„Shoah durch Erschießen“

Eine Dokumentation über den Holocaust in der Ukraine

Anfang des Jahres ist bei absolut medien die französische Fernsehdokumentation „Shoah durch Erschießen: Einsatzgruppen in der Ukraine“ von Romain Icard aus dem Jahr 2008 mit deutschen Untertiteln auf DVD erschienen. Die Dokumentation begleitet den französischen katholischen Priester Patrick Desbois auf einer Reise durch die Ukraine beim Aufspüren von Massengräbern der rund 1,5 Millionen ermordeten Juden.

Die Veröffentlichung der DVD fällt mit dem Umsturz in Kiew zusammen, der mit deutscher und amerikanischer Unterstützung ein äußerst rechtes Regime an die Macht gebracht hat. Die Dokumentation unterstreicht den kriminellen Charakter dieser Politik, sich auf ehemalige Nazi-Kollaborateure stützt. In der Ukraine kehrt der deutsche Imperialismus an den Schauplatz einiger seiner schlimmsten Verbrechen zurück.

Die Nazis besetzten die Ukraine im Sommer 1941 und wurden zweieinhalb Jahre später von der Roten Armee wieder vertrieben. In den zwei Besatzungsjahren fielen den Kriegshandlungen und den Massenmorden der Nazis und ihrer ukrainischen Kollaborateure zwischen fünf und acht Millionen Menschen zum Opfer. Eine weitere Million Ukrainer wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Die Sowjetrepublik wurde rücksichtslos ausgeplündert und zerstört. Hitler plante, auf dem Gebiet der Ukraine 20 Millionen Deutsche anzusiedeln.

Zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Sowjetunion hatte die Nazi-Führung bereits die Auslöschung des europäischen Judentums beschlossen. Die systematische Ermordung von Juden wurde zum festen Bestandteil der Besatzungspolitik. In Litauen vernichteten die Nazis und ihre Kollaborateure über 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung. In Weißrussland ermordeten die Nazis ein Viertel der Gesamtbevölkerung, darunter mit 800.000 Menschen über 90 Prozent der jüdischen Einwohner. In der Ukraine wurden schätzungsweise 1,5 von 2,7 Millionen Juden ermordet. Wie der Direktor des US Holocaust Memorial Museums in der Dokumentation treffend erklärt: „Die Ukraine ist und bleibt ein riesiger Friedhof.“

Die katholische Kirche hatte selbst eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Hitlerregimes und anderer faschistischer Regime in Europa gespielt. Mit der Förderung von Desbois’ Arbeit versucht der Vatikan daher nicht zuletzt, die Spuren eigener Verbrechen zu verwischen. Dennoch ist die Arbeit von Desbois, dessen Vater als französischer Kriegsgefangener in der Ukraine Zeuge des Holocausts geworden war und der seinem Sohn später davon erzählte, von großer Bedeutung: viele Verbrechen der Nazis in Osteuropa sind bis heute nicht vollständig erforscht. Bis zur Arbeit von Desbois waren die Orte der meisten Massengräber in der Ukraine unbekannt.

Durch systematische Interviews mit tausenden Augenzeugen und Überlebenden des Holocausts, von denen die meisten nie zuvor befragt worden waren, konnten Desbois und sein Team seit 2004 rund 700 Massengräber lokalisieren. Die Ergebnisse der Recherchen seiner Organisation „Yahad in Unum“, die auch in anderen Ländern Osteuropas tätig ist, wurden inzwischen auf einer Website zusammengestellt. Insgesamt sind heute rund 1.200 Massengräber in der Ukraine bekannt.

Ein Großteil der ukrainischen wie auch der weißrussischen und litauischen Juden wurde durch die gefürchteten Einsatzgruppen der SS in Massenaktionen erschossen. Auch die ukrainische Polizei spielte dabei eine wichtige Rolle.

Am stärksten ist die Dokumentation, wenn sie Interviews mit Überlebenden und Augenzeugen dieser Massenmorde zeigt. Viele trifft Desbois in verarmten ländlichen Gebieten, die eher an das 19. als an das 21. Jahrhundert erinnern. „Der Holocaust im Osten verbleibt im Gedächtnis der Armen“, kommentiert er.

Die meisten Interviews führt Desbois mit Dorfbewohnern, die während der Okkupation zwischen acht und 15 Jahre alt waren. Bis heute merkt man ihnen den Horror über den Mord an ihren jüdischen Nachbarn und über die deutschen Besatzer an, die die gesamte Bevölkerung terrorisierten.

