Bundesregierung fordert US-Geheimdienstler zur Ausreise auf

Die Entlarvung eines zweiten US-Spions innerhalb von fünf Tagen hat in Deutschland hohe Wellen geschlagen. Die Meldung verdrängte zeitweise sogar die Fußballweltmeisterschaft aus den Schlagzeilen. Die Reaktionen reichen von der Drohung mit Gegenspionage bis zur offiziellen Aufforderung an den obersten Vertreter der US-Geheimdienste in Berlin, das Land zu verlassen.

Am Mittwoch hatte die Bundesanwaltschaft das Büro und die Wohnung eines Mitarbeiters des Verteidigungsministeriums durchsucht. Er steht im Verdacht, für einen US-Geheimdienst spioniert zu haben. Um welchen Dienst es dabei geht, ist nicht klar. Insider vermuten, dass es sich um den Militärgeheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) handelt.

Der mutmaßliche Spion war vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) seit Monaten observiert worden, weil er sich verdächtig häufig mit US-Kontaktleuten traf. Das letzte derartige Treffen war im Februar 2014, also vor mehr als vier Monaten, beobachtet worden. Weshalb die Bundesanwaltschaft erst jetzt gegen den Verdächtigen vorgeht, ist nicht bekannt. Sie hat ihn am Mittwoch stundenlang verhört, bisher aber keinen Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll es sich bei dem Verdächtigen um einen Mitarbeiter auf Referentenebene handeln, der seit einem Jahr in der Politikabteilung des Verteidigungsressorts arbeitet. Dort soll er Zugang zur Politikplanung des Ministeriums gehabt haben.

Im weit verzweigten Verteidigungsministerium laufen „fast alle wichtigen und geheimen Unterlagen als Kopie auch an diese Abteilung“, berichtet Spiegel Online. „Themen wie die Kooperation in der Nato, Rüstungsfragen oder auch die Unterlagen für die Ministerin vor wichtigen Politikgesprächen kommen hier an.“

Schon am Freitag letzter Woche war die Verhaftung eines Mitarbeiters des Bundesnachrichtendiensts (BND) in Pullach bekannt geworden, der für 25.000 Euro über 200 geheime Dokumente an die amerikanische CIA weitergegeben hat.

Verglichen mit der massenhaften Ausspähung der deutschen Bevölkerung durch die National Security Agency (NSA), die der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden aufgedeckt hat, und dem Abhören des Handys der Bundeskanzlerin handelt es sich bei den jüngsten Spionagefällen eher um Bagatellen. Trotzdem waren die Reaktionen ungleich heftiger.

Regierungssprecher Steffen Seibert, der die NSA- und Handy-Affäre noch heruntergespielt hatte, sprach erstmals von „tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten“ mit den USA, die „an das Vertrauen dieser Partnerschaft“ gingen.

Am Donnerstag forderte die Bundesregierung den obersten Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland auf, das Land zu verlassen. Das ist zwar keine formelle Ausweisung, wie sie bei Agenten feindlicher Staaten üblich ist, kommt einer solchen aber nahe.

Der Schritt erfolge „als Reaktion auf die lange Zeit nicht erfolgte Zusammenarbeit im Bemühen um Aufklärung“, begründete der Vorsitzende des zuständigen parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger, die in der jüngeren Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen einmalige Maßnahme.

Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vorstand der Atlantik-Brücke, sagte: „Der Schaden ist immens: Die öffentliche Unterstützung in Deutschland für die transatlantischen Beziehungen bröckelt.“ In normalen Zeiten hätte der jüngste Spionagefall nur das Zeug für eine Kurzmeldung gehabt. Er habe aber „eine lange Vorgeschichte“ und sei nun „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. [The straw that broke the camels back]

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Thomas Oppermann, bezeichnete die Spionageaktivitäten der USA als „schwere Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis“. Er sagte Spiegel Online: „Ich rate den Amerikanern, jetzt reinen Tisch zu machen, alles offenzulegen und die Spionageaktivitäten einzustellen.“ Vertrauen sei eine Säule der Freundschaft. „Die USA sollten achtgeben, dass sie nicht komplett einstürzt.“

In der Zeit rief Robert Leicht zur „Gegenspionage“ auf. „Weil die US-Regierung und deren Apparat das Reden von der deutsch-amerikanischen Freundschaft ins Lächerliche ziehen, müssen nun andere Saiten aufgezogen werden“, schrieb der frühere Chefredakteur des SPD-nahen Blattes. „Die Bundesrepublik ist kein Satrapenstaat. Auf ihrem Boden können weder befreundete noch gegnerische Geheimdienste machen, was sie wollen. … Deutschland und Europa sollten endlich technisch alles nur Mögliche an Contre-Espionage tun und entwickeln, auch wenn es viel Geld kostet.“

Hinter dieser Empörung über die Spionagetätigkeit der USA steckt viel Heuchelei. Dass US-Geheimdienste auf deutschem Boden tätig sind, ist seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis. Als Frontstaat des Kalten Kriegs war die Bundesrepublik ein Tummelplatz für Spione aus verbündeten Ländern, die auch die deutsche Bevölkerung überwachten.

