Brandenburger Lehrer schildern unhaltbare Zustände

Einen Tag vor der dritten Runde der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder riefen die beteiligten Gewerkschaften am 6. März einige Beschäftigtengruppen zu Arbeitsniederlegungen und Kundgebungen auf.

Der Kundgebungsplatz

Am Verhandlungsort in Potsdam zogen rund 10.000 Teilnehmer durch die Innenstadt. Auch in Berlin gab es Arbeitsniederlegungen und eine Kundgebung, die Proteste in den beiden benachbarten Städten wurden aber strikt getrennt gehalten, wie überhaupt der ganze Aktionstag lediglich dazu diente, den Anschein eines Kampfs zu erwecken, während die Gewerkschaften einen Ausverkauf vorbereiten.

In Brandenburg wurden diverse Ämter, Behörden und Ministerien in den Streik einbezogen. Für die 3.000 Beschäftigten des Brandenburger Nahverkehrs hatte ver.di bereits Mitte Februar einen Tarifabschluss unterzeichnet und damit diesen besonders kampffähigen Teil der Beschäftigten abgespalten.

Verhandlungspartner der Tarifgemeinschaft der Länder sind neben ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft), die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), die GdP (Gewerkschaft der Polizei), und der dbb (Deutscher Beamtenbund). Verhandlungsführer der Länder ist Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD).

Ein Reporterteam der WSWS sprach mit einigen Demonstrationsteilnehmern. Da viele Lehrer unter ihnen waren, richtete sich ihr Zorn in erster Linie gegen Bildungsministerin Martina Münch (SPD). Die SPD regiert Brandenburg in einer Koalition mit der Linken, die die Schlüsselministerien Finanzen und Wirtschaft besetzt.

Die Schilderungen der Lehrer machten deutlich, dass die rot-rote Regierung mit ihrer Kürzungspolitik unhaltbare Zustände an den Schulen schafft.

Annett, Kerstin, Janett und Katrin

Eine Gruppe von Grundschullehrerinnen aus Bernau bei Berlin beklagte vor allem den wachsenden bürokratischen Aufwand. Anstatt sich um die Kinder kümmern zu können, würden sie von den Behörden mit ständig neuen Auflagen der Protokollierung, Berichterstattung und Dokumentation drangsaliert. Dies diene angeblich der Qualitätssicherung, koste sie aber wertvolle Zeit, die sie lieber für die Kinder aufwenden würden. Wirkliche Qualität erreiche man nicht durch bürokratische Schikanen, sondern durch eine vernünftige Ausstattung mit Räumlichkeiten, Personal und Lehrmaterial.

„Aus den Berichten soll angeblich abgeleitet werden, welche Fördermaßnahmen die Kinder brauchen. Aber gerade in Bezug auf Fördermaßnahmen ist bei uns ein großes Minus, da wir viele Kinder haben, die eine Einzelbetreuung bräuchten. Aber da werden die Lehrer dann herausgezogen für die Vertretung, damit die Vertretungsstatistik stimmt.“

„Wichtig wäre, dass wir Zeit haben, Materialien für die Kinder zu erstellen. Stattdessen müssen wir Aktenordner füllen und uns mit Formularen herumschlagen“, meint Janett und berichtet: „Gerade habe ich das wieder live erlebt: Da ist angeblich das tolle Bildungspaket der Bundesregierung [für Kinder von Hartz-IV-Empfängern]. Wir als Lehrer bekommen überhaupt keine Informationen, wir müssen uns das alles mühsam selber raussuchen. Letzten Endes stehen die Eltern nämlich vor uns, wir füllen die Formulare für die Ämter aus, und dann werden die von den Ämtern natürlich nicht rechtzeitig bearbeitet. Wir Lehrer sind diejenigen, die dann dem Geld hinterher telefonieren, damit die Kinder mit auf die Klassenfahrt können.“

„Früher gab es für den Klassenlehrer auch mal Abminderungsstunden, die gibt es fast gar nicht mehr. Die Abminderungsstunden für besondere Tätigkeiten wurden gekürzt. Die Lehrer haben nach wie vor 28 Stunden, aber die Zeit für Sondertätigkeiten wurde gestrichen. Das ist alles nicht mehr. Da wird immer mehr abgebaut.“

