Resolution des Parteitags der SEP (Großbritannien): „Verteidigt Julian Assange und WikiLeaks“

Wir veröffentlichen hier die 3. Resolution des 1. Parteitags der SEP (GB) vom 17. bis 19. November 2012. Sie wurde einstimmig angenommen.

 

1. Die Socialist Equality Party spricht WikiLeaks und ihrem Gründer Julian Assange Respekt für ihren mutigen Kampf aus und fordert ein Ende ihrer Verfolgung. Assange und WikiLeaks sind Opfer einer internationalen Verschwörung, in der die britische Regierung eine führende Rolle spielt. Ziel dieser Verschwörung ist es, alle einzuschüchtern und ruhigzustellen, die versuchen, die Wand aus offiziellen Lügen zu durchbrechen, hinter denen sich Kriegsverbrechen und Verschwörungen gegen die Völker der Welt verbergen. Wir erklären, dass die Verteidigung von Assange und WikiLeaks die Speerspitze einer Kampagne zur Verteidigung demokratischer Rechte sein muss.

2. Assange ist Opfer eines abgekarteten Spiels der schwedischen Behörden und Washingtons. Die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn wurden von zwei Frauen erhoben, die ihn mehrfach im Laufe mehrerer Tage besucht und sich zum Sex mit ihm bereit erklärt haben, auch nach den angeblichen Vorfällen, wegen denen sie ihn anzeigten. Die Frauen waren ursprünglich zur Polizei gegangen, nachdem sie miteinander beraten hatten, um darauf zu bestehen, dass Assange einen HIV-Test machen lässt. Sie sprachen nicht von Vergewaltigung. Anfangs gab es keine Ermittlungen und keinen Haftbefehl gegen Assange, da die Staatsanwaltschaft, keinen Grund sah, ihn der Vergewaltigung zu verdächtigen. Erst nachdem sich die schwedische Generalstaatsanwältin Marianne Ny am 1. September 2010 eingeschaltet hatte, wurde ein Haftbefehl erlassen, angeblich um Assange zu dem Vorfall zu befragen.

3. Bis heute wurde keine Anklage gegen Assange erhoben. Der Haftbefehl dient nur als Scheinlegitimierung, um ihn nach Schweden zu holen, damit er danach in die USA überstellt werden kann. Die Obama-Regierung hat dort bereits im Dezember 2010 einen Geheimprozess einer Grand Jury wegen Verrats vorbereitet. Die australische Labour-Regierung hat dabei mit den USA gegen einen ihrer eigenen Staatsbürger zusammengearbeitet.

4. Aufgrund des Vorgehens der britischen Regierung und Justiz hat Assange fast zwei Jahre im Gefängnis oder unter Hausarrest verbracht. Er hat sich gegen seine Auslieferung gewehrt, aber alle Berufungen bis zum Obersten Gerichtshof wurden abgewiesen. Er wäre bereits ausgeliefert worden, wenn ihm nicht am 19. Juni 2012 die ecuadorianische Botschaft in London diplomatisches Asyl gewährt hätte. Die schwedischen Behörden lehnten das Angebot ab, Assange auf dem Botschaftsgelände zu befragen. Damit haben sie bewiesen, dass sie nicht vorhaben, wegen sexuellem Missbrauch gegen ihn zu ermitteln, sondern ihn an die USA auszuliefern.

5. Assange ist weiterhin unmittelbar in Gefahr. Großbritanniens Verachtung für grundlegende demokratische Prinzipien und seine nackte imperialistische Arroganz zeigten sich in dem Versuch der Koalitionsregierung unter konservativer Führung, der ecuadorianischen Botschaft die Anerkennung zu entziehen, die Polizei das Gelände stürmen und Assange verhaften zu lassen. Außenminister William Hague erklärte offen: „Großbritannien erkennt das Prinzip des diplomatischen Asyls nicht an.“

6. Die britische Regierung ist der Führung von Angriffskriegen in Afghanistan, Irak und Libyen schuldig; sie führt einen verdeckten Krieg gegen Syrien, plant einen Krieg gegen den Iran und führt gezielte Tötungen, Überstellungen und Folter durch; genauso wenig hat sie Hemmungen, grundlegende völkerrechtliche Vorschriften zu missachten. Vizepräsident Joseph Biden bezeichnete Assange als „Hightech-Terroristen“, in geheimen Dokumenten der US-Air Force werden WikiLeaks und Assange als „der Feind“ bezeichnet und auf eine Stufe mit Al Qaida gestellt. Die Internetdomains von WikiLeaks wurden geschlossen, und mehrere amerikanische Konzerne haben den Geldverkehr der Organisation blockiert.

