Vergangenen Montag beschlossen die Mitglieder der American Studies Association (ASA – Amerikanische Forschungsvereinigung) mit Zweidrittelmehrheit einen Boykott aller israelischen akademischen Institutionen.
Die Vereinigung, der 5.000 Personen als Mitglieder und 2.200 Bibliotheken sowie weitere Institutionen angehören, beschreibt sich selbst als „älteste und größte Vereinigung zur interdisziplinären Erforschung amerikanischer Kultur und Geschichte.“
Sie ist die bei weitem größte Akademikergruppe, die sich der weltweiten Boykottkampagne anschließt. Die Vereinigung für asiatisch-amerikanische Forschungen hat sich vergangenen April dem akademischen Boykott angeschlossen und die Vereinigung für die Erforschung amerikanischer Ureinwohner erklärte am 15. Dezember, dass sie ihren Mitgliedern den Boykott empfehlen werde. Für den nächsten Monat hat die 30.000 Mitglieder starke Vereinigung für Moderne Sprachen für ihre Mitgliederversammlung die Diskussion einer entsprechenden Resolution angesetzt.
Die Resolution der ASA verurteilt die amerikanische Regierung für ihre “maßgebliche Rolle bei der Ermöglichung der israelischen Okkupation von Palästina und der Ausweitung illegaler Siedlungen sowie des Baus der Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland, die das Völkerrecht brechen; außerdem prangert sie die Unterstützung systematischer Diskriminierung der Palästinenser an, die sich nachweislich verheerend auf das allgemeine Wohl auswirkt, und die Diskriminierung der Ausübung politischer und Menschenrechte und die Einschränkung der Bewegungs- und Reisefreiheit sowie der Bildungsmöglichkeiten der Palästinenser.“
Die Stellungnahme beklagt weiter, dass “israelische Institutionen höherer Bildung die Staatspolitik Israels mittragen“, wobei sie anmerkt, dass andere „israelische Akademiker und Studenten der Politik des israelischen Staates kritisch gegenüber stehen“, für ihre Haltung aber „Isolierung und Sanktionsdrohungen“ ausgesetzt seien.
Die internationale Boykott-, Sanktions- und Desinvestmentkampagne gegen Israel hatte bislang nur begrenzten Effekt, was die Wirtschaftsbeziehungen Israels anbelangt. Vor allem symbolischen Erfolg erzielte sie lediglich auf dem Gebiet akademischer Boykotte. Diese Boykottkampagne, die 2002 in Großbritannien begann, hat die Vereinigten Staaten erst jetzt erreicht.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die große Zustimmung der ASA-Mitgliedschaft für die Resolution breitere Stimmungen reflektiert, die in der Gesamtbevölkerung existieren. Hervorgerufen und verstärkt wurden diese Stimmungen durch die Verbrechen des israelischen Staates sn der palästinensischen Bevölkerung.
Aus diesem Grunde geriet die ASA wegen ihrer Resolution unter starken Druck. Zwei Universitäten (Brandeis und Penn State in Harrisburg) haben schon angekündigt, die Mitgliedschaft in der Vereinigung zu beenden.
Larry Summers, der ehemalige Präsident der Harvard-Universität und Finanzminister in der Obama-Regierung, beschimpfte bei seinem Auftritt in der Charlie-Rose-Show im PBS-Fernsehkanal die Resolution als „verabscheuungswürdig“, „schlimmer als abscheulich“ und „in Wirklichkeit antisemitisch.“ Summers wandte sich prinzipiell gegen alle akademischen Boykotte, rief aber im selben Atemzug zu einem nachhaltigen Boykott gegen die ASA auf und äußerte die Hoffnung, dass Universitätsadministratoren aufhören würden, ihre „Institutsfonds zu nutzen, um Fakultätsmitgliedschaften und dazugehörige Fakultätsreisen zu Vereinigungen zu finanzieren, die sich nicht als Forschungsvereinigungen, sondern als lediglich politische Werkzeuge erwiesen.“
Alan Dershowitz, Rechtsprofessor in Harvard und offener Befürworter von Folter, schmähte die ASA dafür, „die Juden unter den Nationen auszusondern“, „auf jüdische Universitäten einen doppelten Standard anzuwenden“ und „dem ältesten und beständigsten der Vorurteil Unterstützung zu geben.“ Der Kern seiner Argumentation bestand darin, seinen Finger auf China, Russland und den Iran zu richten und zu fragen, warum diese Länder nicht boykottiert würden.
