Obama, Cheney und Snowdens Enthüllungen

Im November 1973, als Präsident Richard M. Nixon bis über beide Ohren im Watergate Skandal steckte, äußerte er einen Satz, der für immer im Gedächtnis bleiben sollte. Er sagte: „Ich bin kein Betrüger.“

Fast vierzig Jahre später variierte Präsident Barack Obama am Montagabend in einem Fernsehinterview das Thema, als er der amerikanischen Öffentlichkeit versicherte, er sei nicht Dick Cheney.

Mit dem Interview reagierte Obama auf die Enthüllung von Verbrechen, die wesentlich schwerer wiegen als alles, was Nixon und seine Mitverschwörer je begangen hatten. In den vergangenen zwei Wochen hat Edgar Snowden, der frühere Mitarbeiter der National Security Agency (NSA), Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht, die ein gewaltiges staatliches Überwachungsprogramm enthüllen. Es wurde hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung eingeführt und verletzt grundlegende Verfassungsrechte. Millionen Menschen in den USA und weltweit sind davon betroffen.

In dem Interview auf PBS sagte Obama: “Einige Leute erklären: Früher war Obama so ein verrückter Liberaler, aber heute ist er wie Dick Cheney“. Dick Cheney sage zuweilen, Obama sei heute ein Hundertzehnprozentiger („He took it all lock, stock and barrel.“) Aber, so Obama: „Ich war nie der Meinung, dass wir keine Aufklärung gegen Terrorismus betreiben sollten, sondern dass wir Kontrollmechanismen brauchen.“

Diese Kontrollmechanismen – ein Geheimgericht der FISA [Gesetz zur Kontrolle der Auslandsaufklärung], das jeden einzelnen Antrag der Geheimdienste genehmigt – hätten die Schnüffelprogramme „transparent“ gemacht, behauptet Obama. Das hat nur den Nachteil, dass Millionen Amerikaner darüber im Dunkeln gelassen werden, dass sie bespitzelt werden, und dass ihre Privatsphäre und Meinungsfreiheit verletzt wird durch Maßnahmen, die üblicherweise zu einem Polizeistaat gehören.

Der frühere Kandidat von “Hope” und “Change” [Hoffnung und Wandel] fürchtet heute zu Recht, dass er vielen, die für ihn gestimmt hatten, heute als Reinkarnation von Dick Cheney vorkommt. Schließlich ist das von Snowden entlarvte PRISM-Programm der Nachfolger des Terrorist Surveillance Program (TSP), das als Cheneys Baby galt. Bei PRISM arbeiten Yahoo, Google, Microsoft und andere private Informationstechnologiefirmen eng mit der NSA zusammen, um hunderte Millionen Menschen in den USA und weltweit auszuspähen. Cheneys Programm TSP zeichnete sich dadurch aus, dass es Überwachung ohne richterliche Anordnung so lange zuließ, bis ein Bundesgericht dies als verfassungswidrig und illegal kassierte.

Das TSP und andere Spionageprogramme wurden unter neuem Namen und mit dem Segen des FISA-Gerichts fortgeführt, und die Bush-Regierung reichte sie einfach an die Obama-Regierung weiter.

Snowden berichtete auch über ein NSA-Programm, das die Telefondaten jedes amerikanischen Bürgers an jedem Tag im Jahr aufzeichnet.

Nur einen Tag vor Obamas Interview trat Cheney selbst im Fernsehen auf, um seine Schöpfung zu verteidigen und Snowden zu verleumden, weil er es gewagt hatte, sie der amerikanischen Bevölkerung und der Welt zur Kenntnis zu bringen.

Auf die Frage, was er von dem 29-jährigen ehemaligen NSA-Beschäftigten halte, antwortete Cheney: “Ich halte ihn für einen Verräter. Ich denke, er hat Verbrechen begangen, weil er Verpflichtungen verletzt hat, die er mit seiner Position übernommen hatte.“ Er fügte hinzu: „Ich halte das für einen der schlimmsten Fälle im Umgang mit Geheiminformationen, an die ich mich erinnern kann. Er hat den nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten enormen Schaden zugefügt.“

Bei einer vom britischen Guardian veranstalteten Frage und Antwort Runde gab Snowden die passende Antwort. Er ging auf Cheneys Verantwortung für illegale Überwachungsaktionen und für den Irakkrieg ein. „Von Dick Cheney Verräter genannt zu werden“, sagte er, „ist die höchste Ehre, die einem Amerikaner zuteil werden kann. Je mehr panische Reden Cheney, [die Demokratische Senatorin] Feinstein und [der Republikanische Abgeordnete] King führen, umso besser für uns. Gäbe es einen Studiengang, wie jemand sein müsste, vor dem sich Dick Cheney fürchtet, dann hätte ich ihn mit Auszeichnung bestanden.“

Es ist eine Ehre, von Cheney, rechten Demokraten wie Feinstein und Republikanern wie King als Verräter bezeichnet zu werden.

