Nordkorea:

Anzeichen für eine Wende in der Führung

Sieben Monate nach dem Tod des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-il zeigen sich innerhalb des stalinistischen Regimes, das jetzt von seinem Sohn und Nachfolger Kim Jong-un geführt wird, Anzeichen einer Wende zur Durchsetzung von Marktreformen nach chinesischem Vorbild.

Am 15. Juli wurde Vizemarschall Ri Yong-ho überraschend von seinem Posten als Chef des Generalstabs abgesetzt. Einige Analysten sehen darin einen Versuch Kim Jong-uns und seines Onkels Jang Song-thaek, ihre Kontrolle über das starke Militär des Landes zu verschärfen. Kim Jong-un wurde in den Rang eines Marschalls befördert, was ihm de facto die vollständige Kontrolle über das Militär verschafft.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf eine als zuverlässig geltende Quelle, dass das Regime die Einführung von Marktreformen in Landwirtschaft und Wirtschaft vorbereite. Die regierende Partei der Arbeit Koreas hat ein eigenes „Politbüro“ eingerichtet, um die Veränderungen zu überwachen.

Kim Jong-il war Vertreter der „Armee zuerst“ (Sŏn’gun) -Politik, in der die Militärhierarchie umfassende Macht hatte, auch über die Wirtschaft. „Früher war das Kabinett leer und hatte in wirtschaftlichen Fragen nichts zu sagen. Das Militär kontrollierte das Land, aber das wird sich jetzt ändern,“ zitiert Reuters.

General Ri wurde im Jahr 2009 zum Chef des Generalstabes ernannt, er galt als Mentor des jungen, unerfahrenen Kim Jong-un. Der Informant von Reuters, der über Beziehungen nach Pjöngjang und Peking verfügt, erklärte: „Ri Yong-ho war der ergebenste Anhänger von Kim Jong-ils Sŏn’gun-Politik.” Seine Absetzung könnte den Weg für einen Wandel in der Wirtschaftspolitik ebnen.

Die New York Times vom 20. Juli zitierte das North Korea Strategic Information Service Center, eine Webseite aus Südkorea, die von Überläufern aus Nordkorea betrieben wird. Laut ihr hat Kim Jong-un dem Militär die Entscheidungsgewalt über wichtige Exportprodukte entzogen, darunter Bodenschätze. „Einige versuchen jetzt, rücksichtslos die wertvollen Bodenschätze des Landes auszubeuten, ihre Ausrede dafür ist, mit dem Export Dividenden ins Land zu bringen,“ erklärte Kim in den staatlichen Medien Nordkoreas.

Angesichts des undurchsichtigen Charakters des nordkoreanischen Polizeistaates kann keiner dieser Berichte als definitiv wahr gelten. Aber die Möglichkeit, dass sich das Regime dem Westen öffnet, hat in den amerikanischen und internationalen Medien zu einer Änderung des Tonfalls der Berichterstattung geführt. Kleine stilistische Veränderungen seit Kims Machtantritt – beispielsweise, dass Frauen kürzere Röcke tragen und Disney-Figuren auftauchen – werden mit Wohlwollen betrachtet.

Der neue Tonfall der Berichterstattung über Nordkorea, die sich stets abfällig über das Regime äußert, zeigte sich an Berichten über Kims Hochzeit, die letzte Woche angekündigt wurde. Dies deutet auf einen offeneren Herrschaftsstil als den seines Vaters hin. Laut einem Artikel der New York Times scheint es sich bei der Ankündigung der Hochzeit um „die Fortsetzung dessen zu handeln, was entweder ein Wechsel in der Politik, eine Propagandaoffensive oder beides ist.“

Der ehemalige amerikanische Diplomat Brian Klein äußerte sich in einem CNN-Blogeintrag, mit dem Titel „Wird Kim Jong-uns Herrschaft Musik für amerikanische Ohren sein?“, vorsichtig, deutete aber auch an, dass Kim Jong-un „möglicherweise einsieht, dass seine Abhängigkeit von China das künftige Wachstum und die Entwicklung seines Landes nicht sichern wird.“ Klein schlug vor, nordkoreanische Musiker zu einem Besuch nach New York einzuladen – eine Abwandlung der „Ping-Pong-Diplomatie“, die 1972 zu einer Versöhnung zwischen den USA und China führte, nur mit Musikern.

