Perspektive

Chemiewaffen-Abkommen: Krieg nur verschoben, nicht verhindert

Zweifellos sorgt das jüngste Abkommen in Genf bei vielen Gegnern eines neuen Angriffskriegs im Nahen Osten für Erleichterung. US-Außenminister John Kerry und der russische Außenminister Sergei Lawrow haben darin festgehalten, dass die syrische Regierung ihre Chemiewaffen zerstören soll.

Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass der Krieg nur verschoben wurde. Wer denkt, dass die Obama-Regierung auf Frieden setzt, versteht die objektiven sozialen, wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen nicht, die den amerikanischen Militarismus antreiben. Trotz der Einigung mit Russland hat die Regierung nur einen taktischen Rückzug vollzogen. Sie strebt nach wie vor einen Regimewechsel in Syrien an, da der US-Imperialismus dies als wichtigen Schritt in seinen Vorbereitungen auf eine militärische Konfrontation mit dem Iran ansieht.

Bezeichnenderweise erklärte Präsident Obama am Sonntag in einem TV-Interview, der Iran solle nicht glauben, die USA würden nicht gegen den Iran vorgehen, weil sie Syrien jetzt nicht angegriffen haben.

In weniger als einer Woche hatte die Obama-Regierung ihren Kurs geändert: Erst stand sie kurz davor, Syrien brutal mit Bomben anzugreifen, dann handelte sie mit Russland ein Abkommen aus. Der Grund für diese schnelle Wende war das beispiellose Ausmaß des Widerstands gegen den Krieg, der sich zuerst am 29. August darin äußerte, dass das britische Parlament eine kriegsbefürwortende Resolution ablehnte.

Da sich Russland und China weigerten, einem Angriff im UN-Sicherheitsrat zuzustimmen, und die Obama-Regierung also weder das legale Feigenblatt einer UN-Resolution, noch die Unterstützung ihres engsten Verbündeten Großbritannien hatte, wandte sie sich an den amerikanischen Kongress, der eine Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt durchwinken sollte. In einer solchen Zustimmung des Kongresses sah sie das Mittel, eine falsche Legitimität zu erlangen: Eine illegale und einseitige internationale Aggression hätte den Anschein der Unterstützung durch die US-Bevölkerung erhalten.

Doch auch hierbei erlitt die Regierung Schiffbruch: Die Kongressabgeordneten wurden von ihren Wählern mit Botschaften überschwemmt, von denen über neunzig Prozent gegen Krieg waren. Damit wurde klar, dass Obama die Abstimmung sowohl im von Republikanern dominierten Repräsentantenhaus, als auch im von Demokraten kontrollierten Senat verlieren würde. Es wäre das erste Mal gewesen, dass ein Präsident, der Zustimmung zu einem militärischen Vorgehen sucht, eine solche Niederlage erleidet, und es hätte Obamas Präsidentschaft schwer geschadet.

Unter diesen Bedingungen ging das Weiße Haus schließlich auf Russlands Vorschlag ein, ein Abkommen über die Zerstörung von Syriens Chemiewaffen auszuhandeln. Der Vorwand für den Krieg war die haltlose Unterstellung, das Assad-Regime habe am 21. August in einem Vorort von Damaskus Chemiewaffen eingesetzt. Die Regierung hatte behauptet, die amerikanische Militäraktion ziele darauf ab, Syriens Fähigkeit zur chemischen Kriegsführung zu verringern und es einzuschüchtern.

Darauf wurde die Obama-Regierung von Russland ausmanövriert. Die russische Regierung griff eine scheinbar beiläufige Bemerkung Kerrys auf, Präsident Bashar al-Assad könne einen Angriff der USA verhindern, wenn er all seine Chemiewaffen zerstöre. Moskau brachte Assad dazu, dem Plan zuzustimmen. Nun sah sich die Obama-Regierung außer Stande, einen äußerst unpopulären Krieg fortzusetzen, wenn das gleiche Ziel doch erreicht werden konnte, ohne dass ein einziger Marschflugkörper abgeschossen wurde.

Seit Obama angeblich den „Pfad der Diplomatie“ eingeschlagen hat, fällt es ihm und seinen Beratern schwer, klarzumachen, dass der Krieg immer noch fest eingeplant ist. Obama selbst betont, das Genfer Abkommen sei nur das Ergebnis einer „glaubwürdigen Gewaltandrohung“ durch die USA. Er erklärte: „Wenn die Diplomatie scheitert, sind die Vereinigten Staaten zum Handeln bereit.“

Kerry seinerseits stellte klar, dass die USA selbst entscheiden würden, ob das Assad-Regime sich an sein Chemiewaffenabkommen halte, oder ob sie entsprechend militärisch handeln würden. Da keine UN-Zustimmung vorliegt, würden Militärschläge „durch eine Entscheidung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und gleichgesinnter Verbündeter erfolgen, wenn sie dies für nötig halten“.

Es ist auch offensichtlich, dass das Weiße Haus kein zweites Mal den Fehler machen wird, den Kongress um Erlaubnis zu bitten. Steny Hoyer aus Maryland, der zweit-ranghöchste Demokrat im Repräsentantenhaus, sagte am Wochenende auf Bloomberg Television, weder er noch die Minderheitsführerin im Weißen Haus glaubten, „dass der Präsident in dieser Angelegenheit den Kongress konsultieren muss. Vielmehr könnte er selbst handeln“.

