. In beiden Ländern profitierten konterrevolutionäre Operationen von dem Umstand, dass die Arbeiter, Bauern und Unterdrückten solchen kapitalistischen Politikern wie Lugo und Zelaya untergeordnet wurden, die wiederum unter dem Druck rechter bürgerlicher Parteien standen.

Die entscheidende Lehre aus den so genannten parlamentarischen Putschen in diesen beiden Ländern lautet: Notwendig sind der Aufbau neuer revolutionärer Parteien der Arbeiterklasse, unabhängig von allen Fraktionen der Bourgeoisie, und der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von ganz Amerika.

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