Bürgerkrieg im Irak weitet sich aus

Die sunnitische extremistische Miliz Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIL/Isis) setzte am Wochenende ihre Offensive mit Unterstützung durch sunnitische Stammesmilizen fort und besetzte große Teile des Nordwestiraks, zusätzlich zu den Territorien, die sie bereits im Nachbarstaat Syrien und der westirakischen Provinz Anbar kontrolliert.

Die Ereignisse der letzten Woche haben die ethnische und religiöse Zersplitterung des Irak deutlich enthüllt, die die USA während ihrer Besetzung des Landes von 2003 bis 2011 vorsätzlich geschürt haben, und die sich noch verstärkt hat, seit die Obama-Regierung und ihre Verbündeten aus der Region in Syrien einen sektiererischen Bürgerkrieg schüren.

Seit Sonntag toben heftige Kämpfe in Tal Afar, einer Stadt, die 60 Kilometer östlich von der syrischen Grenze und 40 Kilometer westlich von der wichtigen Stadt Mossul entfernt liegt. Isis-Kämpfer, die aus Stützpunkten in Syrien in den Irak eingedrungen waren, nahmen letzte Woche die sunnitischen Vororte von Mossul ein und fügten der irakischen Regierung damit eine schwere Niederlage zu.

Tal Afar hat einen großen Bevölkerungsanteil von sunnitischen Turkmenen. Die Stadt war eine Hochburg des Widerstandes gegen die amerikanische Besatzung nach dem Einmarsch 2003 und wurde im September 2005 Opfer einer brutalen Antiterroroperation von amerikanischen- und Truppen der schiitischen Regierung. Ein Großteil der Stadt wurde zerstört, 90 Prozent seiner 300.000 Einwohner mussten fliehen. Später wurde sie wieder aufgebaut, aber wie die meisten ethnisch und religiös gemischten Gebiete im Irak wurde sie seit 2006 von andauernden religiösen Konflikten erschüttert. Die sunnitische Bevölkerung warf der Regierung und den Sicherheitskräften vor, sie zu verfolgen.

Es gibt keine detaillierten Berichte über Todesopfer nach den Kämpfen am Wochenende. Berichte deuten darauf hin, dass Artillerie und Hubschrauber der Regierung in Wohngebiete schossen, bevor die Isis und sunnitische Milizen in die Stadt eindrangen. Tausende von Zivilisten mussten fliehen und schlossen sich den etwa 500.000 Flüchtlingen aus Mossul an.

Die überwiegenden schiitisch-irakischen Militäreinheiten, die die Stadt halten, haben angeblich starken Widerstand geleistet, im Gegensatz zu den Regierungskräften in Mossul, die sich praktisch auflösten, als die Isis einmarschierte und nach Süden bis zu Saddam Husseins Geburtsstadt Tikrit und zu Städten in nur 80 Kilometern Entfernung von Bagdad vordrang. Auch in der ostirakischen Provinz Dijala, die an den Iran angrenzt, konnte sie Städte einnehmen. Nach einigen Schätzungen flüchteten bis zu 90.000 Soldaten und Polizisten angesichts der Isis-geführten Offensive von ihren Posten.

Die schiitische herrschende Elite, die Nuri al-Malikis Regierung repräsentiert, reagierte mit Panik auf die demütigende Niederlage der Sicherheitskräfte im Norden des Landes, die von den USA ausgebildet und ausgerüstet wurden. Der führende schiitische Geistliche, Großajatollah Ali al-Sistani, veröffentlichte letzten Freitag einen Appell an alle Männer, die Waffen benutzen können, sich freiwillig zum Kampf zu melden.

Tausende von schiitischen Milizionären, die entweder mit den Regierungsparteien oder der Bewegung unter Führung von Moqtada al-Sadr verbunden sind, brachen von Bagdad aus auf, um Samarra zu besetzen. Die Stadt liegt 125 Kilometer nördlich der Hauptstadt, dort befindet sich eines der wichtigsten schiitischen Heiligtümer: die Al-Askari-Moschee.

Der Bombenanschlag auf die historische goldene Kuppel der Moschee durch sunnitische Extremisten im Jahr 2006 führte zu einer Welle willkürlicher Gewalt gegen Sunniten durch schiitische Milizen. Die amerikanischen Besatzungstruppen unterstützten die Massenmorde stillschweigend, um den sunnitischen Widerstand zu zerschlagen.