7. Das Schicksal des angeblichen Whistleblowers Bradley Manning zeigt, dass Assange als „Feind“ zeitlich unbegrenzte Haft ohne Prozess und gemäß dem Spionagegesetz von 1917 sogar die Todesstrafe droht. Mannings angebliches Verbrechen ist es, vertrauliche Dokumente weitergegeben zu haben, die Kriegsverbrechen des US-Imperialismus beweisen. Dafür sitzt er seit mehr als zwei Jahren in einem Militärgefängnis, in dem er misshandelt und menschenunwürdig behandelt wird.

8. Mit geheuchelter moralischer Entrüstung über Assanges persönliches Verhalten, die im wesentlichen auf unbewiesenen Vorwürfen beruht, werden alle, die seine demokratischen Rechte verteidigen, als „Verteidiger eines Vergewaltigers“ verunglimpft. Die liberalen Medien sind sich einig, dass die Vorwürfe gegen Assange für bare Münze genommen werden müssen, weil sonst die Integrität aller Opfer sexuellen Missbrauchs in Frage gestellt würde. Im Gegensatz dazu wird Assanges begründete Angst vor politischer Verfolgung und seine Sorge um seine eigene Integrität als Selbstbeweihräucherung abgetan.

9. Dass es in den Kreisen der herrschenden Elite kein Interesse an der Verteidigung demokratischer Grundrechte gibt, zeigt sich daran, dass die amerikanischen, britischen und schwedischen Behörden sich darauf verlassen konnten, dass sogenannte Liberale und Pseudolinke ihren Kampf gegen Assange unterstützten. Der Guardian, der sich das Recht gesichert hat, WikiLeaks-Dokumente, die amerikanische Kriegsverbrechen dokumentieren, selektiv zu veröffentlichen und zu redigieren, stellte sich gegen Assange und nahm in der Rufmordkampagne gegen ihn die Führungsrolle ein. Die National Union of Students, die von Labour kontrolliert wird, verbot dem Abgeordneten George Galloway von der Partei Respect, auf ihren Veranstaltungen zu sprechen und verunglimpfte ihn als „Vergewaltigungsleugner,“ weil er die „Meinungsdiktatur“ kritisiert hatte, die um die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs errichtet wurde, um Assange zu verteufeln. Die NUS verhängte ein umfassendes Verbot gegen jeden, der Assange verteidigt. Das ist ein offener Angriff auf die Meinungsfreiheit. Die Rechtfertigung dafür ist, dass sie „Rednern, die Vergewaltigung leugnen oder verteidigen oder Veranstaltungen unterstützen, auf denen solche Personen sprechen“, kein Forum bieten wollen.

10. Großbritanniens Pseudolinke wiederholen die Propaganda der liberalen Medien, die Missbrauchsvorwürfe hätten nichts mit den Versuchen der USA, Großbritanniens und Schwedens zu tun, Assange zum Schweigen zu bringen und WikiLeaks zu zerstören. Die Socialist Workers Party und die Socialist Party weigerten sich mehr als ein Jahr lang, Assange zu verteidigen. Als sie endlich ihr Schweigen brachen, erklärte die SWP nur, er müsse „sich dem Vorwurf der Vergewaltigung stellen“, die SP erklärte, die Vorwürfe gegen ihn sollten „gründlich untersucht“ und ernst genommen werden.

