Perspektive

Sieben Tage in Chicago: Was der Lehrerstreik zeigt

Der Lehrerstreik von Chicago, der am Montag in die zweite Woche ging, hat die soziale und politische Dynamik der Vereinigten Staaten bloßgelegt.

Seit dem Streikbeginn sind die Lehrer mit der erbitterten Feindschaft des gesamten Politik- und Medien-Establishments konfrontiert. Während sie versuchen, die staatliche Schulbildung zu verteidigen, werden sie wie deren Sklaven behandelt. So schrieb die Chicago Tribune, die Lehrer versuchten, den „Lauf der Geschichte“ aufzuhalten, womit sie die Politik der herrschenden Klasse meinte, die jede soziale Errungenschaft, welche die arbeitende Bevölkerung seit Generationen erkämpft hat, zerstören will.

Demokraten wie Republikaner streichen seit Jahrzehnten die Finanzen für die staatlichen Schulen zusammen und verfolgen eine Politik, welche die Armut massiv steigert. Sie sind sich darin einig, dass die Lehrer die ganze Verantwortung tragen müssen, dezimieren diese durch Einführung von Nasenprämien und treiben die Privatisierung der Bildung voran.

Der Streik in Chicago ist ein Testlauf dafür, ob sich die reaktionäre Schul-„Reform“ der Obama-Regierung durchsetzen lässt. Nicht zufällig findet der Streik in Chicago statt, der Hochburg der Demokratischen Parteimaschinerie, die Obama ins Weiße Haus befördert hat. Hier sind die Lehrer mit Bürgermeister Rahm Emanuel konfrontiert, Obamas früherem Stabschef und aktuellem Leiter der Spendenkampagne für Obamas Wiederwahl.

Am Sonntag lehnte eine Delegiertenversammlung der Lehrer einen Vorschlag der Gewerkschaft Chicago Teachers Union (CTU) ab, der das Streikende unter Bedingungen bedeutet hätte, dass sämtliche Forderungen von Bürgermeister Emanuel erfüllt worden wären. Die Lehrer ließen sich nicht zwingen, diesen Ausverkauf zu akzeptieren.

Bürgermeister Emanuel, der als Investment-Banker in nur zweieinhalb Jahren sechzehn Millionen Dollar einsackte, nachdem er 1998 aus Clintons Weißem Haus ausgeschieden war, ist empört, dass die Delegierten darauf bestehen, dass sie und ihre Mitgliedschaft mindestens die genauen Bedingungen eines Abkommens kennen müssen, ehe sie den Streik abbrechen.

Emanuels Reaktion darauf besteht in seinem Versuch, die Lehrer jetzt per Gerichtsentscheid zurück an die Arbeit zu zwingen. Er behauptet, der Streik sei „illegal“ und stelle „eine klare und präsente Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit“ dar. Dies von einem Bürgermeister, der gerade dabei ist, die staatliche Schulbildung in Chicago zu demontieren, und der damit die große Mehrheit der Kinder zu einer Zukunft in Armut, überfüllten Klassenräumen, heruntergekommenen Schulen und Arbeitslosigkeit verurteilt.

Eine gerichtliche Anhörung wurde auf Mittwoch verschoben. Wenn die Lehrer am Dienstag nicht kapitulieren und an der nächsten Delegiertenversammlung nicht „richtig“ abstimmen, dann wird die gerichtliche Verfügung beantragt und die Lehrer mit massiven Geldstrafen, Entlassungen und Verhaftungen bedroht.

Dies erinnert stark an die Entlassung der PATCO-Fluglotsen unter Reagan. Die herrschende Klasse blickt in Chicago auf eine lange Geschichte zurück, in der sie auf den Klassenkampf mit eiserner Faust reagiert hat. Dies ist die Stadt, in der die vier Führer des Kampfs für den Achtstundentag, die Märtyrer vom Haymarket, 1887 an den Galgen gebracht, und 1937 zwölf streikende Stahlarbeiter niedergeschossen wurden, und in der die Polizei 1969 zwei junge Black-Panther-Bürgerrechtler (Fred Hampton und Mark Clark) kaltblütig ermordet hat.