Cheney müsste eigentlich im Gefängnis sitzen. Er kann sein Gesicht nur deshalb immer noch öffentlich zeigen, weil die Obama-Regierung die Verbrechen systematisch abdeckt, für die er und andere Mitglieder der Bush-Regierung verantwortlich sind, und ihnen Immunität garantiert.

Cheney zählt zu den am meisten verhassten Politikern in Amerika. Seine Beliebtheitswerte standen bei dreizehn Prozent, als er aus dem Amt schied. Cheney verdankt seinen Einfluss seinen engen Beziehungen zum Militär- und Geheimdienstapparat, zur Finanz- und Wirtschaftsaristokratie und zu den rechtesten Elementen der Republikanischen Partei.

Cheney war ein Chefarchitekt des kriminellen Aggressionskriegs im Irak, der mit Lügen und gefälschten nachrichtendienstlichen Erkenntnissen über nicht-existente Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zwischen Bagdad und Al-Qaida gerechtfertigt wurde. Er schuf seinen eigenen Nachrichtendienst und die betrügerischen „Beweise“, mit denen er der amerikanischen Bevölkerung weismachte, sie sei von einem unmittelbar bevorstehenden nuklearen, biologischen oder chemischen Angriff bedroht. Das Ergebnis waren bis zu einer Million tote Iraker und tausende tote und verstümmelte amerikanische Soldaten.

Cheney hat öffentlich zugegeben, dass er eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, dass die Bush-Regierung, wie er es nannte, „auf die dunkle Seite wechselte“: Sie begann, systematisch Folter zu betreiben, führte außerordentliche Überstellungen durch und ließ Menschen ohne Anklage inhaftieren. Dies führte zu den schrecklichen Verbrechen von Guantánamo, Abu Ghraib und den schwarzen Löchern der CIA in vielen Weltregionen.

Der korrupte ehemalige Vorstandschef von Halliburton personifiziert das herrschende Establishment der USA, dass als dauerhafte kriminelle Verschwörung gegen die amerikanische und weltweite Arbeiterklasse funktioniert.

Besonders bemerkenswert ist jedoch, dass Cheneys Äußerungen keine Ausreißer sind, sondern völlig auf einer Linie mit denen führender Demokraten und großer Teilen der angeblich liberalen Medien liegen. Diese brandmarken Snowden ebenfalls als Verräter, weil er die Bevölkerung der USA und der Welt über die ungeheuren Überwachungsprogramme in Kenntnis gesetzt hat.

Bei der Frage und Antwort Runde beim Guardian gab Snowden der Hoffnung Ausdruck, dass seine Enthüllung „Obama die Gelegenheit biete, zur Vernunft, zu verfassungsmäßiger Politik und der Herrschaft des Rechts, und nicht der Menschen, zurückzukehren“.

Aber nur wenige Stunden später machte Obama in seinem Fernsehinterview klar, dass er nichts dergleichen tun werde. Die Ausspähung im Inland und die Verletzungen der Verfassung werden vielmehr unvermindert weitergehen.

Noch mehr als Cheney vor ihm verkörpert Obama die Konsolidierung der Kontrolle des Militär- und Geheimdienstapparats und der Finanzoligarchie der Wall Street über den amerikanischen Staat. Diese Kräfte machen eine Politik, welche die große Bevölkerungsmehrheit ablehnt, seien es neue imperialistische Aggressionskriege oder die Politik der sozialen Ungleichheit und der wirtschaftlichen Verelendung. Daher fürchten sie eine Revolte von unten. Sie sind entschlossen, die Maschinerie für eine Polizeistaatsdiktatur beizubehalten und auszuweiten.

Demokratische Rechte können nur verteidigt werden, wenn die unabhängige Arbeiterklasse im Kampf gegen Kapitalismus mobilisiert wird. Eine solche Bewegung muss als Allererstes den Kampf für die Verteidigung Edward Snowdens aufnehmen, wie sie auch Bradley Manning und Julian Assange gegen den Versuch des Staates verteidigen muss, Rache dafür zu nehmen, dass sie seine Verbrechen aufgedeckt haben.

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