Eine Million Leih- und Werkvertragsarbeiter in der Metall- und Elektroindustrie

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete Mitte November von einer bislang unveröffentlichten Studie, welche die IG Metall in Auftrag gab, um Zahlen über die Ausbreitung von Werkverträgen in Deutschland zu erhalten. Weder das Statistische Bundesamt noch das Bundesarbeitsministerium haben bislang Informationen dazu veröffentlicht.

Die IGM gab diese Studie in Auftrag, weil sie sich von Politik und Wirtschaft bei der Gestaltung der Werkvertragsarbeit übergangen fühlt, gegen die sie keine prinzipiellen Einwände hat. Sie lässt einzelne Informationen über die skandalösen Zustände, für die sie selbst mitverantwortlich ist, an die Öffentlichkeit durchsickern, um stärker in die Unternehmensentscheidungen einbezogen zu werden.

Laut den Ergebnissen der Studie arbeitet mittlerweile ein Drittel der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie „in nicht regulären Beschäftigungsformen für die Branche“. Laut Spiegel sind dies „mehr als eine Million Menschen“. In der Autoindustrie sind inzwischen rund 250.000 Werkvertragsarbeiter beschäftigt, hinzu kommen 100.000 Zeitarbeiter. Zur Stammbelegschaft gehören nur noch 763.000 Arbeiter. „Das entspricht einem Verhältnis von fast zwei zu eins“, bemerkt das Nachrichtenmagazin.

In der Werftindustrie ist der Anteil der prekär Beschäftigten noch größer. 16.800 Festangestellten stehen 2.700 Leiharbeiter und 6.500 mit Werkvertrag gegenüber. Die Stahlkonzerne beschäftigen 19.000 Werkvertragsarbeiter bei einer Stammbelegschaft von 61.000 Arbeitern. In der Luftfahrtindustrie arbeiten 72.400 Festangestellte und jeweils 10.000 Arbeiter aus Leih- und Werkfirmen.

Mit den Werkverträgen, die 2007 von der EU genehmigt wurden und die seit Mai 2011 eine ausufernde Zunahme erleben, spielte die Politik den Arbeitgebern ein Werkzeug in die Hände, das ihnen erlaubt, die Ausbeutung der Beschäftigten drastisch zu verschärfen.

Die Gewerkschaften hatten unter der rot-grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) die flächendeckende Einführung der Leiharbeit unterstützt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist selbst an einer Zeitarbeitsfirma in Nordrhein-Westfalen beteiligt, der Start Zeitarbeit NRW GmbH. Das Unternehmen wurde 1995 durch das Land Nordrhein-Westfalen, die Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW, den Arbeitgeberverband Stahl, den Nordrhein-Westfälischen Handwerkstag, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und kommunale Spitzenverbände gegründet.

Die Billiglohnarbeit der Leiharbeiter wird als wichtiger „Wettbewerbsvorteil“ gesehen. Daher haben die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die IG Metall in diesem Jahr auch erneut einen Tarifvertrag für die rund 900.000 Zeitarbeiter abgeschlossen. Hätten sie sich einem Tarifvertrag verweigert, wären die Unternehmen gesetzlich gezwungen gewesen, den Leiharbeitern den gleichen Lohn wie den Stammbeschäftigten zu zahlen (Equal Pay). Nun haben sie die Niedriglöhne (9 Euro im Westen und 8,50 Euro im Osten ab Juni 2015) bis Ende 2016 festgeschrieben.

Dennoch sind diese Hungerlöhne den Unternehmen immer noch zu hoch. Die mit der Leiharbeit eingeführte Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Beschäftigten hat sich mit der ständigen Zunahme von Werkverträgen in eine Drei-Klassen-Gesellschaft verwandelt. Um zu verhindern, dass länger beschäftigten Zeitarbeitern neue Rechte erwachsen, werden diese in Werkverträge gedrängt, wo ihnen Hungerlöhne am Rande des Existenzminimums gezahlt werden, teilweise unter 5 Euro in der Stunde.

Diese Spaltung in Arbeiter erster, zweiter und dritter Klasse preist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) als „ein notwendiges Instrument moderner Aufgabenteilung und Spezialisierung“.

Anders als Festangestellte und Leiharbeiter, die nach geleisteten Stunden oder Monatstarif bezahlt werden, verrichten Arbeiter auf Werkvertragsbasis ein „Werk“ (eine Dienstleistung oder Ware), das vollendet werden muss, damit der Vertrag erfüllt ist. Der Zeit- und Arbeitsaufwand dafür sowie Krankheitsrisiko und soziale Absicherung werden vollständig auf den Vertragsnehmer abgeschoben.