Was die CTU betrifft, so hat sie sich als absolut unwillig und unfähig erwiesen, einen Kampf zur Verteidigung der Lehrer zu führen. Die CTU-Bürokratie, geführt von Karen Lewis und Jesse Sharkey (einem Mitglied der International Socialist Organization ISO), hatte nie die Absicht, einen ernsthaften Kampf zu führen. Die CTU rief zu diesem Streik nur auf, damit die Lehrer Dampf ablassen konnten. Die Absicht war von Anfang an, hinter verschlossenen Türen die Bedingungen des Bürgermeisters zu akzeptieren.

Unter den wachsamen Augen der kampfbereiten Lehrer (die, wie berichtet wurde, den CTU-Führern zuriefen: „Packt das bloß richtig an!“) versuchte Karen Lewis, den Verrat mit den Worten zu rechtfertigen, der Vertrag sei zwar nicht „gut“, aber „das, was wir kriegen konnten“. In Wirklichkeit hatten Sharkey und sie diesen Deal akzeptiert, damit sie nicht den Kampf gegen die Demokratische Partei, gegen Rahm Emanuel in Chicago und gegen die Obama-Regierung in Washington aufnehmen mussten.

Ungeachtet des Widerstands der Lehrer ist die CTU entschlossen, einen Ausverkauf durchzusetzen. Lewis und Sharkey akzeptieren Emanuels Versuch, eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Sie hoffen, dies werde den Lehrern zeigen, dass weiterer Widerstand zwecklos sei.

Die CTU-Politik richtet sich nicht nach den Interessen der Lehrer, sondern nach dem politischen Bündnis der Bürokratie mit der Demokratischen Partei. Sie akzeptiert und unterstützt die kapitalistischen Rahmenbedingungen. Lewis hat gesagt, alles, was die Lehrer erreichen könnten, sei durch das Haushaltsdefizit des Schuldistrikts begrenzt. Außerdem hat die CTU die Pläne der Stadt akzeptiert, über hundert Schulen zu schließen und sechzig weitere Privatschulen zuzulassen, unter der einzigen Bedingung, dass die Gewerkschaft bei der Entscheidung mit am Tisch sitzen muss und die Schließungen nicht einseitig durchgeführt werden.

Der Verlauf des Streiks hat nicht nur die Klassenbeziehungen offen gelegt, sondern auch den Mechanismus der Klassenherrschaft. Die herrschende Klasse verfügt über ein verzweigtes Netz politischer Institutionen und Organisationen, um ihre Kontrolle über die Arbeiterklasse zu bewahren und soziale Opposition zu regulieren und zu unterdrücken.

Der Gewerkschaftsapparat spielt bei dieser Unterdrückung die entscheidende Rolle. Hinter den Gewerkschaften stehen verschiedene pseudolinke Gruppen wie die ISO. Bei allen „linken“ und sogar „sozialistischen“ Phrasen, die sie machen, sprechen die ISO und ähnliche Organisationen für eine Schicht der oberen Mittelklasse, die einen unabhängigen politischen Kampf der Arbeiterklasse aus tiefstem Herzen ablehnt. Sie sind darauf erpicht, die Kontrolle der Gewerkschaften über die Arbeiterklasse zu erhalten und auf diese Weise die Arbeiterklasse der Demokratischen Partei unterzuordnen.

Der Kampf der Chicagoer Lehrer ist ein entscheidender Kampf zur Verteidigung der öffentlichen Bildung. Dieser Kampf kann gewonnen werden. Aber dafür müssen sich die Lehrer direkt an die ganze Arbeiterklasse richten. Die Lehrer haben große Unterstützung bei Arbeitern, Eltern und Jugendlichen in Chicago und im ganzen Land. Dieses Potential kann nur mobilisiert werden, wenn die Klassenfragen erklärt werden und ein Kampf gegen die Demokratische Partei und das Profitsystem organisiert wird.

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