Temofis Ryzvanuk, ein armer Bauer aus dem Dorf Bakhiv (Region Lutsk), hatte im Alter von 14 Jahren eine Massenhinrichtung beobachtet. „Alle hatten Angst hier. Wir hatten schreckliche Angst vor den Deutschen.“

Ryzvanuk berichtet, wie jüdische Frauen und Männer unter Peitschenhieben gezwungen wurden, ihr eigenes Grab zu schaufeln, um dann mit Maschinengewehren erschossen zu werden. „Sie zogen sie nackt aus. Männer wie Frauen ohne Unterschied. Nachdem sie sie getötet hatten, legten sie sie Kopf an Kopf nebeneinander, um Platz zu sparen. ... Sie wurden aufeinander gestapelt wie Heringe.“ Deutsche Offiziere fuhren während der Hinrichtungen mit ihren Autos vorbei und hupten.

Nach der Befragung weiterer Dorfbewohner kann Desbois den Ort des Massengrabs aufspüren, in dem schätzungsweise 9.000 Menschen begraben sind. Grabräuber haben dort erst vor kurzem nach Schmuck und Zahngold gesucht, so dass Schädel- und Knochenstücke offen auf der Erde herumliegen.

Die Massenexekutionen wurden genauestens geplant: SS-Offiziere der gefürchteten Einsatztruppen fertigten oft im Voraus Skizzen der Hinrichtungen an.

Im Nordwesten der Ukraine, heute eine der ärmsten Regionen des Landes, stellte Desbois besonders umfassende Nachforschungen an. Hier hatten vor dem Krieg über 150.000 Juden gelebt, sie machten fast die Hälfte der damaligen lokalen Bevölkerung aus. Die Region wurde auch als „jüdisches Land“ bezeichnete und gehörte zu den Wiegen der jüdischen Kultur. Während des Holocaust wurden hier alle Juden vernichtet.

Widerstand gegen die deutschen Besatzer wurde in „Racheaktionen“ brutal niedergeschlagen: tausende Ukrainer – die Bevölkerung ganzer Dörfer und Landstriche – wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Nadia Stepanova, deren Vater zusammen mit anderen Dorfbewohnern in einer Kirche verbrannte, beschreibt den Überfall auf die Region:

„Die deutschen Soldaten kamen aus Lutsk, um diese ganze Region zu besetzen. Dort stehen fast keine Häuser mehr, wenn Ihnen das aufgefallen ist. Es gab Widerstand gegen die Deutschen. Nach der Schießerei kamen sie ins Dorf. Sie blieben über Nacht, und am Morgen versammelten sie alle Bewohner. Sie separierten die Juden und trieben sie ins Ghetto. Dann separierten sie in einer Scheune die Männer auf der einen, die Frauen und Kinder auf der anderen Seite. … Da dachten wir, jetzt ist es vorbei. Wir dachten, wir würden alle sterben, verbrennen, wie in den anderen Dörfern.“

Ihr Mann, Misha Stepanov, führt das Team zu zwei Massengräbern ermoderter Juden. Er berichtet, dass zur Hinrichtung ganze Lastwagen mit Juden hergefahren wurden, und schätzt, dass in den zwei nahe gelegenen Gräbern rund 1.000 Oper liegen, darunter viele Kinder.

Leonid Kvil, der damals erst sieben Jahre alt war, beobachtete die Hinrichtungen: „Sie brachten sie um, sammelten die Kleider ein und brachten sie ins Ghetto in der Stadt. Dann warfen sie weitere Juden auf die Toten. Manche lebten noch. Und es begann von neuem. Sie brachten sie um und holten neue. Sie kamen alle aus dem Ghetto. Das ging zwei Tage lang so. Sie bedeckten das Grab, es war noch sechs Monate lang in Bewegung und das Blut lief heraus. … Die Deutschen nahmen sich den Schmuck, die Ohrringe, sie nahmen sich alles. … Es [das Blut] floss drei-, vierhundert Meter heraus; es floss bis zum Fluss, es war grässlich.“

Nach der Niederlage in Stalingrad im Februar 1943 befanden sich die Nazis auf dem Rückzug. Die Rote Armee begann, die besetzten Gebiete zurückzuerobern. SS-Chef Heinrich Himmler befahl nun, die Spuren der Kriegsverbrechen der SS und der Wehrmacht systematisch zu verwischen. Im Laufe der so genannten Operation 1005 wurden hunderttausende Leichen von ermordeten Juden wieder aus ihren Gräbern geholt und verbrannt.

