Perspektive

Die Rückkehr des japanischen Militarismus

Fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die rechte japanische Regierung von Premierminister Shinzo Abe dabei, das japanische Militär mit rasanter Geschwindigkeit wieder aufzubauen, von allen rechtlichen und verfassungsmäßigen Beschränkungen zu befreien und die Geschichte umzuschreiben, um die Verbrechen und Gräueltaten des japanischen Imperialismus in der Vergangenheit zu übertünchen.

Beispielhaft für Abes ideologische Offensive war sein Besuch des berüchtigten Yasukuni-Schreins am 26. Dezember. Der Schrein ist eine Gedenkstätte für Japans Kriegstote, darunter vierzehn verurteilte Kriegsverbrecher der Klasse A. Im gleichen Monat berief er vier rechte Persönlichkeiten in den Aufsichtsrat der japanischen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt NHK, um deren politische Orientierung zu verändern.

Der Zweck dieser Ernennungen wurde schnell offensichtlich. Ende Januar sorgte der neue Vorsitzende des NHK Katsuto Momii für öffentliche Empörung, als er den systematischen Missbrauch von hunderttausenden von Frauen als Sexsklavinnen (sog. "Trostfrauen") der kaiserlichen japanischen Armee in den 1930er und 1940ern verteidigte. Momii entschuldigte sich dafür, in seiner Funktion als Vorsitzender der Sendeanstalt seine private Meinung ausgedrückt zu haben, nahm die Bemerkungen jedoch nicht zurück.

Letzte Woche erklärte Naoki Hyakuta, der ebenfalls von Abe ernannt wurde, das Massaker von Nanking, eines der schlimmsten Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts, sei "nie passiert."

Im Jahr 1937 marschierten japanische Truppen in die Stadt ein und veranstalteten eine wochenlange Orgie von Vergewaltigung, Mord und Zerstörung, während der etwa 300.000 chinesische Zivilisten und Soldaten getötet wurden.

Dennoch behauptete Hyakuta, das Massaker von Nanking sei erfunden worden, um die Verbrechen der USA zu vertuschen, darunter die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Dieses Argument war bisher nur von rechtsextremen Randgruppen verwendet worden, um die schrecklichen Verbrechen des japanischen Imperialismus in den 1930er und 1940ern mit Verweis auf diejenigen des US-Imperialismus im Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen.

Verbrechen vom Ausmaß des Massakers von Nanking zu leugnen, kann nur einen Grund haben: die ideologische Vorbereitung von neuen Kriegen und neuen Gräueltaten.

Die japanische Regierung ist nicht die einzige, die das tut. Fünf Jahre nach dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 steckt der Kapitalismus in einer wirtschaftlichen Rezession, die an allen Ecken und Enden der Welt inner-imperialistische Rivalitäten, neokoloniale Interventionen und diplomatische Intrigen schürt.

Es ist kein Zufall, dass zeitgleich mit Abes Wiederbelebung des japanischen Militarismus auch die große Koalition in Deutschland von ihrer bisherigen Politik der militärischen Bescheidenheit abrückt. Die japanische Regierung ist auch nicht die einzige, die die Geschichte umschreibt. Unter anderem nutzen die britische und die australische Regierung den hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, um das Blutbad zu verherrlichen, in dem Millionen Menschen den innerimperialistischen Kämpfen um Kolonien, Märkte und die strategische Vorherrschaft ihr Leben gelassen haben.

Der wichtigste destabilisierende Faktor der Weltpolitik ist der amerikanische Militarismus. Neokoloniale Interventionen unter amerikanischer Führung haben Afghanistan, den Irak, Libyen und Syrien zerstört. Jetzt führen die USA im Rahmen von Obamas "Schwerpunktverlagerung auf Asien" eine umfassende diplomatische Offensive, um China zu schwächen und militärisch einzukreisen.

Die Obama-Regierung ist dafür verantwortlich, Japan zu einer aggressiveren Haltung gegen China ermutigt und im Ostchinesischen Meer einen gefährlichen neuen Krisenherd geschaffen zu haben – den Konflikt um die umstrittenen Senkaku/Diaoyu-Inseln. Am Freitag traf sich US-Außenminister John Kerry mit seinem japanischen Amtskollegen und bekräftigte nochmals, Washington werde Tokio in einem Krieg mit Peking um die unbewohnten Felsenriffe unterstützen.

