Perspektive

Gewerkschaften und Pseudolinke zum Massaker in Südafrika

Das Massaker an 34 streikenden Platinbergarbeitern des Bergwerks Lonmin-Marikana wirft ein grelles Licht auf die Rolle der Gewerkschaften in Südafrika und auf der ganzen Welt. Dies in einer Situation, in welcher der Klassenkampf weltweit im Aufschwung begriffen ist.

Ein Strom von Blut trennt nun die Bergarbeiter von der Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM), welche die einflussreichste Gewerkschaft im südafrikanischen Dachverband COSATU ist. Die NUM hat sich als Werkzeug staatlicher Unterdrückung und staatlichen Mordes erwiesen.

Der Zorn der Arbeiterklasse auf die Besitzer der riesigen Bergbaukonzerne hat die Arbeiter in direkten Konflikt mit den Organisationen gebracht, die sie angeblich vertreten. Nach dem Massaker verlangte NUM-Generalsekretär Frans Baleni, dass „alle Arbeiter zurück an die Arbeit gehen, und die Polizeikräfte hart gegen die Schuldigen für Gewalt und Mord vorgehen“. Nach Lesart der NUM sind das die Arbeiter selber.

Der Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und der NUM ist nicht auf das Bergwerk von Marikana beschränkt. Die Website der Bergbauindustrie mineweb.com schrieb kürzlich: „Besonders beunruhigend ist, dass die Bergarbeiter die NUM links liegen lassen. Ein tiefes Misstrauen in die traditionelle Bergbaugewerkschaft kommt hier zum Vorschein. Die NUM scheint als Vasall des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) wahrgenommen zu werden, d.h. als Teil des neuen südafrikanischen Establishments.“

Diese Aufstellung der Kräfte, bei der die Gewerkschaften in einer Reihe mit den Unternehmen und der Regierung stehen, ist ein internationales Phänomen. Und international ist auch die wachsende Rebellion der Arbeiter gegen diese rechten, wirtschaftsfreundlichen Institutionen, zumal die herrschenden Klassen weltweit eine soziale Konterrevolution durchsetzen.

Wo immer in Europa Kämpfe der Arbeiter über den offiziellen Rahmen der Gewerkschaften hinausgehen, arbeiten die Gewerkschaften mit den Regierungen zusammen, um sie zu unterdrücken. Beim Streik der spanischen Fluglotsen setzte die Regierung das Militär ein, um den Streik zu brechen. Sie konnte sich dabei auf die Unterstützung der Gewerkschaften und deren Verbündeten verlassen.

In den Vereinigten Staaten hat es in den letzten zwei Jahren trotz des AFL-CIO mehrere bedeutende Kämpfe gegeben. Die Arbeiter versuchten, gegen die Angriffe der Unternehmen auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen zu kämpfen, an deren Spitze heute die Obama-Regierung steht.

2010 wiesen Arbeiter in Indianapolis, Indiana, eine fünfzigprozentige Lohnsenkung mit überwältigender Mehrheit zurück, welche die Autoarbeitergewerkschaft UAW akzeptiert hatte. Sie verjagten Funktionäre der Gewerkschaft aus einer Versammlung des Ortsverbands. Ein Teil der Arbeiter bildete ein unabhängiges Basiskomitee, um den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne zu organisieren. Ein paar Monate vorher brach unter Autoarbeitern fast eine Rebellion gegen UAW-Funktionäre aus, als diese die Schließung des NUMMI-Werks in Fremont, Kalifornien, unterstützten.

Erst letzte Woche stimmten Arbeiter der Chrysler-Motorenfabrik in Dundee, Michigan, zur Überraschung und Empörung des Managements und der UAW gegen einen örtlichen Tarifvertrag. Wütend wiesen sie reguläre Überstunden und ein zweigleisiges Lohnsystem zurück. Wo Kämpfe unter der Kontrolle der Gewerkschaft ausbrachen, wie beim Streik von Caterpillar-Arbeitern in Joliet, Illinois, stellten die Arbeiter schnell fest, dass die Gewerkschaft sie isolierte und in die Niederlage führte.

