Snowden zu Aussage in Deutschland bereit

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden ist bereit, deutschen Stellen Auskunft über die Spionagetätigkeit amerikanischer Geheimdienste zu erteilen. Voraussetzung ist allerdings, dass er danach in Deutschland oder einem anderen vergleichbaren Land bleiben kann und dort sicher ist. Das teilte der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Die Grünen) am Freitag auf einer Pressekonferenz in Berlin mit.

Ströbele hatte Snowden am Donnerstag unter größter Geheimhaltung in Moskau zu einem fast dreistündigen Gespräch getroffen. Bei dem Treffen waren auch der Journalist John Goetz für das ARD-Magazin Panorama und die Süddeutsche Zeitung sowie der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo anwesend. Anschließend erklärte Ströbele, Snowden sei bereit, bei der Aufklärung der NSA-Spähaffäre in Deutschland zu helfen, und könne sicherlich viele Fragen beantworten.

Am Freitag stellte Ströbele dann der Presse einen Brief vor, den er im Auftrag des ehemaligen NSA-Mitarbeiters an das Kanzleramt, den Bundestag und den Generalbundesanwalt weitergeleitet habe.

In dem Schreiben rechtfertigt und verteidigt Snowden seine Enthüllungen. Er schreibt: „Im Zuge meiner Beschäftigung in diesen Einrichtungen [der National Security Agency (NSA), der Central Intelligence Agency (CIA) und der Defense Intelligence Agency (DIA)] wurde ich Zeuge systematischer Gesetzesverstöße meiner Regierung, die mich aus moralischer Pflicht zum Handeln veranlassten.“

Als Ergebnis seiner Enthüllungen habe eine „schwerwiegende und anhaltenden Hetze“ gegen ihn begonnen, „die mich zwang, meine Familie und meine Heimat zu verlassen“. Doch die Resonanz auf sein politisches Handeln habe ihn ermutigt: „Bürger aus der ganzen Welt und auch hohe Amtsträger – auch in den Vereinigten Staaten – haben die Enthüllung eines unverantwortlichen Systems der allgegenwärtigen Überwachung als Dienst an der Öffentlichkeit bewertet“, schreibt Snowden. Der Nutzen für die Gesellschaft aus den gewonnenen Erkenntnissen werde zunehmend klarer.

Snowden beklagt, dass die amerikanische Regierung seine Enthüllungen nach wie vor als Treuebruch behandle und sich bemühe, politische Meinungsäußerungen zu kriminalisieren und unter Anklage zu stellen. Dann betont er: „Dennoch: Die Wahrheit zu sagen ist kein Verbrechen!“

Er sei zuversichtlich, dass die Regierung der Vereinigten Staaten „mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft von diesem schändlichen Verhalten ablassen“ werde. Er sei bereit, sich an einer „verantwortungsvollen Aufklärung der Sachverhalte“, vor allem im Hinblick auf die Wahrheit und Authentizität der Dokumente, zu beteiligen, „sofern dies angebracht und in Übereinstimmung mit dem Gesetz ist“.

Am Ende seines Briefs wendet sich Snowden direkt an die Bundesregierung: „Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist, und danke Ihnen für ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren, das uns alle beschützt.“

Politische Beobachter halten es für wenig wahrscheinlich, dass die Bundesregierung Snowden freies Geleit oder Asyl in Deutschland anbietet, wenn er vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags oder einem anderen Gremium aussagt. Dies käme einem schweren diplomatischen Affront gegen die USA gleich. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums hat die US-Regierung bereits vorsorglich ein Auslieferungsersuchen nach Deutschland übersandt.

In den Medien und auch in politischen Kreisen mehren sich aber die Stimmen, die für ein solches Vorgehen eintreten. So setzt sich der Leiter des innenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung dafür ein, Snowden in Deutschland aufzunehmen. „Deutschland braucht Aufklärung über die US-Lauschangriffe“, schreibt Heribert Prantl. „Und Snowden braucht Schutz vor Auslieferung in die USA. Beides lässt sich gut zusammenbringen: Deutschland sollte dem Aufklärer den Schutz gewähren. Das Recht gibt die Möglichkeit her, ihm sicheres Geleit und Abschiebungsschutz zuzusichern.“

Selbst aus Regierungskreisen kamen vorsichtige positive Signale. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte am Freitag in Berlin: „Wenn die Botschaft heißt, Herr Snowden will uns Informationen geben, dann nehmen wir das gerne auf.“ Der Innenminister fügte hinzu: „Wir werden Möglichkeiten finden, wenn Herr Snowden bereit ist, mit deutschen Stellen zu sprechen, dass dieses Gespräch auch stattfinden kann. Jede Aufklärung, alles, was wir an Informationen und Fakten bekommen können, ist gut.“

Auch die SPD äußerte den Wunsch nach einer Zeugenaussage Snowdens. Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann erklärte, wenn es die Möglichkeit gebe, Snowden zu hören, ohne ihn in Gefahr zu bringen und ohne das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA „komplett zu ruinieren“, dann „sollten wir sie nutzen“. Oppermann leitet in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam mit Minister Friedrich die Arbeitsgruppe Inneres und Recht.

Im ZDF-Morgenmagazin wurde US-Botschafter John B. Emerson um eine Stellungnahme zum Treffen Ströbeles mit Snowden gebeten. Er antwortete mit gespielter Gelassenheit, es sei das Recht jedes Bürgers und natürlich auch das Recht jedes Bundestagsabgeordneten zu reisen, wohin er wolle, und sich mit Leuten zu treffen und mit ihnen zu sprechen.

Emerson hatte am Tag zuvor eine „Charmeoffensive“ gestartet und Vertreter mehrerer Tageszeitungen in sein Botschaftsbüro am Pariser Platz in Berlin eingeladen. Nachdem der Spiegel Anfang der Woche die US-Botschaft als Spionagenest bezeichnet und von einer Abhöranlage auf dem Dach der Botschaft berichtete hatte, lobte der Botschafter die jahrzehntelange deutsch-amerikanische Freundschaft, die auch kritische Phasen der Zusammenarbeit überstehen werde.

Auf die Frage, wie die USA auf eine Anhörung Snowdens vor einem deutschen Untersuchungsausschuss reagieren würden, antwortete Emerson mehrdeutig: „Wenn es dazu wirklich kommt, werden wir darauf reagieren.“

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vertritt die Auffassung, Deutschland könne Snowden freies Geleit zusichern. Snowden gelte seit Entzug seines US-Passes als staatenlos und US-Behörden hätten kein automatisches Recht auf Auslieferung. Die Bundesrepublik könne aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen durchaus einen Aufenthaltstitel ausstellen.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar forderte die deutschen Behörden auf, Snowden zu helfen. Im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sagte Schaar: „Snowden hat Gutes geleistet. Wir haben auch einen moralischen Anspruch, ihn zu schützen.“ Sollte es einen Untersuchungsausschuss geben, müsse man Snowden „ein Umfeld gestatten, in dem er sicher vor Auslieferung in die Vereinigten Staaten seine Erkenntnisse preisgeben kann“.

Snowdens Anwalt Anatoli Kutscherena sagte am Freitag, dass der Ex-NSA-Mitarbeiter von deutschen Vertretern nur in Russland befragt werden könne. Snowden werde das Land nicht verlassen, erklärte der Anwalt dem Radiosender Moskauer Echo. Er könne aber „im Rahmen internationaler Vereinbarungen in Russland aussagen“, wenn deutsche Stellen dies wünschten. Kutscherena wies darauf hin, dass Snowden seinen gegenwärtigen Asyl-Status verliere, wenn er ins Ausland reise.

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