Kalibergleute erinnern sich an Entlassungswelle vor zwanzig Jahren

Am vergangenen Freitag verteilte ein Wahlkampfteam der Partei für Soziale Gleichheit in Philippsthal und am dortigen Kalibergwerk Hattorf den Artikel „K+S kündigt Angriff auf Kali-Bergleute an“, der am 11. September auf der World Socialist Web Site erschienen war.

Der Artikel berichtet über den Handelskrieg am globalen Kalimarkt und warnt die Arbeiter vor den sozialen Angriffen, die K+S Kali in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten und der Gewerkschaft IG BCE vorbereitet. Vorstandschef Norbert Steiner hatte Ende August „raue Zeiten“ angekündigt.

Das Kalibergwerk Hattorf gehört zum Werk Werra von K+S Kali. Es liegt in Osthessen und ist unterirdisch mit den Standorten Wintershall im hessischen Heringen und Unterbreizbach in Thüringen (ehemals DDR) verbunden.

„Bisher haben wir wirklich nur diese eine Ankündigung gehört, dass uns ‘raue Zeiten’ bevorstehen“, sagt ein Arbeiter von K+S Kali. „Offenbar wird alles unter dem Deckel gehalten.“

Grube K+S Kali-Werra Hattorf

Andere berichten, es habe vor vierzehn Tagen eine Betriebsversammlung gegeben, auf der mitgeteilt worden sei, die „Russen“ [gemeint ist das russische Konkurrenzunternehmen Uralkali] hätten den Konzern in Schwierigkeiten gebracht. Deshalb seien Einsparungen nötig und man müsse jetzt zusammenstehen. Der Betriebsrat habe nur sehr vage Einsparungen angekündigt, ohne konkrete Angaben zu machen.

Ein Beschäftigter berichtete, er rechne mit dem Schlimmsten, da mehrere Unternehmensberatungsfirmen jeden Winkel des Betriebs auf Einsparmöglichkeiten abklopften. Ein anderer Arbeiter meinte, nach den Aussagen eines Gewerkschafters müsse man wohl „nur“ von einem „minimalen Einschnitt“ von hundert Arbeitsplätzen ausgehen.

Steiners Ankündigung, es stünden ‚raue Zeiten’ bevor, hat die Bergarbeiter, ihre Angehörigen und auch die übrigen Bewohner der von K+S dominierten Region stark verunsichert. Gleichzeitig werden Erinnerungen an die rücksichtslose Abwicklung fast sämtlicher ostdeutscher Kali-Werke im Werra-Gebiet durch die Treuhand wach.

In den Jahren 1990 bis 1993 waren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zahlreiche Kali-Gruben geschlossen worden. In Dorndorf, Merkers, Bischofferode und anderen Bergwerken, die zum Teil in unmittelbarer Nachbarschaft westdeutscher Gruben liegen, verloren zehntausende Arbeiter praktisch über Nacht ihren Arbeitsplatz.

Wochenlang hatten sie ihre Gruben besetzt. Doch die Funktionäre der damaligen PDS und der Westgewerkschaft IGBE (Bergbau und Energie, Vorläufer der IG BCE) sorgten mit leeren Versprechungen dafür, dass die Arbeiter die Besetzungen einstellten. Viele verloren alles und mussten in den Westen ziehen, um Arbeit zu finden. Diese traumatische Erfahrung ist heute noch präsent, und viele ältere Arbeiter kommen sofort darauf zu sprechen.

Der verrentete 66-jährige Bergmann Karl berichtet über die fehlgeschlagenen Versuche der Bergleute, ihre Arbeitsplätze durch Betriebsbesetzungen zu retten. „Damals sind Tausende arbeitslos geworden“, sagt er und erzählt, wie der Ludwigshafener Chemieriese BASF, damaliger Besitzer von K+S, die drei rentabelsten von zehn ostdeutschen Kaliwerken einkassierte. Zahlreiche Arbeiter, die zu DDR-Zeiten sichere Arbeitsplätze in den Gruben hatten, wurden dadurch „überflüssig“.

Ein weiterer Kali-Arbeiter geht davon aus, dass heute die Kollegen der Zeitfirmen als erste gehen müssen. Auch im Kalibergbau werden offenbar in letzter Zeit vermehrt Fremdfirmen eingesetzt, Namentlich nennt er die Firmen Atwork, manus, Technicum und Persona-data.

Dazu meint der Rentner Claus, der 46 Jahre lang bei K+S im Westen gearbeitet hat: „Ich finde es schrecklich, wenn Arbeiter unter Tage – wie die Leiharbeiter – so viel weniger bekommen als die Unsrigen, obwohl sie sich genau so einsetzen.“

Er könne für seine Person zwar zufrieden sein, sagt er. „Wenn ich heute sehe, von welchen lächerlichen Renten manche Leute leben müssen, kann ich froh sein. Aber wenn man hört, dass eine Zeitnehmerfirma, wie es bei K+S der Fall war, die Grubenzulage für ihre Arbeiter in die eigene Tasche steckt, aber den Kumpels unter Tage nicht auszahlt – dann ist das eine Schweinerei.“