Diese Angriffe wiederholen bloß die abgenutzten Antisemitismusverleumdungen, die unaufhörlich von der israelischen Regierung und ihren zionistischen Unterstützern vorgetragen werden, um jegliche Diskussion über die Gewalt und Unterdrückung zu ersticken, mit denen Tel Aviv den Palästinensern begegnet und seine rücksichtslose Militäraggression in der Region betreibt.
Laut ASA-Mitgliedern wurden diese Angriffe von Hassmails, Drohungen und der Ankündigung von juristischem Vorgehen gegen die Vereinigung begleitet.
Es ist offensichtlich, dass jüdische Mitglieder der ASA eine führende Rolle bei der Unterstützung der Resolution spielten. In einer die Initiative rechtfertigenden Stellungnahme schrieb Eric Cheyfitz, Professor für Amerikanistik an der Cornell-Universität: „Ich bin Jude und habe eine Tochter und drei Enkel, die Staatsbürger Israels sind. Ich bin Wissenschaftler auf dem Feld der Forschung der Uramerikaner und habe meine Gegnerschaft gegenüber dem Siedlerkolonialismus sowohl in publiziertem Wort als auch in der Tat demonstriert, wo immer dieser sich fand, darunter selbstverständlich auch im palästinensischen Westjordanland, in Gaza und Ostjerusalem.“
Die Initiative erfuhr stillschweigende Kritik von einer Seite, die oberflächlich betrachtet, überraschend erscheinen könnte. Als Mahmoud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), in Südafrika auf der Beisetzungsveranstaltung für Nelson Mandela sprach, sagte er zwar, dass die PA einen Boykott der von israelischen Siedlern im okkupierten Westjordanland hergestellten Produkte begrüße, doch erklärte er: „Aber wir bitten niemanden, Israel selbst zu boykottieren. Wir haben Beziehungen zu Israel; Israel und wir erkennen uns gegenseitig an.“
Der Kommentar provozierte hitzige Schmähungen vonseiten palästinensischer Aktivisten. Tatsächlich aber reflektiert er nur den politischen Standpunkt der PA, die den Vereinigten Staaten und Israel als Polizeiagentur gegen die palästinensischen Massen dienstbar ist. Dies ist die Gegenleistung für den Reichtum und die Privilegien, die der Zwergstaat auf isolierten Bruchstücken des Westjordanlandes einer dünnen Schicht von palästinensischen Funktionären und politisch eingebundenen Geschäftsleuten verschafft.
Ganz zweifellos haben jene innerhalb der ASA, welche die Boykottresolution unterstützen, dies aus ehrlichem Abscheu vor der brutalen und illegalen amerikanisch-israelischen Politik sowie einem Solidaritätsgefühl mit der palästinensische Bevölkerung getan. Sie müssen gegen die Angriffe der Rechten und der Zionisten verteidigt werden. Die Frage nach der Bekämpfung der israelischen Okkupation wirft indessen fundamentale Fragen politischer Prinzipien auf. Von diesem Standpunkt betrachtet, ist die Stoßrichtung der Resolution, wie aufrichtig ihre Absicht auch sein mag, letztlich fehlgeleitet.
Die World Socialist Web Site lehnt seit über einem Jahrzehnt akademische Boykotte gegen Israel ab und wird dies weiterhin tun. In einer Stellungnahme vom Juli 2002 zur Boykottinitiative britischer Akademiker erklärte die WSWS:
„Maßnahmen gegen normale israelische Bürger verstärken nur die zionistischen Bemühungen, die fatalistische und zutiefst pessimistische Vorstellung zu verbreiten, dass die ganze Welt gegen das jüdische Volk ist und der Staat Israel seine einzige Zufluchtsstätte darstellt.
Eine richtige Handlungsweise für Akademiker, die die israelische Aggression gegen die Palästinenser ablehnen, wäre das genaue Gegenteil eines solche Boykotts: Sie bestände darin, sich für ein Maximum an Beschäftigung und Zusammenarbeit mit den israelischen und arabischen Kollegen einzusetzen, einen ernsthaften Dialog über die aufgeworfenen Fragen zu unterstützen und somit über nationale Grenzen hinwegzugehen, anstatt sie zu verstärken.“
Solche Boykotte werden schließlich von den Scharons und Netanjahus zu ihren eigenen Zwecken ausgenutzt, indem sie ein Belagerungsklima schaffen, das nationalistische Stimmungen stärkt. Sie dienen dazu, die Widerstandsentwicklung gegen die israelische Regierung und den Zionismus unter israelischen Akademikern, Intellektuellen und der israelischen Bevölkerung als Ganzer zu behindern und sie unterminieren die Bemühungen, einen vereinigten Kampf jüdischer und arabischer Arbeiter gegen ihre gemeinsamen Unterdrücker aufzubauen.