Hoyer fügte jedoch hinzu, die Einigung mit Russland könnte benutzt werden, um dem Kongress einen Krieg schmackhaft zu machen. „Die Leute würden sagen: ‚Wir haben uns Mühe gegeben, sind auf Assad zugegangen, Obama hat den diplomatischen Weg eingeschlagen, zu dem man ihn gedrängt hat – und es hat nicht funktioniert‘ “, erklärte Hoyer. „Und unter diesen Umständen hatten wir keine andere Wahl als weitere Einsätze von Chemiewaffen zu verhindern, und unsere einzige Möglichkeit, Syrien davon abzubringen und daran zu hindern, war es, zu handeln.“

Die Obama-Regierung stellt zweifellos die gleichen politischen Betrachtungen an. Wie uns die Geschichte lehrt, sieht es für Syrien nicht gut aus. Schon früher stimmten zwei andere Staatschefs – Saddam Hussein im Irak und Muammar Gaddafi in Libyen – im Nahen Osten zu, ihre Chemiewaffen zu zerstören. Doch die USA führten in beiden Ländern Krieg, um den Regimewechsel herbeizuführen, und keiner der beiden Staatschefs ist heute noch am Leben.

Das amerikanisch-russische Abkommen stellt Syrien eine Reihe von Forderungen, die laut Chemiewaffenexperten nahezu unerfüllbar sind. Der Chemiewaffenvertrag gibt Staaten zwar 60 Tage Zeit, in denen sie ihre Munition vollständig deklarieren müssen, aber das jetzige Genfer Abkommen gibt Damaskus nur eine Woche. Und während die Vereinigten Staaten seit achtzehn Jahren damit beschäftigt sind, ihre eigenen Chemiewaffen zu zerstören, – und damit rechnen, dass dies noch weitere zehn Jahre dauern wird! – soll Syrien die gleiche Aufgabe in neun Monaten schaffen.

Sollte Assads Unvermögen, diese Forderungen zu erfüllen, keinen Vorwand für einen Krieg liefern, gibt es immer noch die Möglichkeit einer weiteren Provokation mit Chemiewaffen durch die von al-Qaida geführten „Rebellen“, die dann dem Assad-Regime angelastet würde.

Die Chemiewaffen waren nie der wirkliche Grund, sondern nur der Vorwand für eine direkte US-Militärintervention. Die Darstellung der Mainstream-Medien, Washington sei ein schockierter Zuschauer im syrischen Bürgerkrieg und sorge sich um das Wohl hilfloser Zivilisten, ist eine dreiste Lüge und reine Kriegspropaganda. Der US-Imperialismus ist treibende Kraft hinter diesem Krieg. Er hat schon über eine Viertelmilliarde Dollar Hilfsgelder an die Assad-Gegner gezahlt und koordiniert noch größere Geld- und Waffen-Mengen, die aus den reaktionären sunnitischen Monarchien Saudi-Arabien und Katar stammen, seinen wichtigsten Verbündeten in der arabischen Welt.

Jetzt hat die CIA begonnen, die „Rebellen“ direkt mit Waffen zu versorgen. Diese „Rebellen“ sind eine Ansammlung aus Islamisten, kriminellen Abenteurern und Söldnern, die das Land zerstören. Das Geschwätz der USA über die „rote Linie“, die mit den Chemiewaffen überschritten sei, wurde notwendig, weil Washingtons Stellvertreterkräfte seit dem Verlust von al-Qusayr im letzten Juni eine Reihe militärischer Rückschläge erlitten hatten. Die von der CIA unterstützten Kräfte hatten mit ihren religiös motivierten Gräueltaten und der rückständigen islamistischen Ideologie große Teile der syrischen Bevölkerung gegen sich aufgebracht und standen kurz vor der Niederlage.

Was noch wichtiger ist: Der von den USA organisierte Krieg zum Regimewechsel in Syrien ist Teil von Washingtons Strategie zur Sicherung seiner Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten und die strategisch wichtige Landmasse Eurasiens. Die Obama-Regierung verfolgt die gleichen räuberischen Ziele wie ihre Vorgängerin in Afghanistan und im Irak: Der US-Imperialismus setzt seine militärische Überlegenheit ein, um seinen relativen wirtschaftlichen Niedergang auszugleichen. Die Intervention in Syrien richtet sich nicht nur gegen das Regime in Damaskus, sondern auch gegen die Macht und den Einfluss des Irans, Russlands und Chinas in der Region.

Im östlichen Mittelmeer stehen sich eine amerikanische Angriffsflotte und eine wachsende russische Flotte gegenüber.

Die Einigung zwischen Russland und den USA in der Frage der syrischen Chemiewaffen bedeutet nicht den Beginn einer neuen Friedensära, sondern eine weitere Episode eskalierender militärischer Provokationen und Kriegshysterie. Darin ähnelt diese Zeit der Periode vor dem ersten und zweiten Weltkrieg.

Die Gefahr eines Kriegs in der Region kann nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gebannt werden. Sie muss gemeinsam den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen, um einen internationalen Konflikt zu verhindern.

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