Fischer will Diktatur der EU

In dem Maße, wie sich der Klassenkampf in Europa zuspitzt, tritt der Charakter der Europäischen Union als Instrument der herrschenden Elite immer offener zutage. Das zeigt sich auch in der Ideologie ihrer Verteidiger. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne) veröffentlichte am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung eine Kolumne, in der er offen für autoritäre Herrschaftsformen durch die EU-Institutionen eintritt.

Unter der Überschrift „Das Glück der Krise“ begrüßt er die Krise in Anlehnung an Heraklit als „Mutter aller Dinge“, die immer auch Chance „für Veränderungen“ sei, „die sonst kaum möglich sind“. „Der Zwang zur Überwindung der Krise erfordert, Dinge zu tun, die vorher kaum denkbar, geschweige denn machbar gewesen wären“, schreibt Fischer.

Damit meint er im Wesentlichen die Dominanz Deutschlands in Europa sowie die Aushebelung jedweder demokratischen Kontrolle über die Haushaltspolitik. Unter dem Druck der Krise hätten sich die Euroländer als Vorhut der EU und unter diesen Deutschland als „Führungsmacht in der EU“ erwiesen. Diese Avantgarde habe zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die zur Aufgabe nationaler Souveränität und einer europäischen Wirtschaftsregierung geführt hätten.

Diese Entwicklung begrüßt Fischer ausdrücklich als Schritt hin zu einer politischen Union. Die Bundesregierung fordert er auf, sie in ihrer Führungsrolle voranzutreiben. Das bedeutet vor allem, den einzelnen Ländern der Eurogruppe brutale Sparmaßnahmen zu diktieren, wie dies in Griechenland, Portugal oder Irland bereits der Fall ist.

Insbesondere hier sieht Fischer die Chance, die in der Krise liegt: er will die EU-Bürokratie stärken, um den massiven Widerstand der Bevölkerung zu brechen und griechische Verhältnisse in ganz Europa zu schaffen. Dazu sollen die nationalen Parlamente seinem Plan zufolge ihre Entscheidungsbefugnisse, vor allem das Budgetrecht, an eine zweite Kammer des Europäischen Parlaments abgeben.

Als erster Schritt will Fischer das Haushaltsdiktat der EU über zwischenstaatliche Verträge durchsetzen. Auf diese Weise will er jedwede demokratische Kontrolle aushebeln. Denn Änderungen an den EU-Verträgen würden Volksabstimmungen erfordern, die „gewiss zur Abrechnung mit der Krisenpolitik der nationalen Regierungen werden, und dies kann keine Regierung wollen, solange sie noch bei Verstand ist“, schreibt er.

Diese Worte lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Die Chance, die sich für Fischer aus der Krise ergibt, besteht darin, die Haushaltspolitik von jeder demokratischen Kontrolle zu befreien und auf diese Weise die brutalsten sozialen Angriffe gegen die europäischen Arbeiter durchzusetzen. Wer unter diesen Bedingungen noch an Demokratie denkt, ist nicht mehr „bei Verstand“.

Fischer fordert nichts anderes, als das unmittelbare Diktat der – insbesondere deutschen – Finanzelite über die nationale Haushaltspolitik der Eurostaaten. Seine Ausführungen über das „Glück der Krise“ und die „politische Integration“ sollen dazu dienen, gehobene Mittelschichten für dieses reaktionäre Programm zu gewinnen. Konkrete Pläne für dessen Umsetzung liegen längst in den Brüsseler Schubladen.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat für den Mitte Oktober geplanten EU-Gipfel ein Papier vorbereitet, das die EU in die Lage versetzen soll, künftig nicht nur jenen Staaten den Umbau der Arbeitsmärkte und Sozialsysteme vorzuschreiben, die um Hilfskredite bitten, sondern allen Mitgliedern der Euro-Gruppe. Die Reformdiktate sollen länderspezifisch angepasst und von der demokratisch kaum legitimierten Europäischen Kommission festgelegt werden.