Die Unterstützer der ASA-Resolution beteuern, diese sei nicht gegen israelische “Personen” gerichtet, sondern gegen israelische Institutionen höherer Bildung. Indessen ist es überhaupt nicht klar, wie diese Absicht in der Praxis realisiert werden soll oder wie sie von israelischen Wissenschaftlern verstanden werden wird. Das gilt noch mehr gilt für die Arbeiterklasse.
Wie alle Gesellschaften, so ist auch Israel tief gespalten in eine herrschende Finanz- und Wirtschaftsoligarchie, welche die Regierung kontrolliert und in eine Arbeiterklasse, die ausgebeutet und unterdrückt wird und keine politische Stimme hat. Das Fehlen einer mit einem sozialistischen Programm bewaffneten alternativen Führung der Arbeiterklasse, die dem Zionismus gegenübertritt, gestattet es der israelischen Regierung, ihre endlose Unterdrückung der Palästinenser weiter zu betreiben, und trotz des Verlangens großer Teile der Bevölkerung nach einem Ende des Konflikts, weiterhin mit militärischen Provokationen aufzuwarten.
Ein Boykott israelischer Akademiker geht von dem Standpunkt kollektiver Schuld aus. Die Durchschnittsisraelis seien demnach selbst verantwortlich für ihre Regierung. Mit demselben Argument könnte man zu einem Boykott US-amerikanischer Universitäten aufrufen, die nicht um einen Deut weniger an den Verbrechen des US-Imperialismus „beteiligt“ sind, welche um ein Beträchtliches massiver als diejenigen des israelischen Staates sind, die sie in Wirklichkeit mit einschließen. Was soll man über die Harvard-Universität und ihre berüchtigte Kennedy-Regierungsschule sagen, an der zahllose Schufte ausgebildet wurden, um die räuberische Politik des US-Imperialismus umsetzen zu können? Es gibt kaum eine Universität, die nicht CIA-Anwerbern freie Hand lässt, und viele von ihnen sind Vertragspartner des Pentagon, mit dem sie umfassende Vereinbarungen getroffen haben.
Obwohl die Universitäten in den Vereinigten Staaten politisch und finanziell von einem Staat abhängig sind, der die unmittelbare Verantwortung für die Unterdrückung von Menschen auf der ganzen Welt trägt, wäre es zutiefst reaktionär und undemokratisch, amerikanische Akademiker, darunter die Mitglieder der ASA, für die Kriege im Irak und Afghanistan, für Guantanamo Bay, für Folter und weltweite Lauschangriffe verantwortlich zu machen.
Der entscheidende Punkt besteht in der Notwendigkeit, zwischen Regierung und breiter Bevölkerung zu unterscheiden. Während Verfahrensweisen vollkommen legitim sind, welche die israelische Regierung und ihre imperialistischen Hintermänner in Washington ins Visier nehmen, sind solche dies nicht, die den Staat und einfache Menschen über einen Kamm scheren, darunter viele, welche die Netanjahu-Regierung verabscheuen und Opfer ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik sind.
Die Grundhaltung, die dieser Form des Boykotts zugrunde liegt, ist liberale Empörung in Kombination mit der pessimistischen Überzeugung, dass es unmöglich sei, die israelischen Arbeiter, die große Bevölkerungsmehrheit, für sich zu gewinnen und der Politik der Staatslenker und des Zionismus abspenstig zu machen.
Dies geht einher mit nationalistischer Politik und Unterstützung für die sogenannte „Zwei-Staaten“-Lösung, das heißt, der Schaffung eines palästinensischen Zwergstaats auf einem Teil der okkupierten, an Israel angrenzenden Territorien. Dahinter liegt die Idee, das zionistische Regime könnte durch diese Bloßstellung zum Einlenken in solch eine Politik bewogen werden. Zwanzig Jahre nach dem Abkommen von Oslo hat sich diese sogenannte „Lösung“ für zunehmend größere Schichten der palästinensischen Bevölkerung als unbrauchbar erwiesen.
Die Alternative, für die es zu kämpfen gilt, besteht in der Vereinigung der arabischen und israelischen Arbeiter in einem gemeinsames Ringen um eine Gesellschaft, die uneingeschränkte demokratische Rechte und soziale Gleichheit für Alle garantiert. Dies bedeutet einen Kampf gegen das gesamte imperialistische Strickmuster in dieser Region und für die Errichtung der Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens. Anstatt Israelis zu isolieren, ist es erforderlich, in ihnen die größtmögliche kämpferische Energie gegen den Zionismus und für die Entfaltung sozialistischen Bewusstseins zu entfachen, um diesen vereinten revolutionären Kampf vorzubereiten.