Schily verteidigt Geheimdienstüberwachung

Der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily griff am Wochenende in die Debatte um die Snowden-Affäre ein. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel verteidigte er ausdrücklich die Überwachung und Speicherung des gesamten Internetverkehrs und beschimpfte Kritiker dieser Praxis als paranoid.

In dem Interview machte Schily deutlich, was von einer rot-grünen Bundesregierung zu erwarten ist. „Law and Order sind sozialdemokratische Werte“ sagte er und ließ keinen Zweifel daran, dass die SPD die Verteidigung des Staats und seines Sicherheitsapparats höher stellt, als die Freiheitsrechte der Bevölkerung.

Schily reagierte mit seinem Interview auf die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden. Dieser hatte nachgewiesen, dass die amerikanische NSA in enger Zusammenarbeit mit vielen anderen nationalen Geheimdiensten, wie dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Verfassungsschutz die gesamte deutsche und internationale Bevölkerung ausspioniert. Insbesondere werden sämtliche Mails, Telefonate und Bewegungsprofile gespeichert, elektronisch ausgewertet und den Geheimdienstmitarbeitern zugänglich gemacht.

Diese historisch beispiellose Überwachung der Bevölkerung vergleicht Schily in dem Interview mit der Verpflichtung von Unternehmen, ihre Buchungsunterlagen für den Fall einer Steuerprüfung aufzubewahren. „Es gibt viele Datenbestände auf die der Staat aus Gründen der Strafverfolgung zugreifen kann.“ sagte der ehemalige Innenminister und versuchte die üblen Machenschaften der Geheimdienste zu bagatellisieren.

Schily argumentiert wie der Vertreter eines diktatorischen Regimes. Der Staat müsse das Recht haben demokratische Rechte außer Kraft zu setzen, um die Demokratie zu verteidigen. Das unterscheidet sich nicht grundlegend von der Aussage des chilenischen Junta-Chefs General Augusto Pinochet, der einmal betonte „gelegentlich muss die Demokratie in Blut gebadet werden, damit die Demokratie fortbestehen kann.“

Während die Enthüllungen Snowdens deutlich machen, dass unter der Oberfläche des parlamentarischen Systems weit fortgeschrittene Polizeistaatsstrukturen bestehen, dreht Schily den Spieß um, und legitimiert die Angriffe auf demokratische Rechte mit dem Argument, es handle sich um die Verteidigung des demokratischen Staats. „In einem demokratischen Rechtsstaat spionieren Geheimdienste keine Bürger aus, sondern dienen der Gefahrenabwehr.“ sagt er mit Blick auf die Snowden-Enthüllungen. Um das „Grundrecht auf Sicherheit“ zu schützen, müsse der Staat die Menschenrechte einschränken dürfen.

Die Menschen müssten „ein gewisses Vertrauen in den Staat und seine Sicherheitsbehörden“ aufbringen, insbesondere in BND und Verfassungsschutz. „Die Furcht vor dem Staat trägt teilweise wahnhafte Züge.“ so Schily, „Man soll doch bitte nicht so tun, als wenn die größte Gefahr für die Menschen in Deutschland von der NSA ausginge.“ Die Sicherheitsgesetze in Deutschland hätten erheblich dazu beigetragen, dass Deutschland von Terroranschlägen verschont geblieben sei, so der Ex-Minister.

Diese Aussage ist an Zynismus kaum zu überbieten. Tatsächlich hat es allein in Schilys Amtszeit als Innenminister der rot-grünen Regierung (von 1998 bis 2005) mindestens acht Terroranschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gegeben, die jeweils Todesopfer gefordert haben. Über diese Morde waren die Verfassungschutzbehörden nicht nur bestens informiert, sie haben sie auch systematisch gedeckt und teilweise finanziert. Noch ist unklar, ob die Mitglieder des NSU selbst auf den Gehaltslisten der Geheimdienste standen.

Die Überheblichkeit, mit der Schily über diese Tatsachen hinweg geht und die kriminelle Tätigkeit der Geheimdienste verteidigt, ergibt sich direkt aus der Politik der SPD. Bisher haben sich Vertreter der Partei sehr zurückhaltend zu dem Thema geäußert. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kritisierte die Kanzlerin zwar, nicht genug gegen Wirtschaftsspionage zu unternehmen, sprach aber kaum zu der Überwachung selbst.