Für diese Aktionen wurden oft Juden eingesetzt, die am Leben geblieben waren. Desbois sprach unter anderem mit Dr. Leon Wells (1925-2009), der als einer von wenigen ukrainischen Juden überlebte und in den 1960er Jahren beim Eichmann-Prozess aussagte. Er wurde von der SS gezwungen, Leichen zu verbrennen und dann in der Asche nach Gold zu suchen. (Ein ausführliches Interview mit Leon Wells findet sich auf Youtube). Im Wald von Lysinitchy, wo 90 bis 100.000 Juden ermordet wurden, währten die Leichenverbrennungen fünf bis sechs Monate.

Die Dokumentation verweist darauf, dass das stalinistische Regime der Sowjetunion teilweise antisemitische Stimmungen in der ukrainischen Bevölkerung ermutigt hatte und dass wegen der brutalen stalinistischen Zwangskollektivierung der Jahre 1929 bis 1932, bei der Millionen Bauern verhungerten, die Nazis 1941 vor allem in einigen ländlichen Gegenden als „Befreier“ begrüßt wurden.

Die Erklärungen in der Dokumentation gehen allerdings stark in eine anti-kommunistische Richtung. In Wahrheit hatten die Oktoberrevolution von 1917 und der Sieg der Bolschewiki im Bürgerkrieg 1922 dem Antisemitismus des zaristischen Regimes und dem Massenmord an Juden ein Ende bereitet. In der Ukraine hatten sowohl die „weißen“ Gegner der Bolschewiki als auch das Regime von Symon Petljura während des Bürgerkriegs Zehntausende Juden ermordet.

Die frühe sowjetische Regierung unter Lenin und Trotzki kämpfte vehement gegen den Antisemitismus. Das Schüren von Antisemitismus durch die stalinistische Bürokratie, das vor allem  während der Moskauer Prozesse in den 1930er Jahren begann und seinen Höhepunkt in den antisemitischen Säuberungen der späten 40er und 50er Jahren fand, war eines der krassesten Merkmale des konterrevolutionären Charakters des Stalinismus.

Der Antisemitismus Stalins und bedeutender Teile der Bürokratie war mit ihrer nationalistischen Politik und ihrem Verrat am Programm der sozialistischen Weltrevolution verbunden. Nicht zufällig wurde der Antisemitismus während des Großen Terrors der 1930er Jahre gegen Leo Trotzki und seine Anhänger ausgespielt, die das internationalistische Programm der Oktoberrevolution verteidigten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg durfte der Holocaust dann in der Sowjetunion nur unter der Rubrik „Verbrechen gegen das sowjetische Volk“ behandelt werden. Ein „Schwarzbuch“ über die systematische Ermordung von Juden, das die jüdischen Intellektuellen Wasilij Grossman und Ilja Ehernburg seit 1943 zusammengestellt hatten, wurde 1946 nur in zensierter Form veröffentlicht und 1948 wieder eingestampft.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine findet eine systematische Rehabilitierung ukrainischer Antisemiten und Nazi-Kollaborateure statt. Präsident Wiktor Juschtschenko, der 2004 durch die vom Westen unterstützte „Orangene Revolution“ an die Macht gelangte, machte die Glorifizierung von Symon Petljura und Stepan Bandera, der im zweiten Weltkrieg die faschistische Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) leitete, zur offiziellen politischen Linie. Für beide ließ er öffentliche Denkmäler errichten.

Auch die Vaterlandspartei des neuen ukrainischen Regierungschefs Arsenij Jazeniuk und die rechtsextreme Swoboda-Partei, die mit mehreren Ministern in der Regierung sitzt, verehren die rechten ukrainischen Nationalisten und Faschisten.

Berlin und Washington unterstützen diese Politik und arbeiten unmittelbar mit faschistischen Kräften zusammen, um einen Krieg gegen Russland vorzubereiten und massive Angriffe auf die ukrainische Arbeiterklasse durchzusetzen. Die Dokumentation über den Holocaust in der Ukraine ist bei allen Schwächen eine wichtige Erinnerung an die ungeheuren Verbrechen des deutschen Imperialismus, an die er heute wieder anknüpft.

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