SAV unterstützt Ausverkauf des Lehrerstreiks in Chicago

Die Sozialistische Alternative (SAV), die deutsche Gruppierung des CWI (Committee for a Workers` International), hat am 3. Oktober einen Kommentar über den Streik der Lehrer in Chicago veröffentlicht.

Der Artikel entlarvt die SAV einmal mehr als Organisation, die auf der Seite der Finanzelite und der Gewerkschaften steht und für die Interessen der Arbeiter nur Verachtung übrig hat. Der Artikel, verfasst vom führenden SAV-Mitglied Eckhard Geitz, singt ein Loblied auf die Chicago Teachers Union (CTU), die den Streik der Lehrer in eine Niederlage geführt hat.

Die CTU unter der Führung von Karen Lewis und Jesse Sharkey (einem Mitglied der pseudo-linken International Socialist Organization, ISO) war zu keinem Zeitpunkt gewillt, einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Bildung zu organisieren. Sie rief lediglich zum Streik auf, um die Wut der Lehrer kontrollieren zu können. Ihr Ziel war von Anfang an, hinter verschlossenen Türen die Bedingungen des Demokratischen Bürgermeisters von Chicago und engen Vertrauten von US-Präsident Barack Obama, Rahm Emanuel, zu akzeptieren und einen Ausverkauf zu organisieren.

Um die Gewerkschaft in einem einigermaßen guten Licht darzustellen, ist die SAV gezwungen mit Lügen und Verdrehungen zu arbeiten. Sie behauptet, dass “der Streik von CTU Local 1 von der allerersten Minute an ein Erfolg“ war und dass die Gewerkschaft einen „Streik geführt hat, der politisch war und gegen die gesamte Macht von Corporate America aufbegehrte“.

In Wirklichkeit war jedoch genau das Gegenteil der Fall. Nicht die CTU, sondern die streikenden Lehrer begehrten gegen Corporate America auf. Der Streik endete in einer Niederlage, weil er unter der Kontrolle der CTU blieb, die selbst Teil von „Corporate America“ ist.

Im September hatten mehr als 25.000 Chicagoer Lehrer neun Tage lang gestreikt, um das öffentliche Bildungswesen zu verteidigen. Der Streik fand vor dem Hintergrund eines Anstiegs des Klassenkampfs in den USA und weltweit statt und hat die Klassenlinien in der amerikanischen Gesellschaft deutlich offen gelegt.

Auf der einen Seite standen die Lehrer, die für bessere Lern- und Lehrbedingungen an den Schulen und ein Ende der Privatisierungspolitik in der Bildung streikten, auf der anderen Seite Rahm Emanuel und die Obama-Administration, die Republikanische und die Demokratische Partei, die Lehrergewerkschaft CTU und pseudo-linke Gruppierungen wie die ISO. All diese Kräfte arbeiteten eng zusammen, um den Streik der Lehrer möglichst schnell zu beenden.

Entgegen der Behauptung der SAV bedeutet der von der CTU ausgehandelte Vertrag eine Niederlage. Er beinhaltet zahlreiche Zugeständnisse und öffnet Tür und Tor für einen umfassenden Angriff auf die öffentliche Bildung. Er erlaubt die Ausweitung der Bewertung der Lehrer durch sogenannte standardisierte Tests, die vor allem darauf abzielen, besser verdienende ältere Lehrer zu entlassen und sie durch geringer verdienende jüngere zu ersetzen.

Der Vertrag gibt Schuldirektoren mehr Befugnisse, Lehrer nach Belieben einzustellen und zu feuern. Er erleichtert die von der Chicagoer Stadtverwaltung geplante Schließung von 120 öffentlichen Schulen und deren Ersetzung durch so genannte Charter Schulen, die von privaten Unternehmen geführt werden.

Der Vertrag ist so miserabel, dass selbst Geitz zugeben muss, dass „die CTU sich nicht in allen Punkten durchsetzten“ konnte. Er erwähnt beispielsweise, dass es Verschlechterungen „im Bereich Kündigungsschutz“ gibt. Dies hält ihn jedoch nicht davon ab, den Vertrag als „Erfolg“ zu bezeichnen.

Die zentrale Rolle beim Ausverkauf des Streiks spielten die CTU und Vertreter der ISO, die in der Gewerkschaftsführung aktiv sind. Von Anfang an taten sie alles, um einen politischen Kampf gegen Emanuel und die Obama-Regierung zu verhindern, die hinter den Angriffen auf die Bildung stehen. Obamas Bildungsminister Arne Duncan hat ein Reformprogramm „Race to the Top“ entwickelt, das auf Kürzungen im Bildungsbereich und die Privatisierung der Bildung abzielt.