Einheiten des irakischen Militärs haben mit Unterstützung von schiitischen Milizen Gegenangriffe begonnen, um Isis und sunnitische Kräfte auf Mossul zurückzudrängen. Maliki versprach in Reden, die dem Zuhörer das Blut in den Adern gefrieren ließen, alle verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Führende sunnitische Politiker, darunter der ehemalige Vizepräsident Tariq al Hashemi, der aus dem Irak fliehen musste, um der Verhaftung durch Maliki zu entgehen, begrüßten die Niederlagen der schiitischen Regierung als "Revolution" gegen ein tyrannisches Regime. Aus Mossul und Tikrit tauchte Bildmaterial auf, das zeigt, wie die Bevölkerung feiert.

Mit dem Isis verbündete Quellen behaupteten am Wochenende, sie hätten 1.700 schiitische Soldaten, Polizisten und Regierungsbeamte hingerichtet, die im Raum Tikrit gefangen genommen wurden. Die Behauptungen wurden von Bildern begleitet, die verängstigte Gefangene vor niedrigen Gräben zeigten und scheinbar vor einem Erschießungskommando von Isis-Kämpfern stehen. Andere Bilder zeigen Berge von Leichen, die in Gräben geworfen wurden.

Die Meldungen sind zwar noch nicht bestätigt, aber schiitische Extremisten werden sie dennoch benutzen, um eine sektiererische Pogromstimmung zu schaffen. Daraus entsteht die Gefahr neuer, mörderischer Pogrome gegen die sunnitische Zivilbevölkerung in Bagdad und anderen Gebieten.

Es könnte auch zu einem offenen Krieg zwischen Malikis Regierung und der kurdischen Regionalregierung (KRG) kommen, die die mehrheitlich kurdischen nördlichen Provinzen als autonome Zone regiert. Während die irakischen Sicherheitskräfte im Norden letzte Woche Niederlagen erlitten, besetzten kurdische Truppen die Stadt Kirkuk und die nordirakischen Ölfelder. Kurdische Truppen sammelten sich auch im Ostteil Mossuls und versuchen möglicherweise, Gebiete der Stadt einzunehmen, die momentan von Isis kontrolliert werden.

Die Initiative der kurdischen Regierung, Kirkuk unter ihre Kontrolle zu bekommen, ist das Ergebnis eines zunehmend erbitterten Streits um die Versuche der KRG, in Eigenregie und mit Unterstützung der Türkei Öl zu exportieren, das in den kurdischen Provinzen gefördert wurde. Die KRG kontrolliert jetzt die gesamte nordirakische Ölproduktion und wird sie entweder als Druckmittel gegen Bagdad einsetzen, um ihre Forderungen durchzusetzen, oder um die wirtschaftlichen Grundlagen eines getrennten kurdischen Staates zu verbessern.

Durch das Abgleiten des Irak in den Bürgerkrieg und einen möglichen Zerfall ergibt sich auch die Möglichkeit einer offenen Intervention verschiedener Regionalmächte.

Die Türkei, die großes wirtschaftliches Interesse an der Stabilität der Kurdenregion und der Ausweitung ihrer Kontrolle über Ölvorkommen hat, hat angedroht, Truppen in den Nordirak zu schicken, um Angriffe auf türkische Bürger zu verhindern. Am Sonntag äußerte sie sich besorgt über das Schicksal der turkmenischen Bevölkerung von Tal Afar, die jetzt unter der Herrschaft von Isis lebt.

Der Iran, der Maliki und die schiitischen Parteien im Irak stark unterstützt, hat bereits angedeutet, er werde Truppen in den Irak schicken, wenn sunnitische Extremisten schiitische Heiligtümer bedrohten. Das Wall Street Journal und andere Medien veröffentlichten unbestätigte Berichte, laut denen iranische Truppen schon in den Irak eingedrungen seien, um das irakische Militär zu unterstützen.

Die sunnitischen Monarchien Saudi-Arabien und Katar, die wichtigsten Geldgeber und Waffenlieferanten der sunnitischen Rebellen in Syrien, machen kaum ein Geheimnis daraus, dass sie die Eskalation des Konfliktes in Syrien zu einer sogenannten sunnitischen Revolution im Irak gegen eine vom Iran unterstützte schiitische Regierung begrüßen.

Die Obama-Regierung reagiert auf die katastrophalen Folgen der amerikanischen Invasionen und Intrigen im Nahen Osten, indem sie noch mehr Tod und Zerstörung entfesselt. Der Flugzeugträger George HW Bush und Begleitschiffe wurden in den Persischen Golf geschickt, um für "zusätzliche Flexibilität" zu sorgen, "sollten militärische Optionen notwendig sein."

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