Die EU-Bürokraten könnte auf diese Weise direkt die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten bestimmen und damit die nationalen Parlamente und jede demokratische Kontrolle aushebeln. Spardiktate, wie sie bisher vor allem Griechenland, Portugal oder Irland verordnet wurden, sollen auf den gesamten Euroraum ausgedehnt werden, ohne dass die Bevölkerung irgendeinen Einfluss auf die Gesetzgebung hätte.

Dass Fischer als ehemaliger Außenminister diese diktatorischen Maßnahmen nicht nur gutheißt, sondern als „Glück“ bezeichnet, hat objektive Ursachen im undemokratischen Charakter der EU.

Als Fischer im Mai 2000 an der Humboldt Universität zu Berlin seine viel beachtete Rede über „die Finalität der europäischen Integration“ hielt, sprach er sich bereits für eine politische Integration der EU unter deutscher Führung aus. Damals schmückte er seine Ausführungen allerdings noch mit humanistischen Phrasen und bezeichnete die EU als Bastion der Demokratie.

Zwölf Jahre später ist davon nichts übrig geblieben. Fischers Rhetorik hat sich dem tatsächlichen Wesen der EU angenähert, das spätestens seit der Finanzkrise von 2008 immer offener zutage tritt.

Als Bollwerk gegen die Sowjetunion und die Errungenschaften der Oktoberrevolution hatten die Vorläufer der EU bereits äußerst reaktionäre Wurzeln. Die Propaganda einer humanen Vereinigung Europas und der Überwindung der nationalen Gegensätze auf kapitalistischer Grundlage war von Anbeginn ein Mythos.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde dann die EU mit dem Ziel gegründet, dem europäischen Kapital eine stärkere Position auf dem Weltmarkt zu verschaffen und es in die Lage zu versetzen, den USA entgegenzutreten. Dadurch wuchsen aber nicht nur die nationalen Spannungen innerhalb der EU, sondern verschärfte sich vor allem der Kampf gegen die europäischen Arbeiter.

Die EU wurde zum Hauptinstrument der herrschenden Elite, die soziale Konterrevolution in Europa durchzusetzen. Was in Osteuropa in den 1990er Jahren mit der Zerschlagung der Sozialsysteme, der Privatisierung der Staatsbetriebe und Lohnkürzungen begonnen hatte, wurde in den letzten Jahren auf ganz Europa ausgeweitet. Die EU-Institutionen sind dabei das ausführende Organ der Finanzelite.

Raubzüge, wie sie in den südlichen Ländern stattfinden und für ganz Europa geplant sind, lassen sich nicht mit Demokratie vereinbaren. Auf Druck der EU wurden in Italien und Griechenland bereits gewählte Regierungen ausgewechselt und durch Technokraten-Statthalter ersetzt. In Griechenland arbeitet die Regierung offen mit den Faschisten zusammen, um an den dort lebenden Migranten ein brutales Exempel zu statuieren. Streiks und Demonstrationen werden von der Polizei aufgelöst und unterdrückt.

Als Sprecher der deutschen Elite will Fischer diese Entwicklung vorantreiben und ideologisch unterfüttern. Er appelliert dabei ganz bewusst an die gehobenen Mittelschichten, die in seiner Partei der Grünen ihre Vertretung haben. Schon als Außenminister bestand eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, diese Schichten für den deutschen Militarismus und den sozialen Kahlschlag der Regierung Schröder zu gewinnen.

Er stützt sich dabei auf die antidemokratischen Traditionen, in denen er selbst steht und die in diesem Milieu weit verbreitet sind. Schon zu Zeiten, als Joschka Fischer bei den Frankfurter Spontis aktiv war und für deren Organ Pflasterstrand schrieb, zeichnete er sich ebenso wie seine Mitstreiter durch Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse aus, die er als verdummt und konsumorientiert verunglimpfte. Heute nutzt er diese Ideologie, um die Diktatur der EU zu rechtfertigen. Schon 2008 hatte Fischer in der Zeit Forderungen, das Volk über Europafragen entscheiden zu lassen, als „opportunistisch“ und „feige“ bezeichnet.

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