Diese Ereignisse bestätigen eindrucksvoll die Analyse des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) über den Charakter der Gewerkschaften. Wie die Workers League, die damalige US-Sektion des IKVI, 1993 erklärte, hat die Degeneration der Gewerkschaften ihre Ursache in ihrer nationalistischen und pro-kapitalistischen Perspektive, der die Globalisierung der Produktion und der Zusammenbruch der Nachkriegsordnung die Grundlage entzogen haben: „Die Rolle dieser bürokratischen Apparate hat sich in jedem Land verändert. Versuchten sie vorher, Druck auf die Unternehmer und den Staat auszuüben, um Zugeständnisse für die Arbeiter zu erreichen, üben sie jetzt Druck auf die Arbeiter aus, damit sie Zugeständnisse an die Unternehmer machen, um Kapital anzulocken."

In Marikana sind die Gewerkschaften noch weitergegangen. Sie üben nicht mehr nur Druck auf die Arbeiter aus, sondern unterdrücken sie mit Gewalt. Wenn die Umstände es erfordern, werden sie in Europa oder den Vereinigten Staaten in gleicher Weise vorgehen.

Dem Versuch von Arbeitern, aus diesen Institutionen auszubrechen, begegnet nicht nur die Wirtschaftselite mit Empörung, sondern auch kleinbürgerliche Organisationen, die sich als „links“ oder gar sozialistisch gebärden.

Typisch ist ein Artikel über das südafrikanische Massaker, der am 21. August von der International Socialist Organisation (ISO) in den USA nach viertägigem Schweigen veröffentlicht wurde. Erst heuchelt sie Sympathie mit den Arbeitern und kritisiert die NUM, aber dann macht die ISO klar, dass sie völlig dagegen ist, den Würgegriff dieser Institution über die Arbeiter zu brechen. Die ISO greift sogar den gewerkschaftlichen Rivalen der NUM, die militantere Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), von rechts an.

„Ohne Zweifel sind die Bergbaubosse entzückt über die scharfen Konflikte zwischen unterschiedlichen Flügeln der südafrikanischen Arbeiterbewegung”, schreibt die ISO. „Und zuweilen lassen sich die AMCU-Führer zu Manövern verleiten, welche die Spaltungen verschärfen, auf die die Minenbosse hoffen.“

Tatsächlich sind die Bergbaukonzerne nicht “entzückt” über “scharfe Differenzen” zwischen den Gewerkschaften, sondern sie fürchten, dass ihre Verbündeten in der NUM die Kontrolle über die Arbeiter verlieren könnten. Die ISO macht klar, dass auch sie entschlossen ist, „Spaltungen“ zu verhindern, d.h. jede Opposition der Arbeiter gegen die NUM zu unterdrücken.

Ein aus dem südafrikanischen Journal Amandla! übernommener Artikel auf der Website der ISO verurteilt die AMCU, weil sie „unrealistische Forderungen“ erhebe und „die Gewalt ihrer Mitglieder nicht verurteilt“. Das bedeutet, die Arbeiter sind offenbar selbst an ihrem Tod schuld, weil sie die Stirn haben, einen anständigen Lohn zu verlangen.

Amandla! hat enge Beziehungen zu der Demokratischen Linksfront Südafrikas. Sie schreibt an anderer Stelle, es sei „die Rolle der Gewerkschaften, den Arbeitern die Entscheidung nach Beendigung der Tarifverhandlung zu erklären“. Und von den Arbeitern wird erwartet, diese Entscheidung ohne Widerrede zu schlucken.

Die ISO und ihre internationalen Gesinnungsgenossen sprechen für privilegierte, selbstzufriedene und reaktionäre Teile der oberen Mittelschicht. Ihnen bieten die Gewerkschaften potentiell lukrative Karrieren, wie auch einen Mechanismus, die organisatorische und politische Kontrolle über die Arbeiterklasse zu halten und im gleichen Atemzug jeden Kampf gegen den Kapitalismus zu verhindern.

Aber unabhängig von den Wünschen und Hoffnungen der Gewerkschaftsführer treibt die objektive Krise Millionen auf einen anderen Weg, nämlich zum Aufbau neuer Kampforganisationen und zu sozialistischer Politik. Die blutigen Ereignisse in Südafrika haben die Klassenlinien offen gelegt. Sie müssen zu einer strategischen Erfahrung der gesamten internationalen Arbeiterklasse werden.

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