Die Änderungen in der Berichterstattung deuten auf amerikanische Ambitionen hin, vielleicht auch auf diplomatische Hinterzimmerdiskussionen zwischen Washington und Pjöngjang. Es ähnelt den Veränderungen, die sich im letzten Jahr in der Haltung zu dem Militärregime in Burma zutrugen: Der internationale Pariah wurde zu einem neuen Leuchtturm eines möglichen demokratischen Wandels. Washington interessiert sich in keinem von beiden Fällen für die demokratischen Rechte und den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerungen dieser Länder.

Die Obama-Regierung führt im Rahmen ihrer „Neuausrichtung auf Asien“ eine diplomatische und strategische Offensive in der ganzen Region, um Chinas Einfluss zu schwächen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem burmesischen Regime und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen gegen das Land sollen seine bisherige wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von Peking verringern.

Chinas Beziehungen mit Nordkorea sind viel enger als die mit Burma. Sie gehen zurück auf Pekings militärische Unterstützung für Pjöngjang im Koreakrieg von 1950-53. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor zwanzig Jahren und dem Wegfall der Unterstützung durch diese ist Nordkorea wirtschaftlich und diplomatisch völlig von China abhängig, da die USA und ihre Verbündeten seither die Konfrontation mit Pjöngjang über sein Atomprogramm zur Eskalation getrieben haben.

Die amerikanischen Regierungen haben immensen Druck auf Nordkorea ausgeübt, indem sie an der Wirtschaftsblockade festhielten, die seit dem Ende des Koreakrieges in Kraft ist. George W. Bush machte alle Schritte seines Amtsvorgängers Bill Clinton zunichte, die nordkoreanische Wirtschaft zu öffnen. Ohne ein absehbares Ende der amerikanischen Blockade waren Nordkoreas Versuche, Marktreformen einzuführen, größtenteils zum Scheitern verurteilt.

Die Obama-Regierung behielt die kompromisslose Haltung der Bush-Regierung zu Nordkoreas Atomprogrammen bei und hätte vermutlich selbst für die kleinsten Zugeständnisse an Pjöngjang hohe Gegenleistungen verlangt. Klein schrieb: „Durch die historischen und verteidigungspolitischen Probleme auf der koreanischen Halbinsel ergibt sich eine einzigartige Umgebung, in der es wenig Ähnlichkeit mit dem Arabischen Frühling gibt.“

Anderer Kommentatoren sind noch vorsichtiger. Letzte Woche erschien ein ausführlicher Bericht der Brüsseler Denkfabrik Internationale Krisengruppe (IKG). Dieser kam zu dem Schluss, dass Kim Jong-un seine Macht konsolidiert hat. Viele westliche Analysten hatten erwartet, dass der Übergang auf einen jungen, unerfahrenen Staatschef zu einem Machtkampf innerhalb des Regimes führen könne. Gleichzeitig schließt das IKG die Möglichkeit aus, dass es in naher Zukunft zu größeren Marktreformen kommen könne.

Der Bericht des IKG wies auf Chinas Entscheidung hin, nach dem Tod von Kim Jong-il im Dezember 2011 den Handel mit und die Wirtschaftshilfe für Nordkorea zu erhöhen, um soziale Unruhen zu verhindern. „Chinas Unterstützung für Nordkorea ist weiterhin robust. Im Dezember 2011 hat es angeblich 500.000 Tonnen Nahrungsmittel und 250.000 Tonnen Rohöl geschickt, um das neue Regime zu ‚stabilisieren.‘ Am 30. Januar 2012 forderte das Außenministerium die Staatengemeinschaft auf, Nordkorea humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Seit dem 9. Januar meldeten Zeugen, dass zehn Tage lang große Mengen scheinbar mit Reissäcken gefüllten LKWs über die Grenze nach Nordkorea gefahren seien. Der bilaterale Handel soll im Vergleich zum Januar 2011 um 18 Prozent gestiegen sein.“

China will politische Unruhen in seinem Nachbarstaat verhindern, aber es könnte auch darauf hoffen, dass die Marktreformen der chinesischen Wirtschaft besseren Zugang zu neuen Billiglohnmärkten verschaffen. Das IKG wies auf einen Plan hin, der vor kurzem vorgestellt wurde, laut dem 20.000 Nordkoreaner Visa erhalten sollen, um in der nordostchinesischen Provinz Jilin zu arbeiten.

Peking weiß genau, dass die USA jede Öffnung Nordkoreas ausnutzen werden, um China weiter zu isolieren, und ist entschlossen, das zu verhindern. Es gibt zwar in Pjöngjang momentan noch keine klaren Anzeichen für einen Machtkampf, aber das kann sich ändern, wenn in dem Regime Unstimmigkeiten darüber entstehen, wo es sich in der zunehmenden Rivalität zwischen Washington und Peking positionieren soll.

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