Der Streik der Lehrer gegen die geplanten Privatisierungen warf die Frage nach einem politischen Kampf gegen Bürgermeister Emanuel und die Obama-Administration auf. Er erforderte die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen Programms. Nur so war und ist das Ziel zu erreichen, die Bildung den Profitinteressen einer schmalen Finanzaristokratie zu entziehen und an den Bedürfnissen der Lernenden und der Lehrer auszurichten.

Eine solche Perspektive lehnen die CTU und die ISO jedoch strikt ab. Sie haben enge Verbindungen zur Demokratischen Partei und fürchteten nichts mehr als eine Ausweitung des Streiks und einen politischen Kampf gegen die Obama-Administration kurz vor den Präsidentschaftswahlen.

In Wirklichkeit unterstützt die Gewerkschaft das Programm Obamas und Kürzungen im Bildungsbereich. Die Mutterorganisation der CTU, die American Teachers Federation (AFT), hat zur Wiederwahl Obamas aufgerufen, und die CTU-Präsidentin Karen Lewis hat geäußert, sie habe „Verständnis für die ganze Entwicklung, Schulen zu schließen und dies aggressiv zu tun“. Ihr einziger Wunsch sei, dies „gemeinsam und auf verantwortliche Weise zu machen“.

Die SAV fühlt sich instinktiv dazu berufen, die CTU zu verherrlichen und den Ausverkauf zu verschleiern, da sie selbst die gleichen sozialen Interessen wie diese vertritt. Wie die CTU und die ISO spricht auch die SAV nicht für die Arbeiter, sondern für relativ wohlhabende Mittelschichten, deren soziale Interessen direkt mit den Angriffen auf die Arbeiterklasse verbunden sind.

Mitglieder der SAV bekleiden führende Funktionen in den Gewerkschaften und spielen eine wichtige Rolle dabei, Streiks zu unterdrücken und Angriffe gegen die Arbeiter durchzusetzen. Die SAV ist Teil der Linkspartei, die in Berlin zehn Jahre lang gemeinsam mit der SPD im sogenannten rot-roten Senat regiert und beispiellose Kürzungen durchgesetzt hat. Im letzten Jahr war sie federführend beim Ausverkauf des Streiks beim Charité-Facility Management (CFM) am Berliner Klinikum Charité.

Die SAV-Mitglieder, die in der Streikleitung aktiv waren, sorgten dafür, dass die Gewerkschaft ver.di die Kontrolle nicht verlor. Sie halfen, die Belegschaft zu spalten und den Streik schlussendlich abzubrechen. (Siehe „SAV verteidigt Ausverkauf bei der Berliner Charité“). Seither versucht die SAV, den Tarifabschluss schönzureden, obwohl er Niedriglöhne zementiert, eine tarifliche Friedenspflicht von fünf Jahren festgelegt und die Privatisierung weiterer Bereiche an der Charité ermöglicht hat.

Erst am 5. Oktober veröffentlichte der Führer der SAV, Sascha Stanicic, einen Artikel, in dem er den Abbruch und Ausverkauf des Streiks an der Charité erneut rechtfertigt. Darin wird deutlich, welche Furcht die SAV treibt. Stanicic beschwert sich, die Beschäftigten würden „die größere gesellschaftliche Bedeutung des betrieblichen und gewerkschaftlichen Engagements“ nicht erkennen oder hätten keine Hoffnung, „dass sich dieses lohnt“. Deshalb müsse „durch gewerkschaftliche Kleinarbeit … das Vertrauen der KollegInnen in die Gewerkschaft und in ihre eigene Kampffähigkeit wieder hergestellt“ werden.

Mit anderen Worten: mit der Verschärfung der Klassenkampf verlieren Arbeiter zunehmend ihre Illusionen in die Gewerkschaften und deren pseudo-linken Funktionäre und betrachten sie als ihre Gegner. Darüber macht sich die SAV Sorgen. Sie versucht zu verhindern, dass sich die Arbeiter radikalisieren und unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, und bemüht sich, die Autorität der Gewerkschaftsbürokratie wieder herzustellen.

Die Verteidigung des Ausverkaufs des Chicagoer Lehrerstreiks durch die SAV muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. In Chicago waren die CTU und die ISO kurz davor, die Kontrolle über die Lehrer zu verlieren. Der erste Versuch der Gewerkschaft, den Streik zu beenden und den Vertrag durchzuwinken, scheiterte am Widerstand einer Delegiertenversammlung, die gegen den Vertrag stimmte. Erst als Bürgermeister Emanuel drohte, die Lehrer per Gerichtsentscheid zurück an die Schulen zu zwingen, war es der Gewerkschaft möglich, das notwendige Quorum für die Beendigung des Streiks zu bekommen.

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