„Wir brauchen mehr Personal“, bekräftigen die Kolleginnen, und machen weiter ihrem Ärger über bürokratische Schikanen Luft: „Die ganzen Protokolle und Unterlagen, die wir erstellen müssen, werden stichprobenartig gezogen. Das geschieht, wenn die sogenannten Visitatoren kommen, die alle drei bis vier Jahre die Schulen einschätzen. Die gehen 20 Minuten in eine Unterrichtssequenz und maßen sich dann an, uns als Lehrer einzuschätzen. Die wollen dann z.B. die Protokolle von Fachkonferenzen sehen – manchmal ein völliger Schwachsinn: Wir beide waren lange Zeit an unserer Schule die einzigen beiden Bio-Lehrerinnen. Was soll da eine Fachkonferenz? Wenn wir Samstags zusammensaßen und die Unterrichtssequenzen der nächsten Wochen planten, hatten wir alles im Sinn, nur sicher kein Protokoll! Aber das wird von der Obrigkeit abgefragt, danach werden wir beurteilt.“

„Es werden jede Menge Studien von IGLU bis PISA erstellt und Leistungsvergleiche gemacht. Dann werden irgendwelche Programme ins Leben gerufen, um mit Hauruckverfahren angeblich den Unterricht zu verbessern. Anschließend kümmern sich die Verantwortlichen nicht mehr darum.“

Die vier berichten, dass die Lehrer erhebliche Summen aus eigener Tasche bezahlen, um überhaupt noch einen vernünftigen Unterricht abhalten zu können. So werden jetzt einige Schulen mit Whiteboards ausgestattet. „In den Schulen sind aber gar nicht die notwendigen Einrichtungen und Geräte vorhanden. Beispielsweise brauchen die Lehrer dafür einen Laptop. Da wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir uns den alleine kaufen. Dabei bekommt doch jede Sekretärin ihren Kugelschreiber! Wir verdienen vielleicht etwas mehr, aber wir stecken das alles wieder rein: Lehrbücher, Kopiervorlagen, Materialien, unser Etat ist zu klein für all diese Dinge. Und so ein Rechner jetzt, das ist keine kleine Investition.“

Jürgen Kunickel

Jürgen Kunickel arbeitet an einer Schule für Behinderte in Prenzlau. Auch er berichtet, es fehle an allen Ecken und Enden an Personal und Ausstattung. Auch er bezahlt Unterrichtsmaterialien aus eigener Tasche. „Wir arbeiten gern mit den Kindern“, betont er. „Aber wir müssen auch noch leben können.“

Jürgen Kunickel berichtet ebenfalls, wie angeblich fortschrittliche Projekte der Landesregierung, sei es Qualitätssicherung oder Inklusion, in ihr Gegenteil verkehrt werden, weil den Schulen die Mittel zusammengestrichen werden. Ständig sei jetzt beispielsweise von Inklusion die Rede, also von der Aufnahme behinderter Kinder in Regelklassen. Im Prinzip eine gute Idee, aber: „Dann gibt es aber kein Geld, kein zusätzliches Personal und keine entsprechenden Umbauten. Wie soll das denn gehen? Wenn ein Kind im Rollstuhl auf die Toilette muss, dann müssen die baulichen Voraussetzungen da sein. Es muss irgendjemand zur Verfügung stehen, der mitgeht. Daran haben die Herren bei ihrem Gerede über Inklusion aber offenbar gar nicht gedacht.“

Jürgen Kunickel hält die Zustände an seiner Schule für untragbar. Die einfachsten Bedürfnisse seiner Schüler, die oft aus schwierigen Verhältnissen kämen, blieben oft unerfüllt. „Beispielsweise bin ich dringend für ein kostenloses Mittagessen, wenigstens an den Behindertenschulen. Ich habe da Kinder, denen geben die Eltern kein Geld für das Mittagessen mit. Natürlich kann ich sie in der Mittagspause nicht allein lassen, ich muss ja die ganze Gruppe beaufsichtigen. Also sitzen sie mit am Tisch, bekommen aber keine Mahlzeit. Ein absolutes Unding.“

Auf die Frage, wie er die vorgeblich linke rot-rote Landesregierung einschätze, meinte er nur: „Die Linke, die kann sich meiner Meinung nach nur noch selbst abschaffen. Die machen sich selbst überflüssig.“

Ein selbstgemachtes Transparent

Unsere Reporter sprachen noch mit einer Gruppe Auszubildender, die den Beruf des Straßenwärters erlernen. Von 26 Azubis werden sechs bis sieben übernommen, erzählen sie. Zeitarbeitsverträge von einem Jahr seien üblich. Dabei fehlen in ihrem Bereich Fachkräfte. Diese Stellen werden aber, wenn es gar nicht mehr anders geht, durch externe Minijobber und Billiglöhner abgedeckt. Viele Azubis gehen nach ihrer Ausbildung nach Österreich oder in die Schweiz. Ansonsten müssten sie irgendeinen schlecht bezahlten Job annehmen. „Das betrifft alle Bereiche der Gesellschaft“, meinten sie. „Alles hat hier nur so viel Wert, wie es billig ist. Und dann wird von Fachkräftemangel geredet.“

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