Werkvertragsarbeiter gehören nicht zur Belegschaft; deren Rechte bleiben ihnen verwehrt. Sie erhalten markierte und abgesteckte Arbeitsbereiche. Arbeiten sie an Maschinen, so gelten diese als stundenweise an den Subunternehmer vermietet. Werkvertragsarbeitern ist es nicht erlaubt, die Räumlichkeiten zu nutzen, die der Stammbelegschaft zustehen, ebenso wenig stehen ihnen Fahrtkostenzuschüsse oder andere Aufwendungen zu. (vgl. Lohndumping durch Werkverträge)

Unternehmen wie BMW in Leipzig und VW in Ingolstadt errichten auf ihrem Werksgelände Gebäudekomplexe, die zig angeheuerten Subunternehmen Platz bieten und das Lohndumpingmodell auf Hochtouren bringen. Neben Leiharbeitern machen Werkvertragsarbeiter einen wichtigen Bestandteil moderner „Erfolgsgeschichten“ der Unternehmen aus.

Diese Flexibilisierung der Arbeit, die nur durchzusetzen ist, weil gutbezahlte Betriebsräte und eifrige Gewerkschaften aufseiten der Unternehmer mitspielen und jeden Widerstand dagegen ersticken, unterhöhlt die Arbeitsbedingungen der Festangestellten. Dies trifft nicht nur auf die Löhne zu. Die Arbeiter haben ihre gesamte Lebens- und Zeitplanung den Bedürfnissen des Konzerns anzupassen: Arbeits- und Urlaubszeiten werden je nach Bedarf des Arbeitgebers geändert und festgelegt – um Kosten zu sparen, werden die Arbeiter nach Hause geschickt, wenn keine Aufträge vorliegen.

BMW beurlaubt seine Arbeiter tageweise, wenn der Absatz sinkt. Dafür haben sie deutlich mehr zu arbeiten, wenn er sich wieder erholt. Dieser Umgang mit seiner Belegschaft erlaubt dem Konzern eine flexible Änderung des Zwei- und Drei-Schichten-Betriebs, ohne dass zusätzliches Personal eingestellt werden muss. Auch die Wochenenden gehören ausschließlich dem Unternehmer: mit zwangsweisen Sonderschichten kann er seine Arbeiter bei Bedarf an die Maschinen zurückholen.

„Ich habe nichts gegen Werkverträge“, sagte Detlef Wetzel, der neue Vorsitzende der IG-Metall an die Wirtschaft gerichtet und fügte dann mit Blick auf den steigenden Unmut in den Betrieben hinzu: „Ich habe aber entschieden etwas dagegen, wenn sie genutzt werden, um das Lohnniveau massiv zu drücken.“ Das ist schwer zu überbietender Zynismus.

Im Spiegel bezeichnete Wetzel die Aushebelung der Tarifverträge durch Werkverträge als „Anschlag auf die soziale Markwirtschaft“. Das ist Augenwischerei und eine Beleidigung des Verstandes der Arbeiter. Tatsächlich werden die Werkverträge von der IG Metall und anderen Gewerkschaften vollumfänglich unterstützt.

Die Gewerkschaften bekennen sich zu Werkverträgen, wollen diese aber juristisch einwandfrei gestalten, wie dies bei der jüngsten Auseinandersetzung über Werkverträge beim Daimler-Konzern deutlich wurde. Ihnen geht es eher darum, zu verhindern, dass die Niedriglöhne der Werkvertragsarbeiter aufgrund von nachgewiesenen Schein-Werkverträgen angehoben werden müssen. Von Schein-Werkverträgen spricht man, wenn die Werkvertragsarbeiter Anweisungen von Vorgesetzten des Auftragsgebers erhalten und damit wie Stammbeschäftigte behandelt werden.

Die von der neuen Regierungskoalition angekündigten Gesetzesänderungen werden, wenn sie denn kommen, die Lage der Arbeiter nicht im Geringsten verbessern. Der Kongress der IG Metall am letzten Wochenende, auf dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel begeistert empfangen wurden, hat deutlich gemacht, dass die Gewerkschaften eng in die Angriffe einbezogen werden, die von der Großen Koalition derzeit geplant werden.

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