11. Genauso wie diese Schichten aus fadenscheinigen humanitären Erwägungen imperialistische Kriege unterstützen, nutzen sie Lippenbekenntnisse zum Feminismus als ideologische Rechtfertigung für einen Angriff auf grundlegende rechtliche Prinzipien wie die Unschuldsvermutung. Trotz der bedeutungslosen Versprechungen der schwedischen Behörden, Assange werde nicht an die USA ausgeliefert, kommen die Zweideutigkeiten der Pseudolinken einer Forderung nach der Auslieferung des WikiLeaks-Gründers gleich. Beide Organisationen haben lange Zeit die Kampagne unterstützt, durch die Assange als Sexverbrecher gebrandmarkt wurde, aber sie genierten sich Anfangs, das offen zuzugeben. Genauso wie diese Organisationen offen die imperialistische Intervention in Libyen unterstützt haben und für Syrien fordern, unterstützen sie auch die Versuche, die Enthüllung westlicher Kriegsverbrechen durch WikiLeaks zu beenden.

12. Die Hetzkampagne gegen Assange war ein Armutszeugnis für Identitätspolitik auf der Grundlage von Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Vorliebe. Sie wurde lange Zeit als progressive Alternative zu der angeblich primitiven klassenbasierten Politik des Sozialismus dargestellt, doch jetzt haben die Ereignisse gezeigt, dass die Fixierung auf Lebensstil-Politik im Grunde rechte Politik ist. Sie wurde zum wichtigsten Mechanismus einer privilegierten und selbstzufriedenen Schicht von Kleinbürgern, die sich in die Strukturen der offiziellen bürgerlichen Politik integrieren konnte.

13. Die kleinbürgerlichen Gruppen stehen der weitergehenden Bedeutung der Hetzjagd auf Assange gleichgültig gegenüber. Sie haben kein einziges Mal die grundlegende Verbindung zwischen der angedrohten Auslieferung und den undemokratischen Prozeduren hergestellt, von denen heute das Schicksal so vieler anderer abhängt. Der Europäische Haftbefehl ist nur ein Beispiel dafür, wie Menschen nur auf der Grundlage eines „Verdachts“ krimineller Aktivität nach Belieben ausgeliefert werden können. Er gehört zu einer Reihe undemokratischer Gesetze, die unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen den Terror“ erlassen wurden. Sie haben das rechtliche Grundgerüst für einen Polizeistaat geschaffen. Dazu gehören Inhaftierung ohne Prozess – wie im Fall von Babar Ahmad, der vor seiner Auslieferung in die USA acht Jahre gefangen gehalten wurde – und die Tötungspolitik der Londoner Polizei, die zur brutalen Ermordung von Jean Charles de Menezes durch einen Zivilpolizisten führte.

14. Assanges Schicksal steht in starkem Kontrast zu der rücksichtsvollen Behandlung, die dem chilenischen Diktator, Faschisten und Massenmörder General Augusto Pinochet zuteil wurde. Seine Auslieferung an Spanien wurde von der früheren Labour-Regierung abgelehnt. Ab Oktober 1998 verbrachte Pinochet mehr als ein Jahr in Großbritannien, wo er im Luxus lebte, bevor er aus Gesundheitsgründen wieder nach Chile zurückkehren durfte.

15. Die politischen Vertreter der Finanzoligarchie werden von dem weltweiten Zusammenbruch des Kapitalismus zu immer dreisteren kriminellen Taten angetrieben, um zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist: ein System, das Milliarden in Armut und brutale Unterdrückung stürzt, damit ein paar wenige in beispiellosem und sogar obszönem Luxus leben können. In der unmittelbaren Zukunft werden die Polizeistaatsmethoden, mit denen Assange verfolgt wird, gegen die Massen der arbeitenden Bevölkerung eingesetzt werden, wenn sie beginnen, gegen Sparpolitik und Kriegstreiberei zu kämpfen.

16. Die Verteidigung von Assange, Manning, WikiLeaks und demokratischer Rechte generell, kann in den ausgehöhlten Institutionen des britischen Parlamentes oder durch Appelle an die herrschenden Mächte keinen Erfolg haben. Sie erfordert die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen Programms für die Abschaffung des Profitsystems. Nur durch Bildung einer Arbeiterregierung, die Umgestaltung der Gesellschaft entsprechend den menschlichen Bedürfnissen statt privatem Profitstreben und der Einführung echter Demokratie in allen Aspekten des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens, können bürgerliche Freiheiten geschützt und die Gefahr von Krieg und Reaktion gebannt werden.

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