Schilys Kommentare offenbaren nun das wahre Programm der SPD. Sie zeigen, dass sich die Partei darauf vorbereitet, eine Regierung der sozialen Konfrontation zu bilden, die mit aller Schärfe gegen die Bevölkerung und ihre demokratischen und sozialen Grundrechte vorgehen wird.

Schon die Angriffe auf demokratische Rechte, die Schily als Innenminister der Schröder-Fischer-Koalition durchsetzte, waren eng mit den Sozialkürzungen und Deregulierungen der damaligen Regierung verbunden, die Millionen von Arbeitern in die Armut trieben. Sie richteten sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen die Opposition der Arbeiter, die Hartz4 und Agenda 2010 nicht hinnehmen wollten.

Unter anderem legalisierte Schily die Überwachung sämtlicher Telekommunikations-, Handy- und Kontodaten durch die Geheimdienste. Es wurde die G-10-Kommission eingerichtet, die über die Genehmigung dieser Maßnahmen entscheiden soll. Die Daten dürfen 10 bzw. 15 Jahre und auf Entscheidung des Behördenleiters auch länger gespeichert werden. Zudem wurde die Überwachung und Weitergabe von Flug- und Passagierdaten verabschiedet.

Der frühere NSA und CIA Chef Michael Hayden erklärte gegenüber dem ZDF, dass die enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten bei der Überwachung der Bevölkerung bereits nach den Terroranschlägen von 2001 begann. Auch Schily bestätigt in dem Spiegel-Interview, dass er stets eine „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den amerikanischen Sicherheitsbehörden“ gepflegt habe.

Seitdem haben sich die sozialen Konflikte in Europa weiter zugespitzt. Die Bundesregierung ist hauptverantwortlich für die Zerschlagung der sozialen Rechte griechischer, spanischer und anderer europäischer Arbeiter. In Deutschland wächst der Niedriglohnbereich und in fast allen großen Konsum-Industrien werden Massenentlassungen vorbereitet.

Unter diesen Bedingungen wächst in den herrschenden Kreisen die Unterstützung für eine rot-grüne Regierung. Eine solche Regierung würde mit aller Schärfe gegen die Arbeiter vorgehen und weitere autoritäre Maßnahmen ergreifen, um diese sozialen Angriffe durchzusetzen. Dabei würde sie wie 1998 bis 2005 eng mit den Gewerkschaftsapparaten zusammenarbeiten.

In dieser Hinsicht konnte sich die herrschende Klasse seit deren Zustimmung zum ersten Weltkrieg auf die SPD verlassen. Wenn Schily die SPD als Law and Order Party bezeichnet, hat er Recht.

Schon im Jahr 1919 verteidigte die SPD den bürgerlichen Staat und seine Ordnung in der Novemberrevolution mit brutaler Gewalt gegen die aufständischen Arbeiter. Gustav Noske ließ als Volksbeauftragter fürs Heer die Massenaufstände vom Militär und von rechtsextremen Freikorps blutig niederschlagen. Tausende Arbeiter wurden getötet.

Seitdem stand die SPD dem Staat immer zur Seite, wenn es darum ging, demokratische Rechte anzugreifen. Sie stimmte für Heinrich Brünings diktatorische Notverordnungen und unterstütze die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten, der schließlich Hitler zum Reichskanzler ernannte. Die SPD weigerte sich, gegen die Machtübernahme der Faschisten zu kämpfen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte die SPD 1956 das Verbot der Kommunistischen Partei (KPD), stimmte 1968 für die antidemokratischen Notstandgesetze und führte 1972 Berufsverbote im öffentlichen Dienst für Mitglieder linker Organisationen und Studentengruppen ein.

Die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der Partei ist in dem Maße gewachsen, wie sie durch ihre rechte Politik jede Unterstützung unter Arbeitern verloren hat. Heute ist sie ein bürokratischer Apparat von Karrieristen, die alles tun, um die Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiter durchzusetzen. Das hat die letzte rot-grüne Regierung deutlich gemacht und Schily in dem Interview bestätigt.

Die SPD wird dabei nicht nur von den Grünen vorbehaltlos unterstützt, sondern auch von der Linkspartei. An dem Tag, an dem Schilys Interview veröffentlicht wurde, erklärte der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, in einem Interview mit dem ZDF die Bereitschaft seiner Partei zu einer Koalition mit der SPD nach der Bundestagswahl. Auch Auslandseinsätze der Bundeswehr seien dabei keine Haltelinie mehr, so Gysi.

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