Indem die USA Japan zur Remilitarisierung gedrängt haben, haben sie politische Kräfte in Bewegung gebracht, die sie nicht kontrollieren können. Die Abe-Regierung bekennt sich zwar zum japanisch-amerikanischen Bündnis, ist jedoch entschlossen, die Interessen des japanischen Imperialismus zu verteidigen.

Seit Abe Amtsübernahme im Dezember 2012 hat er den Militärhaushalt erhöht und einen Nationalen Sicherheitsrat eingeführt, der die Außen- und Verteidigungspolitik in seinen Händen konzentriert. Er setzt sich dafür ein, die verfassungsmäßigen Beschränkungen für die Beteiligung der Streitkräfte an Angriffskriegen abzuschaffen.

Die Wiederbelebung des japanischen Militarismus verfolgt zum einen das Ziel die Interessen des japanischen Imperialismus im Ausland zu verfolgen, und zum anderen die Spannungen, die die zunehmende soziale Krise im Inland verursacht, nach außen auf einen "fremden" Gegner zu projizieren. Abe kam mit dem Versprechen an die Macht, zwanzig Jahre Deflation und wirtschaftliche Stagnation zu beenden. Seine "Abenomics" sind jedoch gescheitert: sie haben zwar zu einem Anstieg der Aktienkurse geführt, aber kein nennenswertes Wachstum hervorgebracht.

Letzten Monat legte Abe seine Agenda auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sehr deutlich dar. Er stellte klar, dass der japanische Imperialismus seine Position als führende Macht in Asien nicht aufgeben werde.

Abe wandte sich gegen Stimmen, die Japan als "Land der untergehenden Sonne" bezeichneten und sprach vom Heranbrechen, einer "neuen Morgendämmerung". Seine Darstellung von China als aggressiver neuer Macht, vergleichbar mit Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, ging einher mit der Vorstellung von Plänen für eine wirtschaftsfreundliche Umstrukturierung Japans, die das Land zu einem der "wirtschaftsfreundlichsten" Orte der Welt machen soll.

Im politischen Establishment Japans gibt es keinen nennenswerten Widerstand gegen Abes Rechtsruck und seine Hinwendung zum Militarismus. Die oppositionelle Demokratische Partei Japans und die Kommunistische Partei Japans äußern zwar zahme Kritik an der Regierung, unterstützen jedoch Japans Ansprüche auf die umstrittenen Inseln im Ostchinesischen Meer, die das zentrale Thema bei den wachsenden Spannungen mit China sind.

Die Arbeiterklasse hat jedoch eine lange Geschichte des Widerstands gegen den japanischen Militarismus. Die Kriegsverbrechen des Regimes in den 1930ern und 1940ern beschränkten sich nicht auf Gräueltaten im Ausland wie das Massaker von Nanking. Die Tokko oder "Gedankenpolizei" ging bei der Ausrottung aller Formen von Kritik oder Widerstand, vor allem unter Arbeitern, genauso rücksichtslos vor wie die Gestapo in Nazideutschland. Das Geheimhaltungsgesetz, das Abe vor kurzem durchgesetzt hat, stieß in Japan auf großen Widerstand, da es an das "Friedenssicherungsgesetz" von 1925 erinnerte, das die Rolle der Tokko deutlich ausweitete.

Abes provokante Angriffe auf China, die Kommentare des NHK-Aufsichtsratsmitgliedes, der das Massaker von Nanking leugnet und andere Entwicklungen müssen den Arbeitern und Jugendlichen in Japan und allen anderen Ländern eine nachdrückliche Warnung sein. Die Kriegsvorbereitungen gehen einher mit einer Kampagne von Lügen und patriotischer Hetze, die einen Krieg gegen die Arbeiterklasse ankündigen. Die Arbeiter können die Kriegstreiberei und den Angriff auf ihren Lebensstandard und ihre demokratischen Rechte nur verhindern, indem sie ihre Kämpfe international auf der Grundlage eines sozialistischen Programms vereinen, um dem bankrotten Profitsystem ein Ende zu setzen.

Loading