Sebastian

Sebastian (35) erhält seit Jahren nur Jobs über Zeitarbeitsfirmen. Dabei habe er sich schon mehrfach bei K+S in Hattorf beworben, aber: „Die stellen wohl nur noch über Fremdfirmen Leute ein.“ Er erzählt weiter: „Ich habe in Neuhof [bei Fulda] über eine Zeitarbeitsfirma gearbeitet. Dort hat der Schacht vor zwei Jahren durch den Verkauf von Streusalz riesige Summen gutgemacht, während wir gerade mal acht Euro Stundenlohn bekommen haben.“

Sebastian kommentiert: „Die Leute sind gutgläubig und buckeln für wenig Geld. Ich habe dort über Tage beim Verladen gearbeitet. Das ist Knochenarbeit; da musst du die Waggons von den Salzresten befreien, auch wenn es minus zwanzig Grad kalt ist. Das ist wirklich hart.“

Sebastian hatte in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet, bis dieser vor einigen Jahren schließen musste. Seither hat er nur Zeitarbeitsjobs bekommen. „Sie machen ihre Profite auf den Knochen der Zeitarbeiter“, sagt er.

Über die Geschichte der Region weiß Sebastian gut Bescheid: „Mein Opa hat im Kali-Betrieb Merkers gearbeitet, dort waren einmal Zehntausend beschäftigt. Das wurde aber alles nach der Wende dicht gemacht, und heute ist dort nur noch ein Besuchsbergwerk.“

Ein Rentner, der mit seiner Frau zum Einkaufen geht, sagt zum Thema Grubenschließungen in der ehemaligen DDR. „Ich habe so einen Hass. Wenn ich hier zu reden anfange, platzt eine Bombe.“

Der bereits zitierte Rentner Claus kommentiert: „Es ist ein wahres Trauma, dass hier so viele DDR-Betriebe geschlossen wurden. Von Merkers ist nur noch ein Erlebnisbergwerk übrig, da haben Zehntausende Arbeit gehabt. Sie bauen alles zurück, und im Osten haben sie sogar zuviel abgebaut. Einiges wollten sie später wieder aufmachen, aber es ging nicht mehr.“

K+S Kaliwerk Hattorf in Philippsthal

Der aktuelle globale Kali-Krieg und die angespannte Stimmung im Werra-Revier lässt die Erinnerung an die 1990er Jahre wieder aufleben. Darüber ist sich auch die Gewerkschaftsführung bewusst. Das zeigte der Auftritt eines Funktionärs der IG BCE beim Schichtwechsel vor der Grube Hattorf.

Plötzlich fährt ein junger Mann in einem schnittigen Sportflitzer vor, lässt sich einen Handzettel geben und fordert darauf das Team ungehalten auf, „diese Aktion sofort zu beenden“. Sie sei „nicht mit den Vertrauensleuten im Werk abgesprochen“. Mit Namen stellt er sich nicht vor, sagt aber, er sei „der Sprecher der IG BCE für dieses Werk“.

„Dieser Handzettel stört den Betriebsfrieden“, beschwert er sich aufgebracht. „Das ist ein Angriff auf die Kollegen“, wobei er mit „Kollegen“, wie sich herausstellt, die Vertreter der Gewerkschaft IG BCE meint. Sie haben ihn aus dem Werk heraus alarmiert.

Den Einwand, die Kritik im Handzettel betreffe die unbestrittene Tatsache, dass die West-Gewerkschafter nach 1990 die reibungslose Schließung der DDR-Gruben betrieben hätten, führt zu einem neuen Ausbruch: „Es war damals notwendig, die Ost-Werke zu schließen! Die waren ja nicht rentabel; es gab damals viel zu viele Kali-Werke.“ Alles andere sei „kommunistische Ideologie“.

Etwas später kommt Harald, ein Rentner, mit dem Fahrrad vorbei. Er erzählt, er habe 35 Jahre in der Grube Merkers gearbeitet: „Niemals hätte ich geglaubt, dass sie eine Grube wie Merkers dichtmachen.“ Es sei ja nicht so, „dass ich die DDR wiederhaben möchte“, fährt er fort. „Aber man hat damals ruhiger und menschlicher gelebt. Da hatte jeder Arbeit. Wir haben zwar nicht soviel verdient, aber das Soziale war besser.“

Harald L.

Zur Bundestagswahl sagt er, er sei schon zu DDR-Zeiten nie zur Wahl gegangen, auch wenn er deshalb stark unter Druck geraten sei. „Wenn ich am Wochenende arbeiten musste, kam der Parteisekretär und sagte, ich solle heimgehen. Ich hätte frei und die Schicht sei bezahlt, wenn ich wählen ginge. Trotzdem ging ich nicht.“

„Aber heute“, fügte Harald hinzu, „heute ist es nicht besser. Manches ist heute schlimmer als zu DDR-Zeiten. SPD und Gewerkschaften, die sind alle gleich: Wer einen Posten hat, versucht ihn zu behalten, und der kleine Mann muss zahlen.“

Diesmal allerdings, sagt Harald, müsse er wohl die Linke wählen, weil sie als einzige Kraft gegen Krieg sei. „Ich finde, die Regierung muss sich aus Syrien raushalten. Die haben dort nichts zu suchen.“

Auf den Einwand, die Linke habe die syrischen Gruppen aufgebaut, die heute am lautesten nach Krieg rufen, und einen Hinweis auf die Rolle der Linken-Vorläuferin PDS bei der Stilllegung der Kali-Gruben, antwortet Harald: „Es stimmt, es ging ihnen nur noch um den Profit.“

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