50 Tote bei Flugzeugabsturz in Russland

Bei dem Absturz einer Boeing 737-500 in Kasan, der Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan, sind am Sonntag alle 50 Insassen ums Leben gekommen. Die veraltete Maschine kam aus Moskau und stürzte bei guten Wetterbedingungen offenbar wegen technischer Probleme ab. An Bord befanden sich neben sechs Crew-Mitgliedern zwei Kinder sowie der Chef des Geheimdiensts FSB der Republik Tatarstan und der 23-jährige Sohn des Präsidenten der Republik. Auch eine ukrainische und eine britische Staatsbürgerin waren unter den Opfern.

Der erste Landeversuch des Flugzeugs scheiterte aus bislang ungeklärten Gründen. Beim zweiten Landeversuch knallte die Maschine in einem scharfen Winkel auf die Landebahn und ging in Flammen auf. Das Feuer konnte erst nach mehreren Stunden gelöscht werden. Laut einem Sprecher des Flughafens waren die Landebedingungen trotz leichtem Schneefall gut: „Die Sicht betrug 5.000 Meter, die Landebahn war trocken. Bessere Bedingungen gibt es kaum“.

Die Boeing 737-500 ist Medienberichten zufolge seit 1990 im Einsatz und hatte bereits im Jahr 2001 in Brasilien einen schweren Unfall erlitten, bei dem es allerdings keine Opfer gab. Seit 2008 war die Maschine für die Fluglinie Tatarstan Airlines im Einsatz, die der Regierung der autonomen Republik Tatarstan gehört.

Im Internet äußerten sich mehrere ehemalige Passagiere des Flugzeugs, denen in jüngster Zeit schwere technische Mängel aufgefallen waren. Eine Journalistin, die am Samstag mit der Maschine geflogen war, berichtete im russischen Fernsehen von „unglaublichen Vibrationen“ beim Flug.

Auf Twitter schrieb ein ehemaliger Passagier unter dem Usernamen @bulat116: „Diese Maschine schüttelte ihre Passagiere wie in der Waschmaschine.“ Grigori Busarew, der mit derselben Maschine am Sonntagmorgen von Kasan nach Moskau geflogen war, berichtete, das Flugzeug sei beim Hinflug bei der Landung fast abgestürzt und habe eine harte Landung gemacht.

Die Behörden haben auf Anweisung des Kremls hin eine Untersuchung aufgenommen, um die Gründe der Katastrophe herauszufinden. Zuvor hatte die Regierung der Republik Tatarstan die Crew für den Absturz verantwortlich gemacht. Die heuchlerischen Trauerbekundungen von Regierungsvertretern, darunter auch Präsident Wladimir Putin, und die Untersuchung dienen vor allem dazu, die wahren Gründe der Katastrophe abzudecken.

Der Flugzeugabsturz am Sonntag reiht sich in eine lange Kette von Unglücksfällen ein, deren Hauptgrund der marode Zustand der russischen Infrastruktur ist – ein unmittelbares Ergebnis der Einführung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion.

Im Dezember letzten Jahres starben fünf Menschen, als ein Flugzeug auf dem Moskauer Flughaften Wnukowo über die Landebahn hinausschoss. Im Mai 2012 kamen bei einem Testflug des russischen Suchoi Superjet 100 über Indonesien alle 50 Insassen der Maschine um Leben (Siehe: Russisches Flugzeug in Indonesien abgestürzt). Einen Monat zuvor waren bei einem Flugzeugabsturz in Sibirien 33 Menschen gestorben. Das führende Eishockeyteam des Landes, Lokomotive Jaroslawl, war Ende 2011 beim Absturz einer Jakowlew Jak-42 ums Leben gekommen.

Die Luftfahrtinfrastruktur befindet sich 22 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im fortgeschrittenen Zustand des Verfalls. Die Privatisierung der staatlichen Flugunternehmen und der Luftfahrtinfrastruktur, die mithilfe der Gewerkschaften in den 1990er Jahren durchgesetzt wurde, führte die Luftfahrtindustrie des Landes Ende der 1990er an den Rand des Zusammenbruchs.

Während die Sowjetunion rund ein Viertel der weltweit fliegenden Flugzeuge herstellte, produzierte die russische Luftfahrtindustrie um 2000 nur rund ein Dutzend Maschinen pro Jahr. Die technologischen Standards bei der Produktion liegen bis heute weit hinter den internationalen Standards zurück.

Angesichts des durch hohe Ölpreise befeuerten Wirtschaftsbooms hat die russische Regierung viel in die Luftfahrt investiert, um russische Unternehmen international wettbewerbsfähig zu machen. Die staatlichen Investitionen in die Luftfahrtindustrie wurden zwischen 2005 und 2010 verzwanzigfacht. Aeroflot, das größte Luftfahrtunternehmen des Landes, das mehrheitlich dem Staat gehört, hat unter diesen Bedingungen einen rasanten Aufstieg erlebt.

2011 konnte Aeroflot seine Netto-Profite gegenüber dem Vorjahr auf 491 Mio. US-Dollar verdoppeln. Zwischen 2009 und 2013 stieg der Konzern auf dem Ranking der profitabelsten Flugunternehmen in Europa, das vom Magazin Airline Business aufgestellt wird, von Platz 9 auf Platz 5. Die Einnahmen des Konzerns erhöhten sich in den letzten zehn Jahren insgesamt um 600 Prozent.

Mit diesen Zahlen liegt Aeroflot zwar weit vor den meisten anderen russischen Flugunternehmen, doch auch diese verbuchten in den letzten Jahren, die einen katastrophalen Flugzeugabsturz nach dem anderen sahen, steigende Profite.

Während die Luftfahrtkonzerne Rekordprofite erzielten, wurde das Flugpersonal vermindert und die Infrastruktur dem Verfall anheim gegeben. Die Sicherheitsstandards und die Infrastruktur gehören zu den schlechtesten der Welt. Im Jahr 2011 belegte Russland beim weltweiten Ranking für Flugzeugsicherheit den letzten Platz. Es lag damit selbst hinter Entwicklungsländern wie dem Kongo und Indonesien. Während in den USA Flugzeuge aus Eigenproduktion im Durchschnitt 13 Jahre in Betrieb sind, fliegen die meisten Maschinen in Russland seit 25 bis 30 Jahren. Wer kein Privatjet besitzt, geht mit jedem Flug in einer russischen Maschine ein beachtliches Risiko ein.

Im Sommer dieses Jahres kündigte die Regierung als Teil von umfassenden Privatisierungsmaßnahmen in der Wirtschaft eine Öffnung des Flugzeugmarktes für ausländische Billiganbieter und den Verkauf des staatlichen Mehrheitsanteils an Aeroflot bis 2020 an. Diese Maßnahmen werden die zerrüttete Infrastruktur noch weiter verschlechtern.

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