Daimler: Betriebsrat spielt Werksvertragsarbeiter gegen Stammbelegschaft aus

Kurz vor dem Jahreswechsel gab der Betriebsratsvorsitzende der Daimler-Zentrale Jörg Spies bekannt, der Daimler-Konzern werde bis zu 1.400 Beschäftigte mit Werkverträgen „in andere Beschäftigungsverhältnisse übernehmen“.

Was der Betriebsrat als Erfolg feierte, ist in Wirklichkeit ein abgekartetes Manöver. Die bisherigen Werkvertragsarbeiter werden nämlich nicht etwa bei Daimler eingestellt, sondern als Leiharbeiter weiter beschäftigt. Diese geringfügige Verbesserung wird mit einer Verschärfung der Arbeitshetze für die Stammbelegschaft erkauft.

Laut Stuttgarter Zeitung betrifft die angekündigte Umwandlung von Werkvertrags- in Leiharbeitsstellen vor allem den IT-Bereich und die Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Hier hatten zwei Werkvertragsarbeiter auf Festeinstellung geklagt, weil sie trotz Werkvertrags wie Mitglieder der Stammbelegschaft eingesetzt wurden. Das Gericht gab ihnen Recht, und Daimler versucht nun, einer Welle von Folgeprozessen zuvorzukommen.

In der Produktion und im Lager, wo Werkvertragsarbeiter für Niedriglöhne von sieben bis acht Euro schuften, werden die Werkverträge dagegen erhalten.

Der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall stellen diesen Schachzug des Konzerns als Erfolg dar, denn nun „gelten für sie Tarifverträge der IG Metall, die Bedingungen der Leiharbeit regeln“, wie es der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Daimler Erich Klemm formulierte.

Der Betriebsrat hat das billige „Zugeständnis“ bei den Werkverträgen benutzt, um den Arbeitsdruck in mehreren Werken zu steigern. So werden derzeit massiv Überstunden gefahren, um Neueinstellungen zu vermeiden.

So gab es am Standort Rastatt bei Karlsruhe bereits im vergangenen Jahr von Januar bis November insgesamt 21 Sonderschichten. Im Bremer Werk wurden in den Monaten November und Dezember zehn außerordentliche Schichten angesetzt. In Stuttgart-Untertürkheim wurde an jedem Wochenende des vergangenen Jahres zusätzlich gearbeitet.

Die hohe Zahl von Überstunden bleibt nicht auf die deutschen Standorte beschränkt. Im Daimler-Werk in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama liefen die Bänder im vergangenen Jahr ebenfalls an zehn Samstagen.

Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm zeigte sich begeistert über diese Entwicklung. „So viel haben wir noch nie produziert“, berichtete er im Dezember stolz der Sindelfinger und Böblinger Zeitung (SZBZ). „Produktion ist die Basis für alles.“ Im Werk Sindelfingen bei Stuttgart laufen derzeit täglich 460 S-Klasse-Luxuslimousinen vom Band. Das sei aber noch nicht das, was sich der Betriebsrat wünsche, sagte Klemm. Es könne noch mehr produziert werden.

Laut Angaben von Daimler hat der Betriebsrat in Sindelfingen für 2014 einer weiteren Arbeitszeiterhöhung um 74 Minuten täglich zugestimmt. Zusammen mit der bereits im letzten Jahr vereinbarten zusätzlichen halben Stunde verordnen die Betriebsräte den Arbeitern damit jeden Tag fast zwei Stunden Mehrarbeit. Die Begründung ist dabei immer dieselbe: Solange die Nachfrage hoch sei, müsse man mehr produzieren, um die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte zu erhalten.

Ähnliches spielt sich auch in Untertürkheim ab. Dort hatte die Werksleitung damit gedroht, die erweiterte Produktion des Benzinmotors vom Typ M274 ins thüringische Kölleda zu vergeben. Das ostdeutsche Werk ist eine eigenständige GmbH und fällt nicht unter den Daimler-Tarif, mit der Folge, dass die Beschäftigten dort bedeutend weniger verdienen.

Auf dieses Stichwort hin verkündete der Betriebsratsvorsitzende in Untertürkheim, Wolfgang Nieke, seine Unterstützung für Sonn- und Feiertagsschichten „in kritischen Engpassbereichen“.

Außerdem setzte der Untertürkheimer Betriebsrat eine Aufweichung der Leiharbeitsquote durch. Derzeit ist konzernweit festgeschrieben, dass der Anteil der Leiharbeiter nie über acht Prozent steigt. Nun sollen acht Prozent im Jahresdurchschnitt nicht überschritten werden. Damit darf das Unternehmen kurzfristig weit mehr Leiharbeiter einsetzen.

Im letzten Oktober hatte der Gesamtbetriebsrat eine solche Regelung auf Konzernebene noch abgelehnt und stattdessen eine Anhebung der Quote auf zehn Prozent angeboten. Nun ist Nieke mit einer Vereinbarung in Untertürkheim vorgeprescht.

Der Daimler-Betriebsrat steht unter Druck, seit die Dokumentation „Hungerlohn unterm Stern“ des SWR im vergangenen Mai den massiven Einsatz von Werkvertragsarbeitern zu Niedrigstlöhnen aufgedeckt hat. Während Betriebsratschef Klemm in einem Interview mit der SZBZ behauptete, den Abschluss von Werkverträgen könnten Betriebsrat und IG Metall „leider auch in der Zukunft nicht verhindern“, ging es bei den Verhandlungen zwischen Gesamtbetriebsrat, IG Metall und Daimler-Vorstand darum, die Werkverträge juristisch abzudichten. Rechtsanwalt Stefan Nägele, der seit November mehrere Dutzend Klagen von Werkvertrags-Beschäftigten eingereicht hat, rechnete allein in Stuttgart mit über 100 Prozessen.

Betriebsrat Georg Rapp, früher selbst Werkvertragsarbeiter, sagte der Wochenzeitung Kontext, man bemühe sich, „die Werkverträge in den Werken und Büros so zu formulieren und so umzusetzen, dass sie juristisch wasserdicht sind“. Mittlerweile sei es Stammbeschäftigten sogar verboten, mit Werkvertragsmitarbeitern zu sprechen. Denn wenn diese Anweisungen von Daimler-Personal entgegennehmen, gelten ihre Verträge als verbotene Schein-Werkverträge.

Daimler hatte schon im vergangenen Jahr klargestellt, dass der Konzern auf Werkverträge nicht verzichten will. Sie „sind ein unverzichtbares Instrument für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, sagte Arbeitsdirektor Wilfried Porth.

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