„Die NSA wurde 1952 gegründet und ist gleichsam in Deutschland groß geworden“, sagt der Freiburger Historiker Josef Foschepoth, ein Experte auf diesem Gebiet. Die umfangreiche Tätigkeit der alliierten Geheimdienste geschah mit Wissen der deutschen Regierung. Es gab dafür vertragliche Grundlagen, und nach der deutschen Einheit wurde nicht einer dieser Verträge und Geheimabkommen gekündigt. Deutsche und amerikanische Geheimdienste arbeiten bis heute eng zusammen und tauschen riesige Mengen Daten aus. Unter anderem umgehen sie auf diese Weise Gesetze, die die Bespitzelung eigener Staatsbürger verbieten.

Die heftige Reaktion auf die jüngsten Spionagefälle hat vorwiegend politische Gründe. Seit der Regierungsübernahme Ende vergangenen Jahres bemüht sich die Große Koalition in Berlin systematisch um eine größere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Sie stellt zwar das Bündnis mit den USA nicht in Frage, doch ihr Bemühen, die eigenen imperialistischen Interessen stärker zur Geltung zu bringen, führt zu Spannungen mit Washington. Was früher als selbstverständlich galt, wird jetzt als amerikanische „Bevormundung“ empfunden.

Die meisten Kommentare zu den Spionagefällen bestehen aus einer Mischung aus Bitten und Drohungen: Bitten, die amerikanische Regierung möge die Spionage einstellen, die deutsche Regierung nicht länger brüskieren und an der Aufklärung mitwirken; und Drohungen, die enge Zusammenarbeit zu beenden und die eigenen Geheimdienste und Streitkräfte stärker und unabhängiger aufzubauen.

Eine wichtige Rolle spielt auch die wachsende Feindschaft breiter Bevölkerungsschichten gegen den amerikanischen Imperialismus. Der Irak-, der Afghanistan- und der Libyenkrieg, Abu Ghraib und Guantanamo, gewaltsame Überstellungen und Drohnenmorde haben das Bild der USA in der deutschen Öffentlichkeit gründlich verändert. Die Vereinigten Staaten stehen nicht mehr für Freiheit und Demokratie, sondern für imperialistische Kriege, Folter und gezielte Tötungen.

Auch der von den USA und Deutschland gemeinsam organisierte Putsch in Kiew ist in der deutschen Bevölkerung auf Skepsis und Ablehnung gestoßen. In einer Umfrage des Spiegel sprechen sich 57 Prozent der Befragten für eine größere Unabhängigkeit Deutschlands von den USA aus. 69 Prozent sagen, ihr Vertrauen in die USA sei gesunken. 40 Prozent finden, Deutschland solle mit Russland stärker zusammenarbeiten.

Die öffentlichen Drohgebärden gegen die USA dienen nicht zuletzt dazu, diese Stimmungen aufzufangen und die Feindschaft gegen den amerikanischen Imperialismus auf die Mühlen des deutschen Imperialismus zu lenken.

Der Ausbau der deutschen Geheimdienste und die Wiederbelebung des deutschen Militarismus, die intensiv vorangetrieben werden, sollen so einen „fortschrittlichen“ Anstrich erhalten – sie sollen als Mittel einer „friedlichen“, „vernünftigen“, „völkerrechtskonformen“ Außenpolitik im Gegensatz zur brutalen Politik der Amerikaner präsentiert werden. Die Grünen und die Linkspartei spielen in dieser Kampagne eine maßgebliche Rolle.

Doch der deutsche Imperialismus ist nicht fortschrittlicher als der amerikanische. Er hat historische Verbrechen begangen, die ohne Beispiel sind. Und seine Wiederbelebung geht mit einer Rückkehr zu den alten, verbrecherischen Traditionen einher – das zeigt unter anderem seine Zusammenarbeit mit den Faschisten von Swoboda und dem Rechten Sektor in der Ukraine.

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